Knochenfeuer. Jenny Pieper

Knochenfeuer - Jenny Pieper


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die Luft an. »Ich würde es nie wagen, ihr zu widersprechen. Aber ich bin in Versuchung, dich nicht loszulassen.«

      Seine Worte zauberten mir ein Lächeln ins Gesicht, das so ehrlich und leicht war, dass ich glaubte zu schweben.

      »Ich verspreche dir, dass wir morgen da weitermachen, wo wir heute aufgehört haben«, flüsterte ich und Hitze stieg mir in die Wangen.

      Konnte es sein, dass Saki mehr für mich empfand?

      »Ich werde heute Nacht kein Auge zutun«, raunte er. »Bis morgen.«

      »Bis morgen«, bestätigte ich und ließ tausend Worte ungesagt. Seit wann war das so? Mein Herz schlug schnell, als ich Saki einen flüchtigen Kuss auf die Wange drückte und ihn dann widerwillig zurückließ.

      Die Sonne stand hoch am Himmel, als ich seufzend den Blick hob. Es war weit nach Mittag. Wenn ich die Augen schloss, sah ich wieder Sakis Gesicht so nah vor meinem.

      »Bringst du das bitte zu den Karens und kommst mit Saki zurück? Ihr müsst mir beim Tragen helfen.« Noba riss mich in die Gegenwart zurück und hob eine der Kisten hoch, die neben ihr im Gras standen. Ihre olivfarbene Haut glänzte im Sonnenlicht und ihr schwarzes Haar fiel ihr verschwitzt in die Stirn. Die Kisten waren mit verschiedenen frisch geernteten Früchten gefüllt, die allein aus unserem Garten stammten. Die Sonne ließ die Aussaat sprießen und ermöglichte es, ganzjährig zu ernten. Seit wir hier lebten, hatte ich nicht mehr gehungert.

      Noba reichte mir die kleinste Kiste, die mit Erdbeeren gefüllt war.

      Sakis kleiner Bruder wird vor Freude platzen, dachte ich und grinste in mich hinein. Beim Gedanken daran, Saki nach unserem Versprechen gleich wiederzusehen, färbten sich meine Wangen rot.

      Ohne weiteres Zögern eilte ich los. Von unserem Vorgarten bis zu Sakis Hütte war es nicht weit. Mit der Kiste in den Händen rannte ich über zwei Hügel, bis die Hütte in Sichtweite kam. Saki stand mit seinem Vater vor der Tür und sein Haar leuchtete golden im Sonnen­schein. Sein Anblick ließ mein Herz straucheln und ich grinste, während ich näher kam. Er war perfekt.

      Sein Vater sah wie eine kleinere und ältere Version von Saki aus. Doch die Jahre auf den Feldern unter der magischen Sonne ließen ihn jünger wirken, als er tatsächlich war. Die beiden unterhielten sich und wirkten dabei angespannt.

      »…zu still«, hörte ich Saki noch sagen, bevor sie ihr Gespräch unterbrachen und mich musterten, als ich sie erreichte. Im Vorbei­gehen begrüßte ich die beiden, brachte die Kiste in die Hütte und stellte sie auf den Tisch. Im Wohnraum reihten sich Blumentöpfe vor den Fenstern aneinander und bunte Decken und Kissen stapelten sich an einer Wand. Ich liebte diesen Raum, die heimelige Atmosphäre, die ich in all den Jahren auf der Flucht vermisst hatte. Wie gern hätte ich mich jetzt in den kuscheligen Kissenberg hineinfallen lassen und den restlichen Tag gefaulenzt. Aber Noba wartete, also wandte ich mich ab und wollte die Hütte verlassen. Plötzlich erklangen Schreie und ich erstarrte. Sie kamen aus dem Osten, der Richtung, in der die Eisendynastie lag. Das Blut verwandelte sich in meinen Adern zu Eis. Hatten sie uns gefunden? Nach all den Jahren?

      »Kindra!«, rief Saki von draußen. Seine Stimme klang belegt. Ich rannte aus der Hütte, prallte mit ihm zusammen und sah in seine geweiteten Augen. Die Schreie waren verebbt und eine unheimliche Stille lag über dem Dorf.

      Saki nahm meine Hand und zog mich an sich. Mein Herzschlag beschleunigte sich und ich sog seinen vertrauten Duft in mich auf. Doch er konnte die Angst nicht vertreiben, die die Schreie in mir erweckt hatten.

      Grünfrey war friedlich, Grünfrey war sicher. Die Sonne schützte uns.

      So viele Jahre waren in Ruhe vergangen. Das hier war nur ein falscher Alarm. Oder?

      »Ich bringe sie weg!«, sagte Saki zu seinem Vater und zog mir die Kapuze über den Kopf. Beinahe hatte ich vergessen, dass dieses Stück Stoff existierte.

      »Geht zum Schneegipfel und versteckt euch in der Höhle. Ich hole die anderen und dann folgen wir euch.« Sakis Vater hatte die Augenbrauen zusammengezogen, eine tiefe Furche durchzog seine Stirn. Seine Worte hallten befremdlich in meinem Kopf wider. Diesen Schutzplan hatten wir vor so vielen Jahren entwickelt. Dass er jemals greifen würde …

      Ich versteifte mich. »Noba wartet auf uns und ich weiß nicht, wo Kork ist.«

      Saki ging einen Schritt zurück und packte meine Oberarme. Seine blauen Augen blickten mir voller Furcht entgegen. »Sie werden nachkommen. Wir müssen dich verstecken, zur Sicherheit.« Er zog mich an der Hand aus dem Dorf hinaus zu den westlichen Hügeln. Der Eingang zum Bergpfad lag nordwestlich des Dorfes. Widerwillig setzte ich meinen Körper in Bewegung.

      Geduckt liefen wir hinter den Grashängen entlang nach Norden, und als wir einen besonders hohen Hügel passierten, legte sich Saki auf den Bauch und kroch zur Hügelkuppe. Ich tat es ihm nach. Wir sahen vorsichtig zum Dorf zurück und ich glaubte zu träumen.

      Das Bild, das sich uns bot, konnte nur einem Albtraum entsprungen sein!

      Das gewohnte Flimmern der Sonnenmagie war stellenweise verschwunden und ein großes Loch klaffte über dem Grenzfluss. Der Hayes erhob sich, als würde er anschwellen, jeden Augenblick mehr Wasser in sich aufnehmen. Er baute sich wie eine Mauer auf. Ein Grollen fegte unheilvoll über das Dorf, der Fluss schlug wie ein Ungeheuer um sich. Er bäumte sich auf und brach auf das Dorf nieder, begrub alles unter seinen Wassermassen. Schreie ertönten und brachen ab. Die Häuser zerbarsten und wurden vom Fluss mitgerissen.

      Nach kurzer Zeit war Grünfrey zerstört und von Wasser bedeckt. Die Flut hielt sich wie in einer Glasglocke über dem Dorf.

      Warum sich Saki bewegen konnte und nicht wie ich erstarrt auf die unerbittliche Flut starrte, war mir schleierhaft. Er zerrte mich mit sich, während ich mich daran zu erinnern versuchte, wie Atmen funktionierte.

      Der Ort, der für mich mehr Heimat gewesen war als jeder andere zuvor, war fort. Noba. Kork. Was war mit ihnen?

      Wir erreichten den Fuß des Schneegipfels, den höchsten Berg im Norden mit weißer Krone. Der Pfad zur Höhle nahm seinen Anfang in einer kleinen, versteckten Felsspalte. Er schlängelte sich bis zur Kuppe hinauf, verborgen zwischen der steilen Felswand des Berges und teilweise künstlich angelegtem Gestein, das an eine Mauer erinnerte. An manchen schwer zugänglichen Stellen verlief der Pfad ungeschützt und wirkte mehr wie eine Brücke oder offene Plattform. Dann befand sich unter dem Weg nur wenig Gestein.

      Ein Grund, warum mir hier immer etwas mulmig zumute war.

      In unregelmäßigen Abständen ermöglichten in die Außenmauer gehauene Löcher einen Blick hinaus zu der nun überschwemmten Hügellandschaft. Der Pfad existierte angeblich seit Jahrhunderten und wurde von den Einwohnern Grünfreys gehegt und gepflegt. Es gab stets etwas zu tun, da der Berg ewig in Bewegung zu sein schien.

      Geduckt eilte ich Saki hinterher, der den Weg hinaufhechtete. Unsere Schritte wurden schneller, während der Fluss zu unserer Rechten mit ohrenbetäubendem Rauschen tobte. Der Wasserspiegel stieg weiter an, und als wir die Höhle erreichten, schwappten die Wasser­massen wenige Fuß unter uns gegen die Felswand. Nur ein paar Hügel ragten aus dem wild gewordenen Fluss empor.

      Zitternd legte ich meine Hand in Sakis. Er verschränkte seine Finger mit meinen, ohne mich anzusehen. Sein Blick war in die Ferne gerichtet und seine Mundwinkel zuckten wütend. Eine dunkle Vorahnung braute sich in mir zusammen, als ich seinem Blick folgte. Keuchend schlug ich die freie Hand vor den Mund. In der Eisen­dynastie, auf der anderen Seite des Hayes, standen etwa dreißig Personen, die von hier nur wie kleine gesichtslose Puppen wirkten. Zehn von ihnen hatten sich am Grenzfluss aufgestellt und ihre Hände erhoben. Die Luft vor ihnen vibrierte und schwarze, flackernde Fäden verwoben sich mit dem Fluss. Weitere dunkle Schlieren hielten das Loch in der Kuppel aus Sonnenmagie geöffnet. Die Magier der Eisendynastie. »Goldmagier«, keuchte ich. Wie hatten sie mich gefunden? Suchten sie mit ihrer Magie nach mir? Wie hatten sie die Magie der Sonne brechen können?

      Schon


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