Knochenfeuer. Jenny Pieper

Knochenfeuer - Jenny Pieper


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      »Und wenn wir alle aus dem Dorf vertreiben müssen und es uns allein gemütlich machen«, fügte Noba hinzu.

      Ich lächelte und schüttelte den Kopf. »Das können wir nicht machen!«, rief ich aus und kicherte. Die Vorstellung, dass Noba und Kork mich verteidigten, gab mir Mut. Doch was genau würde mich erwarten, falls ich doch in die Hände der Feinde gelangte? Die Eisenmänner wollten das Blut und Körperteile der Goldkinder für ihre Goldmagier. Würden sie mich foltern? Mir wehtun? Mich töten, um zu bekommen, was sie wollten?

      Als wir das Dorf erreichten, erkannte ich das Symbol der Sonne an den Hütten über jedem Eingang. Es schien überall zu sein. In der Mitte des Marktplatzes stand eine Säule, auf der eine steinerne Sonne thronte.

      »Bei der Kraft der Sonne!«, rief eine Frau aus und schnell scharte sich eine Menschentraube um uns. »Willkommen!«

      Die Menschen redeten wild durcheinander und bald begrüßte uns ein Kanon etlicher Stimmen. Ich klammerte mich an meine Kapuze, während Kork mit einer Frau sprach, die uns in ihr Gasthaus einlud.

      Ich spürte die Begeisterung der Umstehenden, die wild durch­einanderredeten.

      »Die Sonne hat uns neue Einwohner geschenkt!«

      »Gepriesen sei ihre Macht!«

      »Neue Seelen in unserem Zuhause!«

      Leiser ertönte eine Kinderstimme: »Habt ihr Geschichten mitgebracht?«

      Als mich eine kleine Hand berührte, die zu der Stimme gehören musste, zuckte ich zurück und hob den Kopf. Eine Angewohnheit, die ich eigentlich gut unter Kontrolle hatte.

      Ich starrte in die blauen Augen eines blonden Jungen, der vermutlich so alt war wie ich. Als er mein Gesicht sah, öffnete er den Mund zu einem Oh. Mein Herz hüpfte und ich machte mich bereit für seine Reaktion. Doch sie war anders, als ich erwartet hatte.

      »Sind die echt?«, raunte er und zeigte auf mein Gesicht. Er meinte meine goldenen Augen. »Sie sind so schön!«

      Hastig senkte ich den Kopf und krallte die Finger in meine Kapuze. Doch meine Mundwinkel gehorchten mir nicht und ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen.

      »Ich bin Saki!«, plapperte der Junge weiter. Er wandte sich an eine andere Person. »Dürfen wir an den Fluss spielen gehen?«

      »Saki«, schalt ihn die Frau, die mit Kork über das Gasthaus gesprochen hatte. »Lass unsere Gäste erst einmal ankommen. Sie haben bestimmt Hunger.«

      »Dann nach dem Essen!«, beharrte er und wieder musste ich grinsen.

      »Wir wollten das eigentlich etwas dezenter ansprechen«, Nobas Stimme ertönte. »Ihre Identität …« Ich spürte, wie mich mehrere Blicke trafen.

      Doch der Junge lachte nur. »Es ist egal, wer du bist. Meine Mama sagt, bei uns im Dorf gibt es nur eine Regel: Hilfst du mir, helfe ich dir!«

      Von da an waren Saki und ich unzertrennlich.

      2

      Kindra

      Ein letztes Lächeln

      Stille lag über Grünfrey, dem Versteckten Dorf, während sich die Sonne von ihrem tiefsten Stand, halb über, halb unter dem Horizont, langsam wieder in den Himmel hob. »Ich liebe es.« Ich seufzte und betrachtete das Farbenspiel in den Wolken, das sich auf der Wasser­oberfläche des Hayes spiegelte und mit den goldenen Schlieren der Sonnenmagie vermischte.

      Trotz der Schönheit der Dämmerung und der nie untergehenden Sonne wandte ich den Blick ab und betrachtete den Jungen neben mir, der mindestens genauso schön war. Die satten Sonnenstrahlen ließen Sakis blonde Haare in einem warmen Orange schimmern. Mein Blick wanderte über seine Arme, die von der Feldarbeit drahtig und stark waren. Zwischen den Fingern drehte er den kleinen Holzvogel, den ich vor neun Jahren geschnitzt hatte.

      »Du hast ihn immer noch?«, fragte ich und Hitze stieg in meine Wangen.

      Er hielt den Blick auf den Fluss gerichtet, während ein kleiner Windstoß das Leinenhemd gegen seinen Oberkörper drückte. »Er ist mein Glücksbringer«, antwortete er und schob ihn in seine Hosen­tasche.

      Mein Blick fuhr sein Profil nach und als er grinste, wurde mir mein Herz leicht. Er nahm einen Stein und warf ihn in den Grenzfluss. Die Wasseroberfläche schlug kleine Wellen, bevor sie sich wieder beruhigte und die Strömung ihre gewohnten Muster zog.

      Seit dem Tag meiner Ankunft war dies unser Ritual. Jeden Morgen, bevor das Dorf erwachte und wir unseren Pflichten auf den Feldern nachgingen, trafen wir uns hier.

      »Ich wollte es nicht glauben«, sagte ich mit einem Lächeln und sah in Sakis Gesicht, tauchte in seine blauen Augen ein, mit denen er mich intensiv musterte.

      Er lachte und mein Herz begann wilder zu schlagen. »Ich erinnere mich an die ersten Nächte, die du stur hier gesessen hast.« Seine Augen nahmen einen verträumten Ausdruck an, während er auf das Ufer zeigte.

      Ich senkte den Blick, spürte, wie meine Wangen brannten. Wenn ich ihn noch länger betrachtete, würde wieder dieser Wunsch erwachen, ihn küssen zu wollen. Doch für diesen Schritt war ich noch nicht bereit. Meine Blicke wanderten daher über die Wiese, auf der wir saßen, und ich betrachtete die Welt, die außerhalb der magischen Kuppel lag. Der Hayes und die Eisendynastie. Die Grünfläche am anderen Flussufer wurde in etwa fünfzig Yards von einem Wald abgelöst.

      »Wie oft habe ich dir geschworen, dass die Sonne hier nicht untergeht?«

      »Hunderte Male.« Ich kicherte.

      »Und wie oft wolltest du mir nicht glauben?«

      »Hunderte Male.«

      Diesmal lachte er. Er ließ sich zurück ins Gras fallen und ich legte mich neben ihn. Sein Körper strahlte eine Wärme ab, die mir eine Gänsehaut über die Arme jagte.

      Unsere Finger berührten sich fast und wenn ich mich nur etwas bewegte, könnte ich seine Hand halten.

      Stur sah ich in den Himmel, tastete mich langsam voran. Als sich unsere Hände trafen, sah ich aus dem Augenwinkel, wie Saki den Kopf drehte. Ich hielt die Luft an und wartete auf seine Reaktion.

      Er wandte das Gesicht wieder dem Himmel zu, doch ganz vorsichtig verschränkte er seine Finger mit meinen.

      Mein Herz stolperte, setzte einen Schlag aus und pochte dann umso kräftiger. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich auf diese Berührung, nahm diesen Moment in mich auf und vergaß beinahe, wie schwierig der Weg bis hierher gewesen war.

      »Neun Jahre ist es her«, raunte Saki, als würde er meine Gedanken erahnen.

      Ich brummte zustimmend.

      »Ich bin froh, dass du uns gefunden hast.«

      Er drückte meine Hand und ich öffnete die Augen. Als ich mich ihm zuwandte, blickte ich ihm direkt ins Gesicht. Er war nur ein paar Zoll entfernt. Saki, der Junge, den ich insgeheim liebte. Mein Zuhause.

      Die Welt um uns herum schien stillzustehen. Das Plätschern des Wassers und die Gesänge der Vögel verschwanden in den Hintergrund und das einzige Geräusch schien mein zu lauter Herzschlag zu sein.

      Wollte er es auch?

      Dachte er auch daran, mich zu küssen? Mich, ein Goldkind?

      Er lächelte und rückte ein Stück näher an mich heran. »Du bist so …«, flüsterte er.

      Doch bevor er sagen konnte, was ich war, rief jemand meinen Namen. Ich schreckte auf und sprang auf die Füße. Noba stand am Dorfrand, einen Korb in den Händen.

      »Die Pflicht ruft.« Sie winkte mich zu sich.

      Saki


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