Knochenfeuer. Jenny Pieper
wurde ich vom Sandvolk überfallen, ein Pfeil traf mich in die Schulter und ich stürzte eine Düne hinab.« Noba legte ihre Wange auf mein Haar und lachte kaum hörbar. »Kork war mir gefolgt, weil er dachte, er könne mir den Schatz abnehmen. Doch er rettete mich. Er trug mich zwei Tage lang durch die Wüste.« Beim Klang seines Namens gab Kork ein brummendes Geräusch von sich. Ob er uns zuhörte?
In Nobas Stimme schwang Zuneigung mit, als sie weitersprach: »Er hätte mich zurücklassen können, aber er hat es nicht getan. Stattdessen floh er mit mir vor dem Sandvolk. Wir rasteten in einer kleinen Ruine im Westen der Wüste und Kork fand dort ein großes goldenes Ei.«
Ich hielt die Luft an, wie jedes Mal an dieser Stelle, bevor Noba die Worte aussprach, mit der sie die Geschichte beendete und mein Leben begann.
»In diesem Ei warst du.«
Am nächsten Morgen rüttelte mich Kork wach. Ich rieb mir die Augen und setzte mich auf. Der Feuerschein tanzte in den Schatten der Höhle. Ich robbte näher und rieb die Hände gegeneinander, bevor ich sie vor den Flammen wärmte. Draußen herrschte diesiges Licht und langsam herabfallende, schwere Tropfen perlten vom Eingang der Höhle.
»Wir gehen bald weiter«, sagte Kork und ich rollte als Antwort meine Decke zusammen. Nachdem ich das Bündel festgeschnürt hatte, stopfte ich es in meinen Beutel und legte diesen an die Wand.
»Hast du schon Frühstück gemacht?«, fragte ich ihn und sah wieder nach draußen. Der Regen hatte fast aufgehört, aber nur fast. Weniger als jetzt wurde es nie. Ich hatte den Ewigen Regen satt. Viel mehr mochte ich die Wüste, in der wir die ersten Jahre verbracht hatten. Am liebsten würde ich dorthin zurückkehren. Doch im Regen konnte ich mich gut unter meiner Kapuze verstecken. Trotzdem war das steinerne Tal, in dem dieses schreckliche Wetter herrschte, unsicher. Es war egal, wo ich mich aufhielt. Überall lebte ich in Gefahr.
Kork brummte und schüttelte seine nassen Haare. Der spitze Bart, der ihn als Krieger auszeichnete, war verwachsen und krumm, während sein Körper weiterhin verriet, wie unglaublich stark er war.
»Ich bin bestimmt eine Stunde in der Kälte herumgeirrt. Ohne Erfolg.«
Ich seufzte, setzte mich nah ans Feuer und starrte in die Flammen. Noba war noch unterwegs und ich hoffte, dass sie fündig wurde. Mein Magen zog sich bei dem Gedanken zusammen, schon wieder auf Essen verzichten zu müssen.
Kork ließ sich neben mir nieder und reichte mir einen dicken, kurzen Ast, der neben dem Feuer zum Trocken gelegen hatte. »Zirbelholz«, sagte er und nahm sich einen zweiten. Aus einer kleinen Scheide an meiner Hüfte holte ich das Messer hervor, das ich mit Kork zusammen hergestellt hatte. Die Klinge war aus einem schimmernden schwarzen Stein, den wir in der Wüste gefunden hatten. Das Material war so fest, dass wir es nur bearbeiten konnten, weil der Stein aus mehreren robusten Scheiben bestand, die wir voneinander trennen konnten.
Kork zeigte mir, wie man schnitzte, und ich ahmte ihn nach. Langsam verwandelte sich das Holz in meinen Händen zu einem Vogel.
Wir versanken in unseren Gedanken und sahen erst wieder auf, als Noba eine Stunde später in die Höhle trat. Grinsend hielt sie zwei Hasen in die Höhe. Kork verdrehte die Augen, aber seine Mundwinkel zuckten verräterisch. »Angeberin«, meinte er mit einem Schmunzeln.
Zur Antwort hob Noba provozierend eine Augenbraue und entlockte Kork damit ein brummendes Lachen.
Wir grillten die Hasen über dem Feuer. Einen packten wir für unterwegs ein und den zweiten teilten wir direkt auf.
»Gehen wir weiter nach Osten?«, fragte ich.
Noba nickte und presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. »Wir können auch umkehren«, sagte sie, doch ich hörte die Hoffnung ihrer Stimme, die verriet, wie sehr sie sich einen Ort wünschte, an dem sie ankommen konnte. Und der lag im Osten, wenn wir der Geschichte glaubten.
»Nein«, sagte ich schnell. Ich drehte das Fleisch in den Händen, froh über das Essen. Doch die Unsicherheit über die Existenz unseres Ziels ließ sich damit nicht vertreiben. »Glaubt ihr, dass die Geschichte vom Versteckten Dorf stimmt? Dass die Sonne das Dorf tatsächlich beschützt?« Ich sah erst in Nobas und dann in Korks Augen, die einen Funken Hoffnung enthielten, seit wir vor einigen Wochen von diesem Ort gehört hatten. Ihr Blick löste in mir den Wunsch aus, Noba und Kork etwas zurückzugeben. Seit vielen Jahren zogen sie gemeinsam mit mir rastlos durch das Land, aus Angst, jemand würde mich erkennen und an die Eisendynastie verkaufen. Noba und Kork hatten viel für mich aufgegeben. Nun war ich an der Reihe.
Trotzdem behagte es mir nicht, weiter nach Osten zu ziehen – geradewegs auf das feindliche Land zu.
»Ich glaube, dass es einen Versuch wert ist, das Dorf zu suchen«, meinte Kork. Er zuckte mit den Schultern. »Auch wenn wir unterwegs Eisenmännern begegnen könnten. Aber mit ihnen werden wir im Notfall schon fertig.«
Der Name der Einwohner der Eisendynastie jagte mir einen Schauer über den Rücken. Ich hatte noch nie einen gesehen, doch ich stellte sie mir als große Männer vor, kalt wie Eisen und mit gierigen Augen. Sie verschleppten Goldkinder wie mich und brachten sie ihrem König. Bisher hatten sie sich noch nicht über die Grenze gewagt und nur in ihrem eigenen Land Jagd auf meinesgleichen gemacht. Hatte sich das geändert? Ein mulmiges Gefühl lag in meinem Bauch. Das Versteckte Dorf befand sich angeblich direkt am Grenzfluss. Ob die Kraft der Sonne es wirklich vor der Eisendynastie schützte?
»Es gibt Eisenmänner im Gezeitenreich?«, flüsterte ich ungläubig.
»So ein Blödsinn. Warum sollten wir auf unserem Weg Eisenmännern begegnen?«, fragte Noba. Sie warf einen abgenagten Knochen ins Feuer und starrte Kork herausfordernd an.
»Es gab immer wieder Überfälle.« Kork verschränkte die Arme. »Die Eisenmänner sind unter uns. Auf dieser Seite der Grenze!«
Noba lachte kurz. »Gibt es dafür Beweise?« Sie stand auf und stemmte die Hände in die Hüfte. Sie tat selbstsicher, aber ihre Unruhe war durch ihre Angst begründet, Kork könnte recht haben.
»Natürlich gibt es die!« Kork sprang auf die Füße. »Verschwundene Goldkinder. Brennende Städte. Das ist das Werk der Eisenmänner.«
Noba stieß ihm mit dem Finger gegen die Brust. »Das könnten auch einfache Banditen gewesen sein«, meinte sie.
Ich stand auf und schulterte meinen Beutel. Das Seil drehte ich zwischen den Fingern. »Aber das Dorf ist sicher, oder?« Augenblicklich beruhigten sich die beiden.
Kork stahl sich einen schnellen Kuss von Noba und beendete damit ihre Diskussion. Seine Gesichtszüge wurden weich und er legte mir die Hände auf die Schultern. »Sicher und von Magie umgeben.«
»Und schlecht zu finden«, ergänzte Noba. »Das Dorf lässt nicht alle Besucher eintreten.«
»Und wir dürfen passieren?« Ich schluckte, gespannt auf ihre Antwort.
Noba streichelte mir über die Wange. »Du bist etwas Besonderes. Die Sonne wird dich sicher schützen wollen.«
Ungesagt blieb ein Satz in der Luft hängen, den keiner von uns erneut aussprechen wollte: Wenn die Geschichte wahr ist.
Schweigend traten wir aus der Höhle in die kalte Umarmung des Regens.
Bei dem Anblick der verschütteten Straße sammelten sich Tränen in meinen Augen und ich presste die Hände dagegen. Zu wertvoll war die heilende Magie meiner Tränen, die ich vergeudete. Das Einzige, was ich Noba und Kork bisher hatte zurückgeben können.
»Wir finden einen anderen Weg«, krächzte Kork. Seine Stimme wurde vom Regen beinahe übertönt, doch ich erkannte die Unsicherheit, die sich mittlerweile eingeschlichen hatte. Wie oft hatte er das bereits gesagt? Sieben Mal?
Ich schluckte