Knochenfeuer. Jenny Pieper

Knochenfeuer - Jenny Pieper


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doch unter dem Stoff ihres Umhangs spürte ich, dass sie ihre rechte Hand an ihre Hüfte führte, wo sie ihren Dolch versteckt hielt. Sie bereitete sich auf einen Kampf vor.

      »Wir sind arme Landstreicher«, log Kork. »Wir haben nichts.«

      »Deine Klinge würde mir reichen«, sagte einer der Männer und kam näher.

      Meine Beine zitterten. Plötzlich klirrte Metall auf Metall und ich schnappte nach Luft. Die Männer stürzten sich in den Kampf und ihre Schritte erzeugten eine schaurige Melodie. Ich beobachtete weiterhin den Matsch um mich herum, auch wenn ich am liebsten weggelaufen wäre. Noba ließ mich los und machte einen Schritt zur Seite. Ich zuckte zusammen und vermisste augenblicklich ihren Schutz.

      »Links«, sagte sie und ich gehorchte, sprang nach links und wich ungesehenen Gefahren aus.

      »Ducken«, zischte sie und ich duckte mich.

      »Hinten!«

      Ich wich zurück, rutschte auf einem nassen Ast aus, taumelte und fiel zu Boden. Bevor ich mich aufrappeln konnte, packten mich zwei kräftige Hände an den Schultern und zerrten mich auf die Beine. Die Gestalt riss mich herum und zog mir die Kapuze vom Kopf. Mit weit aufgerissenen Augen starrte der Mann mich an. Er pfiff und drehte mich abermals um. Nun erblickte ich die Kampfszene, die sich mir auf dem Waldweg darbot. Kork kümmerte sich um drei Angreifer, einer davon lag gekrümmt am Boden, während die anderen zwei ihn umkreisten. Noba rammte einem Mann ihren Dolch in den Bauch. Er sackte auf die Knie, presste seine Hände gegen die Wunde und stöhnte, bevor er zu Boden fiel. Von rechts sprang eine Frau auf Noba zu und kratzte ihr übers Gesicht.

      »Ihr werdet es nicht glauben«, rief der Mann, der mich festhielt. »Wir haben ein Goldkind gefangen!«

      Chaos brach aus. Kork erstarrte für den Bruchteil eines Augenblicks. Einer seiner Angreifer nutzte diese Gelegenheit und schnitt ihm mit einem Messer ins Bein. Taumelnd wich Kork einen Schritt zurück, bevor er sich wieder fing. Er parierte die Klinge des zweiten Angreifers und duckte sich, um im nächsten Atemzug kräftig gegen das Knie des ersten zu treten. Es knackte laut, dann folgte ein schmerz­erfüllter Schrei. Die Frau neben Noba starrte meine goldenen Augen mit geöffnetem Mund an – ein Fehler, den sie büßen sollte. Noba schlug ihr mit dem Dolchknauf auf den Hinterkopf und die Frau sackte bewusstlos zusammen.

      Mit gebeugten Knien und erhobenem Dolch stand Noba bereit wie eine Katze zum Sprung. Ihr schwarzes Haar klebte nass an ihren Wangen, umrahmte ihre geradlinigen Gesichtszüge. Sie blickte von mir zu Kork. Die Zeit schien stillzustehen, während mir das Herz in der Brust fast zersprang. Sie setzte den rechten Fuß nach vorn, um Kork zu Hilfe zu eilen.

      Die Hände des Mannes zitterten auf meinen Schultern, dann zog er sein Messer und hielt es mir an die Kehle. Kühl traf das Metall auf meine Haut.

      Noba duckte sich und sprang auf Korks Angreifer zu. Sie rammte ihm den Ellbogen in den Rücken. Gleichzeitig traf Kork ihn mit der Klinge an der Taille und der Mann sank zu Boden.

      Einen Herzschlag lang verharrten ihre Blicke auf dem schlaffen Leib, dann lösten sie sich und kamen langsam auf mich und meinen Geiselnehmer zu. Bedrohlich und stark glänzten Nobas und Korks nasse Körper im schwachen Licht, das nur spärlich durch einzelne Risse der Wolkendecke brach. Wassertropfen funkelten auf dem Leder ihrer Kleidung und färbten die Umhänge dunkel.

      »Lass sie los«, donnerte Korks Stimme.

      Die Arme des Mannes hinter mir bebten, die eiskalte Klinge berührte zitternd meine Haut am Hals. »Ich bring sie um«, sagte er laut, doch seine Stimme brach.

      »Wenn du sie gehen lässt, tun wir dir nichts.« Noba blickte dem Mann mit erhobenem Kinn entgegen. Das Funkeln in ihren Augen wirkte ehrlich. Selbst nach all den Jahren zweifelte ich für einen Moment an ihrer Lüge.

      Der Mann zögerte, ließ dann aber von mir ab, schubste mich auf Noba zu und rannte davon. Kork zog ein Wurfmesser aus seinem Umhang und mit einer gekonnten Armbewegung warf er es dem Mann hinterher. Es fand sein Ziel im Rücken des Mannes, der hinfiel und reglos am Boden liegen blieb.

      Kork ging zu den Verwundeten und tötete sie mit einem gezielten Stich in den Hals.

      Noba nahm mich in den Arm und mein Herzschlag beruhigte sich. In einer fließenden Bewegung zog sie mir die Kapuze über den Kopf, wo sie hingehörte. Der feuchte Stoff klebte an meiner Haut und verbarg das einzig sichtbare Zeichen für meine Absonderlichkeit – meine goldenen Augen.

      »Es ist besser so«, murmelte sie.

      Tränen liefen mir über die Wangen und vermischten sich mit dem Regen. Noba schob mich zu Kork.

      »Bist du verletzt?«, fragte sie ihn.

      Er brummte und fuhr mit dem Finger über den Riss in seiner Hose. Der Stoff war blutgetränkt und klaffte über dem tiefen Schnitt auf. Ich strich mir mit den Händen die Tränen und den Regen aus dem Gesicht, dann berührte ich Korks Wunde. Das Blut wärmte meine Finger. Darunter begann die Haut zu vibrieren und die Verletzung verheilte.

      Noba ging neben mir in die Hocke.

      »Danke«, sagte sie und Kork drückte mir einen Kuss auf den Kopf.

      In Nobas Gesicht leuchteten die Kratzer in verschiedenen Rot­tönen. Ich drückte meine Wange an ihre und die Wunden verschwanden unter meinen Tränen. Noba schlang die Arme um mich und hob mich hoch. Sie wiegte mich ein paar Mal hin und her, ehe sie mich zurück auf den Boden sinken ließ.

      Schweigend setzten wir unsere Reise fort.

      Dicke Tropfen fielen vom dunklen Himmel herab. Der Wind blies stärker als sonst und heulte melodisch durch die Höhle, in der wir Schutz gesucht hatten. Seit einem Jahr reisten wir nun schon durch das Gebiet des Ewigen Regens. Meine Kleider waren nass und in dieser Zeit nie richtig getrocknet. Ich rieb mir über die Arme, um das klamme Gefühl zu vertreiben. Vergeblich.

      Neben der Kälte nistete sich etwas Neues in mir ein. Weitere Bilder von Toten, die aufgrund meiner Existenz ins Verderben getrieben worden waren.

      Ich krabbelte zu Noba, die an einer Wand auf dem Boden saß, und kuschelte mich an sie. »Erzählst du mir eine Geschichte?«

      Noba strich mir sacht übers Haar und nahm mich in den Arm. »Was möchtest du denn hören?«

      »Wie ihr euch kennengelernt habt!«, rief ich und machte es mir an Nobas Brust bequem. Kork brummte im Schlaf und drehte sich um.

      »Also gut«, begann Noba. »Es begann alles vor neun Jahren. Kurz bevor wir dich gefunden haben.« Mit ihren Fingern fuhr sie über meinen Arm, während mich ihre Stimme leise in eine andere Zeit entführte. »Kork und ich jagten der Legende der Golddüne hinterher, durch die wir uns Vergebung unserer Fehler und neuen Ruhm erhofften. Er für seinen Clan und ich für meinen. Wir begegneten uns in der Wüste, und wie du weißt, wollte keiner dem anderen den Schatz überlassen.« Ein Lächeln schwang in ihrer Stimme mit und ich schloss die Augen.

      »Wie war es an diesem Tag in der Wüste?«, fragte ich.

      »Es war heiß und der Sand peitschte uns gegen die Beine, während wir unermüdlich gegeneinander kämpften.«

      »Du hast gewonnen«, sagte ich. Die Geschichte kannte ich bereits auswendig. Trotzdem hörte ich sie gern.

      Noba lachte. »Ja, ich habe gesiegt und Kork davongejagt.«

      »Und dann?«, fragte ich, um die Erzählung wieder Noba zu übergeben. Ich öffnete die Augen und suchte ihren Blick, doch die Dunkelheit der Höhle verschluckte uns und verhüllte Nobas Gesicht vor mir.

      »Ich setzte meinen Weg fort und erreichte die Schlucht, in der der Schatz der Legende nach verborgen war. Doch sie war leer. Ich weiß nicht, ob der Schatz jemals existiert hat oder ob ihn jemand vor mir gefunden hat.«

      Ich verschränkte die Finger mit ihren und dankte ihr still. Die Legende hatte Noba fort von ihrer Heimat


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