Knochenfeuer. Jenny Pieper

Knochenfeuer - Jenny Pieper


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Moment, bevor sich der alte Mann an den König wandte. »Ein wirklich schönes Exemplar. So jung! Und diese Augen! Ihr hattet bei Euren Erzählungen nicht übertrieben, Eure Majestät!« Das musste der Medi sein, den der König informieren wollte. Der Mann, der die Ernte durchführte.

      Der König strahlte stolz, als wäre ich sein Verdienst, und nickte. »Ich bin sehr gespannt auf die ersten Ergebnisse.«

      »Ich ebenfalls, Eure Majestät! Sie scheint ein vielversprechendes Exemplar zu sein. Ich hoffe auf positive Resultate für alle Lösungen und Mischungen.«

      Die Worte des Königs und des Medis lösten einen Schwindel bei mir aus. Ich krampfte die Hände fest zu Fäusten, während mein Herz beinahe aus meiner Brust sprang. Mein Blick wurde unscharf und ich konnte das Zittern fast nicht mehr zurückhalten.

      »Lasst mich gehen!«, presste ich hervor.

      »Keine Sorge, wir werden dir nicht wehtun! Wir entnehmen heute nur ein paar Proben für die Einstufungstests«, sagte der Alte und nickte eifrig. »Wollen wir doch mal sehen …«, murmelte er, während er einige Schalen und Gläser auf einem Tisch bereitstellte.

      Während er sich für die sogenannten Einstufungstests vorbereitete, lag ich festgeschnallt auf der Liege und wand mich. Die Wachen drückten mich an den Schultern und Knien gegen den kalten Stoff. Der Alte nahm ein Messer aus einem der Regale und trat neben mich.

      Unter größter Anstrengung versuchte ich mich zu bewegen. Doch mein Körper rührte sich kein bisschen, war wie eins dieser befestigten Modelle in einem Schaukasten. Meine Versuche, mich zu befreien, waren aussichtslos. Ich war ihm hilflos ausgeliefert.

      Er schnitt mit einem kleinen Messer in meine Armbeuge und ich kniff vor Schmerz kurz die Augen zusammen. Langsam quoll Blut hervor und tropfte in eine Schale, das Messer legte er zur Seite, bevor er mir die Wunde verband.

      Dann kürzte er meine Finger- und Fußnägel. Vergeblich versuchte ich, Finger und Zehen zu krümmen und sie so dem Medi zu entziehen, doch die Wachen hielten meine Hände und Füße in einem eisernen Griff. Der Medi sammelte die Hornreste in einer kleinen Dose und stellte sie zur Blutschale. Anschließend schnitt er eine meiner schwarzen Haarsträhnen ab und wickelte sie auf. Auch sie legte er beiseite.

      Dieser Moment war schrecklicher, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Zwar fügten sie mir nur wenig körperliche Schmerzen zu, doch diese Hilflosigkeit, mit der ich es über mich ergehen lassen musste, brannte in jeder Faser meines Körpers. Panik und Angst wechselten sich ab und über allem lag diese Taubheit, mit der ich beobachten musste, wie sie sich nahmen, was immer sie wollten.

      Als sich der Medi wieder an mich wandte, hielt er ein hellgrünes Blatt einer mir unbekannten Pflanze zwischen seinen Fingern. Der Stiel schimmerte leicht bläulich, ebenso die Mittel- und Seiten­rippen, die in feinen Wellenlinien zum Blattrand führten. »Jetzt bitte den Mund aufmachen! Wollen mal sehen, wie viel Magie in deinem Speichel ist.«

      Mir drehte sich der Magen um, als ich mir vorstellte, dass sie sogar meinen Speichel verwendeten. Ich presste die Lippen fest aufeinander. Der Medi versuchte meinen Mund zu öffnen, doch ich wandte den Kopf ab und versuchte ihm zu entkommen.

      Jaden kam dem Medi zu Hilfe, fixierte meinen Kopf auf der Liege. Ich kämpfte gegen den Griff an. Panik durchflutete mich, als meine Muskeln zu zittern begannen. Wir rangen einige Herzschläge und schließlich öffnete der Medi meine Lippen ein Stück. Tränen sammelten sich in meinen Augenwinkeln und ich blinzelte.

      Er schob das Blatt in meinen Mund und es glitt an meinem Zahnfleisch entlang in meine Wange. Sein Daumen und Zeigefinger strichen bei der Bewegung leicht über meine Zähne. Diese Menschen nahmen keine Rücksicht auf mich, ein Mädchen, das hier auf der Liege festgeschnallt lag. Für sie war ich nur ein Objekt der Ernte. Ich ballte die Hände zu Fäusten, die nicht länger im Griff der Wachen gehalten wurden. Die Schnallen rieben an meinen Handgelenken, während ich zitterte.

      Alles, was ich empfand, war Hass. Auf diesen Ort, diese Menschen und ihre Ernte.

      Als Jaden den Griff an meinem Kopf einen kurzen Augenblick lockerte, biss ich zu. Meine Zähne bohrten sich in warmes Fleisch und der Geschmack von Blut breitete sich in meinem Mund aus. Der Medi stieß einen erstickten Schrei aus. Jaden fluchte und versuchte, meine Kiefer aufzudrücken.

      »Schnell, das Schlafpulver!«, brüllte der Medi. Der König trat in mein Sichtfeld und hielt dem Medi eine Schüssel mit einem hellen Pulver hin. Den Zeigefinger der freien Hand bestäubte der Alte mit dem Puder, ehe er es mir in die Nase rieb.

      Ein Brennen breitete sich aus und wanderte blitzschnell bis hinter meine Stirn. Unter dem Schmerz zuckte ich zusammen, ließ seine Finger jedoch nicht frei. Als mein Blick auf den König fiel, schnappte ich nach Luft und verschluckte mich an dem fremden Blut in meinem Mund. Ich hustete und der Medi entzog mir seine Finger. Das Bild, das der König abgab, war beängstigend. Seine Augen loderten voller Wut und jede Freundlichkeit war daraus entwichen. Er starrte mich an wie einen ungezogenen Köter, den er mit Schlägen zu züchtigen gedachte.

      »Testet den Speichel. Dann werft sie für ein paar Tage in den Kerker«, donnerte seine Stimme wie eine Urgewalt über uns hinweg.

      Mein Körper wurde schwer und mir wurde schwummrig vor Augen. Der Medi legte das blutbefleckte Blatt zur Seite, ehe er mir ein neues in den Mund schob. Als er es hervorzog, war das helle Grün einem leuchtenden Orange gewichen, auf dem die Rippen wie blaue Adern wirkten. Danach schnallten sie mich los und die Wachen schleiften mich aus dem Raum.

      Beide Wachen stützten mich, denn ich hatte nicht mehr genug Kraft, allein zu laufen. Jaden ging voraus. Doch anstatt die Treppen nach oben zu nehmen, führte er uns weiter hinab. Wir gelangten auf einen Korridor, dessen Wände aus Gitterstäben bestanden. Hinter den Stäben befanden sich kleine Zellen mit jeweils einer schmalen Pritsche.

      Die Verliese, an denen wir vorbeigingen, waren unbelegt. Es war unheimlich still. Irgendwann blieb Jaden stehen. »Hier«, sagte er und eine der Wachen ließ von mir ab und öffnete eine Tür. Ich sackte im Griff der anderen zusammen, die mich in die Zelle schleifte. Die Wache legte mich auf die dünne Matte und verließ den Raum. Jaden blieb neben mir stehen. »Jetzt hast du keine große Klappe mehr«, stellte er mit Genugtuung fest.

      Wie ich ihn und die Eisenmänner verabscheute! Am liebsten würde ich sie mit eigenen Händen ausrotten, dachte ich. Doch für jegliche Erwiderung fehlte mir die Kraft. In mir gab es keinen Trotz und keine Stärke mehr. Nur noch Wut und Trauer. Ich wollte allein sein. »Verschwindet!«, lallte ich benebelt.

      Jaden setzte sich auf die Kante der Pritsche und strich mir die Haare aus dem Gesicht. »Du dummes Ding«, sagte er und schnaubte. »Wir werden noch viel Spaß miteinander haben, wenn du so weitermachst. Ihr Goldkinder steht unter meiner Aufsicht.«

      Es frustrierte mich, dass sich wieder Tränen in meinen Augen sammelten und über meine Wangen rollten. Diese Genugtuung war das Letzte, was er verdiente.

      Irritiert zuckte er zusammen. Sein Grinsen verschwand, wandelte sich in eine steinerne Miene und er stand auf.

      »Warum?«, flüsterte ich, bevor ich mich zurückhalten konnte. »Ihr habt mir alles genommen. Meine Familie und meine Heimat. Jetzt nehmt Ihr Euch auch noch von meinem Körper, was Ihr wollt. Das ist nicht gerecht. Ich habe Euch nichts getan.«

      »Bilde dir nicht zu viel darauf ein«, antwortete Jaden. »Es liegt nicht an dir. Sondern an dem, was du bist.«

      Lautlose Schluchzer schüttelten mich und ich ballte die Hände zu Fäusten. »Ich habe mir nicht ausgesucht, wer ich bin.« Ich packte ihn am Saum seines Hemdes und er erstarrte. »Lasst mich einfach gehen.«

      Langsam drehte sich Jaden um. Seine Augen fixierten mich eiskalt und verbargen jede Emotion vor mir. Was dachte er? Wo war seine Menschlichkeit?

      Ohne ein Wort ließ er mich zurück.

      Was sollte er schon wollen? Er dachte sicher nur an die Kraft, die ich ihm verleihen würde.

      7


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