Knochenfeuer. Jenny Pieper

Knochenfeuer - Jenny Pieper


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und zurück, ehe es verharrte. »Dann ist dir nicht mehr so übel.« In seinem Gesicht regte sich nichts, ich konnte nicht deuten, ob er mir einen Streich spielte oder Schlimmeres. Aber dass er mir helfen wollte, bezweifelte ich.

      »Trink es oder lass es.« Er zuckte mit den Schultern und fügte so leise hinzu, dass ich ihn kaum verstehen konnte: »Ihr seid doch alle gleich.«

      Ich setzte mich wieder auf die Pritsche und ignorierte das Fläschchen. Das Zucken seines Mundwinkels ließ mich daran zweifeln, dass ich seine Worte als Beleidigung auffassen sollte.

      Mit wie vielen Goldkindern hatte er es zu tun gehabt? Wie viele Jahre kannte er sie schon?

      Und die Kraft wie vieler hatte er sich einverleibt?

      Jaden drehte sich um und marschierte davon. Eine der Wachen zögerte und blieb an meiner Zelle zurück.

      Der hochgewachsene Mann stand mit dem Rücken zu mir und blickte in die Richtung, in die Jaden verschwand. Seine Stimme war leise. »Ihr seid nicht alle gleich, aber du … du siehst aus wie sie.« Die Wache warf mir einen Blick über die Schulter zu und fixierte mich mit ernstem Ausdruck in den Augen. Sein Mund war von einer Narbe entstellt. Nur ein weiteres Schauspiel in Jadens Theater?

      Mit einem Nicken deutete er auf das Fläschchen, ehe er mich allein zurückließ.

      Mein Blick schweifte zu dem Mittel, das Jaden mir gebracht hatte. Tat er das für mich? Oder machte er das für sich selbst?

      Neben dem Fläschchen ließ ich mich auf den Boden nieder. Mit einer Fingerkuppe stupste ich es an und betrachtete, wie es hin und her wippte. Half mir das gegen die Übelkeit?

      Zögernd griff ich danach und drehte es zwischen Daumen und Zeigefinger. Wenn es mir half, was würde das über Jaden aussagen? Was würde das bedeuten?

      Der Korken entwich mit einem leisen Plopp.

      Und wenn es mich vergiftete, was sagte das dann über mich? War ich so töricht, mit offenen Augen in die Falle meines ärgsten Feindes zu tappen?

      Zwei weitere Tage vergingen, die ich in der Zelle verbrachte. Mit Sicherheit konnte ich das aber nicht sagen. Die Dunkelheit quälte mich mit weiteren Fantasien über die Realität, in der ich steckte.

      Jaden kam nicht mehr vorbei. Stattdessen erlösten mich Wachen aus meiner noch übleren Gefangenschaft in der Kälte und brachten mich zurück zu meinen Gemächern.

      Die Flüssigkeit, die Jaden mir in die Zelle gebracht hatte, half tatsächlich. Mein Körper regenerierte sich schneller – obwohl er das im Vergleich zu den Menschen sowieso tat. Aber Jadens Mittel hatte die Übelkeit vertrieben und die Tage erträglicher gemacht.

      Mir war schleierhaft, wie ich mit dem Gefühl umgehen sollte, das dies in mir auslöste. Die Dankbarkeit darüber, dass die Übelkeit verschwand, mischte sich mit Unbehagen. Warum half mir der Prinz? Was bezweckte er damit?

      Hatte er Mitleid mit mir, als ich in dem dunklen Kerker saß? Wie empfand er dann die Ernte, die an den Goldkindern im Palast durchgeführt wurde? Zudem schwirrte der Satz, den die Wache an mich gerichtet hatte, durch meine Gedanken. Wem sah ich ähnlich? Wer war sie?

      Der Prinz verbarg etwas. Aber konnte es für mich nützlich sein, dieses Geheimnis zu lüften? In meiner Nähe befanden sich weitere Goldkinder. Nie zuvor hatte ich meinesgleichen getroffen. Ich würde gern jemanden kennenlernen, der so war wie ich. Vielleicht konnte ich den Prinzen mit der Wahrheit, die er versteckte, erpressen.

      Zeit verging, in der ich mindestens einmal täglich zur Ernte geführt wurde. Jeden Tag wartete ich in meinen Gemächern darauf, dass es wieder klopfte und erneut etwas von meinem Körper genommen wurde. Wenn sich meine Gedanken von dem Leben im Palast und dem Prinzen lösten, wanderten sie ohne Umschweife zu Saki. Wo war er? War er in der Senke geblieben? Oder war er durch den Bergtunnel in den Norden gegangen?

      Morgens vermisste ich ihn am meisten. Einige Male ertappte ich mich dabei, dass ich nach dem Aufwachen, wenn ich noch in meinem Traum festhing, vergaß, dass ich mich im Palast befand. Mein erster Impuls wollte, dass ich aufstand und zu Saki und meinem Treffpunkt eilte. Mir fehlte unser Ritual, die Sonne über dem Fluss zu beobachten, und am meisten vermisste ich sein herzliches Lachen.

      Ein Monat verstrich.

      Jaden führte mich jedes Mal zur Ernte. Die trotzige Art der ersten Begegnung hatte er abgelegt. Vermutlich wusste er, dass diese Fassade nicht mehr echt wirkte, nachdem er mir geholfen hatte. Doch er blieb kalt und undurchschaubar.

      Warum half er mir? Was verbarg er hinter dieser kalten, emotionslosen Maske?

      Wenn er mich zur Ernte brachte, ließ ich mich nicht mehr von den Wachen schleifen, sondern ging neben ihnen her. Die Wachen schnallten mich weiterhin auf die Liege, doch mussten sie mich nicht mehr festhalten und zwingen, ihnen zu gehorchen. Ich wollte den König nicht reizen und nicht wieder in der Zelle landen. Denn der Kerker schien die Gefangenschaft in all seinen düsteren Facetten zu bündeln.

      Der König besuchte mich, nachdem ich wieder in meine Gemächer gebracht worden war. Er war freundlich und redete viel. In seiner Gegenwart war ich weiterhin über seine immense Größe und Stärke schockiert. Ich war ein Käfer, den er jederzeit zerquetschen konnte.

      Schwermütig sank ich in einen der Sessel in meinem Gemach, hob den Kopf und betrachtete die Ornamente an der Decke. Ich kämpfte gegen den schweren Stein in meinem Magen an, der dort lag, seit ich mich nicht mehr mit aller Kraft wehrte. Ein bisschen fühlte ich mich, als hätte ich Grünfrey, Saki und mich selbst verraten.

      Leise klopfte es, aber meine Augen blieben weiterhin auf die Muster an der Decke gerichtet. Die Tür öffnete und schloss sich mit einem Klicken. Dann trat Jaden an den Rand meines Sichtfelds.

      »Müssen wir schon wieder los?«, fragte ich, ohne den Blick zu senken.

      »Nein …« Er setzte sich und schwieg eine Weile. Es war nicht das erste Mal, dass er mich ohne Grund besuchte. Es fühlte sich so an, als würde er meine Gegenwart suchen. Doch meistens blieb er nur kurz und verschwand wieder, bevor ich begreifen konnte, wer er wirklich war.

      Wollte er sich selbst ablenken?

      »Wie geht es dir?« In seiner Stimme schwang die Emotionslosigkeit, mit der er mir so oft begegnete, mit. Was ging hinter dieser Fassade vor sich? Welche Seite verbarg er vor mir und den Menschen in seinem Leben? Vor dem König?

      Kopfschüttelnd sah ich ihn an. »Schlecht«, sagte ich, und es stimmte. Bei der regelmäßigen Ernte entnahmen sie mir Schalen voll Blut. Meine Haut leuchtete blass, ich fror und meine Wunden regenerierten nicht mehr sofort. Es war, als würde mein Körper mittlerweile einfrieren, nur in Zeitlupe funktionieren.

      Meine Haare waren nur noch schulterlang. Etwa acht Zoll hatten sie mir über Tage hinweg abgeschnitten. Und meine Finger- und Zehennägel waren so kurz, dass die Nagelbetten bei den kleinsten Bewegungen einrissen und bluteten. Erstaunlich, dass mein Körper noch genug Blut dafür übrig hatte.

      An den Unterarmen, Beinen und Achseln rasierten sie mich, sobald mein Körper etwas hergab. Stellenweise schnitten sie mir kleine Stückchen Haut heraus. Egal welchen Teil meines Körpers ich berührte, ich traf immer einen Punkt, der noch nicht vollständig verheilt war. Jedes Mal erinnerte es mich daran, was sie mit mir machten. Dass mein Körper nicht mehr mir gehörte.

      Jaden ging zur Truhe und holte die Decke heraus. Etwas unbeholfen legte er sie mir um die Schultern, bevor er sich wieder setzte. Wieder eine Geste, die ich nicht deuten konnte. Ich konzentrierte mich auf die Wärme, die mir die Decke schenkte, und ignorierte die Gedanken, die er in mir aufwirbelte.

      Doch ich konnte nicht verhindern, dass meine Blicke zu ihm wanderten. Über das markante Profil, den abwesenden Blick.

      Der Prinz trug nur ein leichtes Hemd,


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