Knochenfeuer. Jenny Pieper

Knochenfeuer - Jenny Pieper


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      Kindra

      Eine ungewollte Bekanntschaft

      Der Wind streifte über meinen Körper und ließ mich frösteln. Ich versuchte die Augen zu öffnen, doch meine Energie schien im Fluss ertrunken zu sein. Unter mir spürte ich Gras und kalten Matsch. Wo bin ich?

      Meine Erinnerung an die Ereignisse des Tages brachen langsam über mich herein und ich wollte am liebsten schreien oder weinen. Doch mein Körper fühlte sich an wie Blei. Meine Glieder lagen schwer und schlaff auf dem Boden und hielten mich in meiner Panik fest.

      »Da«, sagte eine Frau und kurz danach spürte ich Hände auf meinem Körper. Sie tasteten über meinen Kopf, meine Arme und meine Hüfte. Als sie die Stelle erreichte, an der mein Messer hing, zog sich meine Brust schmerzhaft zusammen.

      Nicht das Messer!

      Sie löste den Knoten und der gewohnte Druck der Scheide verschwand von meiner Seite.

      »Nein«, krächzte ich und war erstaunt, dass ich einen Ton herausbekam. Das Messer war alles, was mir von Kork und Noba geblieben war. Das mich mit meiner Vergangenheit, mit ihnen verband.

      »Die lebt noch«, sagte die Frau erstaunt. Ein zweites Paar Hände griff nach mir. Finger legten sich auf meine Lider und zogen sie einen Spalt auf. Ich schnappte röchelnd nach Luft, doch ich konnte mich nicht dagegen wehren. Über mir erkannte ich zwei Gestalten, die sich zu mir herunterbeugten. Als hätten sie sich verbrannt, zuckten ihre Finger zurück.

      »Das is’ ein Goldkind!«, rief ein Mann überrascht aus, um kurz danach in Gelächter auszubrechen. »Verdammt, wir werden reich!«

      Seile waren um meine Handgelenke gebunden und rieben meine Haut wund. Ein Tuch verband mir die Augen. Es roch modrig und fühlte sich klamm auf der Haut an. Meine Beine stolperten über den Boden und ich verbrauchte die wenige Energie, die mein Körper versuchte zu regenerieren. Benommen taumelte ich dem Zug des Seils hinterher. Die Strapazen des Tages forderten ihren Tribut. Mein Körper gab unter der Beanspruchung seiner Heilkräfte langsam nach und sperrte mich in ein Gefängnis aus Taubheit. Ich unterdrückte ein Gähnen, während in mir ein Sturm aus Gefühlen tobte. Grünfrey war zerstört, Noba und Kork tot. Und Saki? War er in Sicherheit? Würde ich ihn jemals wiedersehen?

      Ich lauschte auf die Geräusche um mich herum. Tiefe Stimmen von Männern und leises Wimmern vermischten sich zu einem kaum definierbaren Brei. Doch das Feilschen war unverkennbar.

       Sie werden mich verkaufen.

      Mein Magen krampfte sich zusammen und ich erbrach mich vor meine Füße. Einige Tropfen landeten auf meinen Händen. Angewidert wollte ich sie an meinem Oberteil abwischen, doch der Zug des Seils war zu kräftig.

      Jemand packte mich an den Haaren. Ich biss die Zähne zusammen und versuchte, den sauren Geschmack hinunterzuschlucken, der auf meiner Zunge lag.

      Meinen Kopf wurde nach hinten gerissen und ich japste erschrocken nach Luft. Etwas Hartes wurde gegen meine Lippen gepresst.

      »Trink!«, befahl eine Stimme. Eine Flüssigkeit lief mir über die Lippen und an meinem Hals hinab. Gierig trank ich einige Schlucke, doch die Flasche verschwand zu schnell wieder.

      Ob Saki ahnte, dass ich noch lebte? Unruhig scharrte ich mit den Füßen und kämpfte gegen die Anspannung an, die sich in mir ausbreitete. So lange war ich geflohen. Die Vorstellung, versagt zu haben, raubte mir fast die Luft zum Atmen. Ich wollte zurück nach Grünfrey! Zurück nach Hause.

      Während die Verkaufsgespräche an Eifer zunahmen, senkte ich den Kopf. Wohin führte Sakis Weg, jetzt, da Grünfrey zerstört und ich verschwunden war?

      In meinen Gedanken tauchte das Bild seines entschlossen wirkenden Gesichtes auf. Die blauen Augen mit diesem Funkeln, wenn eine Geschichte nicht so endete, wie er es sich wünschte. Würde er es sich in den Kopf setzen, mich zu suchen? Fest presste ich die Lippen aufeinander und kämpfte gegen das wehmütige Lächeln an, das dieser Gedanke in mir auslöste.

      Die Männer einigten sich auf einen Preis und beendeten damit das Warten. Ihren Gesprächen entnahm ich, dass mit mir einige Mädchen und Kinder in die Eisendynastie verkauft wurden.

      Gewimmer ertönte, vermischte sich mit dem Knarren eines Holzwagens und dem Schnauben einiger Pferde. Jemand zerrte an meinem Seil und wickelte es mir um den Bauch. Das gab mir ein bisschen Bewegungsfreiheit zurück und ich konnte meine Hände heben. Ich wischte sie an meinem Hemd ab, auch wenn mein Erbrochenes mittlerweile getrocknet war. Zwei Personen packten mich und trugen mich einige Schritte, bevor sie mich wieder ablegten. Unter mir befand sich Holz, das kurz danach monoton zu schaukeln begann.

      Ein Wagen brachte mich offenbar aus dem Schwarzen Markt fort. Den Geräuschen nach zu urteilen überquerten wir den Fluss und befuhren eine befestigte Straße. Ein paar Mal wurde der Wagen angehalten, damit die menschliche Ware ihre Notdurft am Wegrand verrichten konnte oder etwas zu essen oder zu trinken bekam. Trotzdem stank es auf dem Wagen schnell nach Urin und Erbrochenem. Auch ich konnte es einmal nicht mehr halten. Scham und Angst trieben mir Tränen in die Augen. Unter dem Tuch konnte immerhin niemand sehen, dass ich weinte. Ich hasste die Männer, die mich gefangen hatten. Meine Augen, weil sie mich in diese Lage gebracht hatten. Aber am allermeisten hasste ich es, so hilflos zu sein.

      Irgendwann schlief ich ein, erwachte aber kurz danach wieder, als ich ausgeladen wurde. Arme zerrten mich hoch und warfen mich in den Staub. Ich hustete, vor Müdigkeit brannten meine Augen unter dem modrigen Tuch und ich wand mich in meinen Fesseln. Neun Jahre hatte ich in der Angst gelebt, gefangen zu werden. Neun weitere Jahre verbrachte ich in einem friedlichen Dorf. Doch mein Schicksal hatte mich eingeholt.

      »Pass auf, du Vollidiot! Die ist für den Königshof.«

      »Die wird schon nicht zerbrechen«, antwortete ein Mann und zerrte mich auf die Füße. Er wickelte das Seil von meinem Bauch und meine Handgelenke brannten, als sich meine Fesseln bewegten. Der Zug ließ nach und ich versuchte mich loszureißen. Als Antwort erntete ich nur eine kräftige Ohrfeige und fiel zurück in den Dreck. Der Schlag brannte auf meiner Wange und hallte in mir wider. Doch er war nicht mit dem Schmerz in meiner Brust zu vergleichen. Jemand schulterte mich und trug mich von den Geräuschen davon. Als mir endlich die Augenbinde abgenommen wurde, blendete mich die Sonne. Doch ich war nicht im Freien. Die Strahlen fielen durch ein gläsernes Dach und spiegelten sich auf einer kreisrunden Wasseroberfläche. Die Badewanne befand sich in der Mitte eines Waschraums, in den ich gebracht worden war. Selbst diese Wanne war größer als alle bisherigen Bäder, die ich zu Gesicht bekommen hatte.

      »Wasch dich«, sagte der Mann, der mich anscheinend hergetragen hatte. Er war der erste Eisenmann, den ich sah, doch hatte er nichts mit den kalten Männern gemein, die ich aus meiner Fantasie kannte. Er wirkte wie ein herkömmlicher Bandit, hatte grau meliertes Haar und einen langen schwarzen Bart. Ein bisschen erinnerte er mich an Kork. Mein Herz krampfte sich zusammen, doch ich rührte mich nicht.

      Der Mann riss mir das zerlumpte Hemd auf. »Wasch dich!«, sagte er wieder. Diesmal wütend.

      Mit gebleckten Zähnen hielt ich den Stoff vor meiner Brust zusammen und spuckte ihm als Antwort vor die Füße. Ich würde keinem Eisenmann gehorchen.

      Der Mann schlug mir mit der Faust ins Gesicht. Meine Lippe platzte auf und ich kippte nach hinten. Sterne blitzten auf und tanzten vor meinen Augen. Ich war erschöpft, doch mein Körper begann zu prickeln und meine Wunde zu heilen.

      »Was zur Hölle tust du da?«, rief eine weibliche Stimme. Eine breitschultrige Frau kam zu uns geeilt und half mir auf. Von ihrer Statur her sah sie dem Mann zum Verwechseln ähnlich. »Verschwinde!«, zischte sie und bedeckte meine Blöße.

      Der Mann verließ das Badehaus und ich versuchte, mich aus dem Griff der Frau zu


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