Knochenfeuer. Jenny Pieper
Das war dein Dorf?« Ein Mann beugte sich über mich. Sein geflochtener Bart hing über mir in der Luft.
»Ja«, krächzte ich. Der Kloß in meiner Kehle fühlte sich schwer an.
»Sind das alle?«, fragte er und deutete in die Richtung, in der die Kampfszene liegen musste. Doch ich starrte ihn nur an. War er ein Hüter? Hatten ihn die Spione hierhergeschickt, wie es in den Legenden erzählt wurde?
Aber warum waren sie zu spät? Warum stellte er mir Fragen und wusste nicht, wie viele Gegner es auf unseren Grund gewagt hatten? Wenn er wirklich ein Hüter war, wie kam es, dass ihm Informationen fehlten?
Er seufzte und half mir auf die Beine. »Was ist hier passiert?«, versuchte er es weiter. Er packte mich an den Schultern und rüttelte mich. »Komm schon, Junge. Sag mir, warum sie hier sind.«
»Kindra«, raunte ich. Meine Stimme versagte fast. »Sie ist in den Fluss gefallen.«
»Kindra?«
»Ein Goldkind.«
Die Miene des Mannes verhärtete sich. Er bleckte die Zähne und zerrte mich am Arm mit sich. »Der Kampf ist noch nicht vorbei! Sie dürfen nicht entkommen. Nicht mit ihr!«
Während er mich über die Hügel führte, betrachtete ich den Mann. Er war groß, hatte kurz geschnittenes Haar und eine Narbe zog sich von seiner Wange über sein Ohr und an seinem Nacken hinunter. Seine Kleidung bestand aus dicker Wolle, die mit Lederriemen fest um seinen Körper geschnallt war. Auf dem Rücken prangte eine gewaltige Axt mit dem Symbol einer Schneeflocke auf dem Blatt. Das winzige Emblem nahm meine Zweifel. Er war ein Hüter. Auch wenn die Legenden mehr versprochen hatten.
Husten schüttelte mich und ich würgte Wasser hervor.
Ruckartig wandte der Mann sich zu mir und hielt sich einen Finger an die Lippen. Mit der Hand winkte er mich zu einer Kuppe und deutete mir an, mich hinzulegen.
Vorsichtig folgte ich ihm, drückte mich mit dem Bauch flach auf die Erde und starrte zum Fluss hinüber, der unsere Feinde auf unserer Seite eingesperrt hatte. Die glitzernde Oberfläche deutete nicht mehr darauf hin, dass der Hayes für diese Verwüstung verantwortlich war.
Eilig überflog ich die Männer, die kämpften oder am Boden lagen. Hüter in weiß-grauer Montur, Eisenmänner und Goldmagier in schwarzer Rüstung, die silbrig schimmerte. Zwei Eisenmänner waren gefallen, aber auch ein Hüter lag reglos am Boden.
Die Zahl der Goldmagier hatte nicht abgenommen. Hinter der verteidigenden Reihe aus Eisenmännern hatten sie die Hände erhoben und wirkten ihre Zauber, mit denen sie die Hüter attackierten. Ich knirschte mit den Zähnen. Die Legenden sprachen von unsterblichen Magiern, geschaffen aus dem Blut und den Körpern der Goldkinder. Sie verfolgten ein raffgieriges Ziel: die gewonnene Energie in pure Kraft oder herrschende Magie umzuwandeln. Und das nur, um die Eisendynastie zur mächtigsten Nation zu machen.
Angeblich extrahierten sie bei einer sogenannten Ernte die Magie aus den Zellen der Goldkinder, die von der alten Magie von Odre durchtränkt waren. Die wenigen Geschichten über sie, die zu mir durchgedrungen waren, erzählten von der Heilung, die die Goldkinder über die Welt bringen konnten.
Das erste Mal verspürte ich den Wunsch, dass die Legenden falschlagen. Denn anders als die fantastischen Geschichten über Drachen versprachen die Legenden der Goldmagier nur Hass und Zerstörung für die Goldkinder.
Es durfte nicht stimmen, dass die Magier unbesiegbar waren und Kindra ein solch schreckliches Schicksal erwartete.
Das konnte ich nicht zulassen.
Aufmerksam ließ ich das Kinn auf die Erde sinken und starrte auf den Kampf vor mir. Kindra war nicht zu sehen. Hatten sie sie im Fluss aufgespürt? Aber wo war sie dann?
»Bleib hier«, sagte der Hüter neben mir und rannte geduckt zum Schlachtfeld.
Ich starrte ihm hinterher. Meine Blicke folgten seinem Körper, wie er schnell und geschmeidig an den Männern vorbeitanzte. Er wirbelte seine Axt herum und ließ sie ein ums andere Mal auf die Eisenmänner niedersausen, die ihm auswichen. Dann stand er vor einem Goldmagier. Er drehte sich und schwang seine Axt in unerbittlichen Kreisen. Mit goldglühender und schwarzer Magie wehrte der Goldmagier jeden seiner Schläge ab. Der Hüter wurde schneller und schneller. Die Distanz zum Goldmagier verringerte sich mit jedem Herzschlag.
Sein Gegner setzte einen Fuß zurück und verlor den Halt. Er rutschte aus, fing sein Gleichgewicht aber im Bruchteil eines Augenblicks wieder. Doch seine Magie setzte für diesen winzigen Moment aus. Der genügte und der Hüter spaltete ihm mit seiner Axt den Kopf. Geräuschlos sackte der Magier zusammen und kippte zur Seite.
Ich stand auf und starrte sprachlos zum Schlachtfeld hinüber.
Einer der Eisenmänner blies in ein Horn und die Magier formierten sich neu. Drei schirmten mit einer Mauer aus Magie die Angriffe ab. Die restlichen vier erschufen eine Brücke aus wabernder Magie. Die feindliche Reihe schritt rückwärts über die Brücke. Sobald der letzte Goldmagier sie betreten hatte, löste sie sich vor seinen Füßen auf und machte es den Hütern unmöglich, ihnen zu folgen.
Die Goldmagier flohen. Sie hatten einen ihrer Männer verloren und traten den Rückzug an.
Die Hüter setzten sich sofort in Bewegung. Sie sammelten ihre Männer ein, kümmerten sich um die Verletzten und begannen, die schlaffen Körper auf einen Haufen zu schleppen.
Ich eilte zu ihnen hinunter und zu dem Mann, der mich gefunden hatte. Meine Füße überschlugen sich fast und mein Herz klopfte so laut, dass es in meinen Ohren dröhnte.
»Sie sind geflohen und sie haben Kindra nicht mitgenommen!« Keuchend packte ich ihn an den Oberarmen. »Sie muss hier irgendwo sein!«
»Wir suchen sie«, meinte er, machte sich von mir los und ich folgte ihm schnellen Schrittes zu den anderen Hütern. Zu den toten Eisenmännern und Hütern gesellten sich die ersten Bewohner von Grünfrey. Der Anblick einer Leiche zog mich in ihren Bann. Mein Vater starrte mich mit weit aufgerissenen toten Augen an. In seinem Blick lag das Entsetzen, als könnte er das verwüstete Grünfrey in seinem ganzen Elend sehen.
Ich taumelte und presste die Hand auf den Bauch. Mein Magen drehte sich um und ich erbrach bittere Galle.
»War die Leiche eines Goldkindes dabei? Ein Mädchen«, fragte der Hüter die anderen, während ich wieder auf den Leichenberg starrte.
»Ein Goldkind?«
»Diese miesen …«, spie einer der Hüter aus. »Sucht sie!«, rief er und sofort schwärmten die Männer aus. Drei blieben mit uns zurück. Ich betrachtete ihre Gesichter und sah die Wut und das Entsetzen, das auch in meinem Inneren brannte.
»Mach dir keine zu großen Hoffnungen, Junge. So wie sie dieses Dorf zugerichtet haben, werden wir vermutlich nur wenige Überlebende finden. Lasst uns hoffen, dass sie das Goldkind nicht fassen konnten – weder tot noch lebendig.«
Die Worte schlugen mir hart entgegen und brachten mich zum Wanken. Eiseskälte überzog meine Arme, lähmte meine Sinne und umschloss mein Herz. Trotzdem schüttelte ich den Kopf, obwohl ich es bereits gewusst hatte. Das ganze Dorf war in so kurzer Zeit untergegangen. »Nein!«, widersprach ich, obwohl es sinnlos war. »Das kann nicht sein!« Doch der Hüter sah mir starr in die Augen.
»Wo hast du das Goldkind zuletzt gesehen? Wo könnte es sein?«
»Wir waren auf dem Bergpfad.« Die Männer hielten inne und fixierten mich. Ich schloss die Augen und erzählte ihnen von Kindra, unserer Flucht und wie sie in den Fluss gefallen war.
»Sie ist ins Wasser gestürzt«, wiederholte einer. Er war groß und sein Haar mehr grau als schwarz. »Vielleicht wurde sie von dem Fluss mitgerissen, als er sich zurückgezogen hat. Die Goldmagier haben die Kontrolle verloren, als wir sie angegriffen haben.«
»Verfluchter …«, zischte ein anderer und unterbrach sich selbst. »Die erste Bucht, in der der Fluss sie anschwemmen könnte, wäre am Schwarzen