Knochenfeuer. Jenny Pieper
zog sich meine Brust schmerzhaft zusammen. Ein Funken Hoffnung blieb: dass der Fluss sie mir nicht endgültig genommen hatte. Aber die unbändige Kraft, mit der mich der Hayes selbst gepackt und unter Wasser gezerrt hatte, ließ auch die letzten Reste des Feuers in mir erlöschen.
Ich war lediglich in das tosende Wasser gefallen. Noba, Kork und all die anderen waren von ihm erschlagen worden wie von einer wütenden Faust, die auf das Dorf niederkrachte.
Auf dem übergroßen Bett rollte ich mich zu einer kleinen Kugel zusammen und blendete die Gegenwart aus. Grünfrey war mein Zuhause gewesen. Dorthin wollte ich zurück. Zu den Menschen, die diesen Ort zu etwas Besonderem gemacht hatten. Und in Sakis Arme.
Gähnend kuschelte ich mich unter die Decke und fiel in einen unruhigen Schlaf, in dem ich Grünfrey immer und immer wieder verlor.
Als ich am nächsten Morgen erwachte, drehte sich alles in meinem Kopf. Meine Glieder fühlten sich schwer an und meine Schläfen pochten. Erschöpft, aber ruhelos schlüpfte ich aus dem Bett und sah mich im Zimmer um. Ohne meine Möglichkeiten abzuschätzen würde ich nicht aufgeben. Nicht nach den vielen Jahren auf der Flucht und in Sicherheit. Ich kannte beides – und würde kämpfen, bis ich meine Heimat zurückhatte. Wo auch immer ich diese finden würde.
Am Fuß meiner Matratze stand eine solide Eisentruhe, in der eine schwarz-silbrig gewebte Decke lag. Eine große Sitzecke befand sich gegenüber vom Bett. Die vier schweren schwarzen Sessel nahmen gut ein Drittel des Zimmers ein. Der Kleiderschrank stand an der anderen Wand, daneben befand sich ein Tischchen, auf dem eine Bürste vor einem Spiegel lag.
Vor meinem Spiegelbild blieb ich stehen und betrachtete mich. Ich trug das goldene Kleid, das mir die Frau im Badehaus übergezogen hatte. Ansonsten hatte sich nichts geändert. Meine Selbstheilungskräfte ließen mich frisch und gesund wirken. Meine Haut schimmerte rosig und mein Haar in einem tiefen Schwarz. Keine Spuren an meinem Körper bezeugten den Sturz am Bergpfad oder den Schlag auf die Lippe im Badehaus.
Äußerlich hatte ich mich nicht verändert.
Doch war ich nicht mehr dieselbe wie vor wenigen Tagen.
Ich schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken und dachte an meine Familie und Saki. Mein Herz stolperte, als ich sein Lachen hörte und wünschte, ich wäre bei ihm.
Oder mir wünschte, ich hätte ihn wenigstens geküsst.
Seufzend streifte ich die Erinnerungen und Wünsche ab und ging zum Schrank, um den Inhalt näher zu betrachten. Es befanden sich zwei Kleider und eine Hose-Hemd-Kombination darin. Ohne zu zögern, zog ich das Kleid aus, griff die Hose, schlüpfte hinein und zog das Hemd an. Kleider hatte ich bisher nur für den Tanz auf dem Sonnenfest für Saki getragen.
Dann wartete ich. Ziellos wanderte ich im Zimmer umher, untersuchte jeden Zoll, doch konnte mir nichts zur Flucht verhelfen. Die Fenster waren verriegelt und ich fand keinen Gegenstand, der ansatzweise als Waffe dienen konnte.
Während der Warterei ging meine Trauer in Ungewissheit über. Meine Feinde hatten mich in ihren Klauen. Was würden sie jetzt mit mir anstellen?
Was erwartete mich bei der Ernte?
Zitternd sank ich auf das Bett und wickelte mich in die Decke ein. Ihre Wärme spendete mir nur schwachen Trost.
Irgendwann öffnete sich die Tür und Jaden trat ein. Er sah mich mit schmalen Augen an. »Komm mit«, befahl er forsch.
Mein Herz blieb fast stehen. Dennoch gab ich nicht kampflos auf. Ich wälzte mich im Bett auf die andere Seite – weg von der Tür. »Nein danke«, erwiderte ich und warf ihm einen Blick über die Schulter zu, der wütend aussehen sollte. Meine zitternden Finger ballte ich zu Fäusten, um das verräterische Zeichen der Angst zu verbergen.
»Das war keine Bitte«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Er durchquerte das Zimmer, packte mich am Arm und zog mich vom Bett. »Komm. Jetzt. Mit«, wiederholte er.
Ich riss mich los und setzte mich auf die Bettkante. »Ich will nicht«, sagte ich bemüht trotzig und Genugtuung stieg in mir auf, als sein Gesicht vor Wut rot anlief.
Jaden schnipste mit den Fingern und zeigte auf mich. Die Wachen lösten sich aus ihrer Position neben der Tür und kamen herein. Sie packten mich an den Armen. Die Männer trugen eine leichte Rüstung in den gängigen Farben der Eisendynastie. Ihre Gesichter waren unter den Helmen gut zu erkennen, doch wirkten beide so ausdruckslos, dass sie für mich identisch aussahen. Wie zwei charakterlose Puppen. Sie hoben mich hoch und schleiften mich hinter Jaden her. Ich weigerte mich, selbst zu laufen, und ließ mich schlaff hängen.
Jaden betrachtete mich kopfschüttelnd. »Erbärmlich«, sagte er und verdrehte die Augen. Doch es war mir egal, ich wollte es ihnen möglichst schwer machen.
Die Wachen schleiften mich auf den Gang hinaus und von den anderen bewachten Zimmern fort. Nach etlichen Schritten erreichten wir eine Treppe, die sie mit mir hinabstiegen. Die unzähligen Gänge unterschieden sich lediglich durch die Gemälde, die an den Wänden hingen, oder durch die Farbe der Teppiche auf dem Marmorboden. Selbst die Türen zu den Zimmern waren für mich kaum zu unterscheiden.
Spätestens nach der zehnten Kreuzung verlor ich die Orientierung. Es war das reinste Labyrinth. Sie brachten mich weitere Treppen hinab und die Luft um uns herum kühlte ab. Der folgende Gang wurde nur schummrig von Fackeln beleuchtet. Meine Nackenhaare stellten sich auf.
Vor einer dicken Eisentür blieb Jaden stehen. Das Metall wies einige Rostflecken auf, wirkte aber dennoch stabil. Mit einem grässlichen Schaben öffnete der Prinz die Tür, trat ein und gab den Blick auf ein Zimmer frei, das dem eines Heilers glich. An den Wänden standen Werkzeuge, Tiegel und Flaschen in riesigen Regalen. Mitten im Raum befand sich eine Liege mit Schnallen für Hände, Füße und den Rumpf. Panisch zappelte ich im Griff der Wachen und wollte sie daran hindern, mich in dieses Zimmer oder auf diese Liege zu verfrachten. Doch sie waren stärker als ich. In Jadens Gesicht prangte ein gehässiges Grinsen, als die Wachen mich festschnallten. Ich schnaubte, fletschte die Zähne, aber ich konnte nichts gegen die Männer ausrichten.
Mein Leben lang hatten Noba und Kork versucht, mich vor der Magieernte zu schützen. Doch nun lag ich hier, angekettet und hilflos.
Tränen stiegen in mir auf und ich blinzelte, um sie zu vertreiben. Vor Jaden wollte ich keine Schwäche zeigen, doch meine trotzige Fassade aufrechtzuerhalten war schwerer, als ich mir eingestehen wollte. Ich presste die Lippen fest aufeinander, um das Zittern zu unterdrücken, das von meinem Körper Besitz ergriff.
Jadens Blick lag auf mir und ich versuchte standzuhalten. Bilder von Noba und Kork drängten sich immer wieder an die Oberfläche. Erinnerungen an unsere jahrelange Flucht und die ersehnte Entdeckung von Grünfrey.
Und Saki.
Der Kloß in meinem Hals hinderte mich daran zu schlucken. Ich wollte husten, weinen oder schreien, aber ich tat nichts davon.
»Ich habe einige gefüllte Ampullen, die Ihr mitnehmen könnt, Eure Majestät«, ertönte eine Stimme, bevor zwei Gestalten den Raum betraten. »Oh, und der Speichel von Nummer siebenundzwanzig ist ausgesprochen ergiebig. Fast anderthalb Liter pro Tag!«
Ich schauderte bei dem geschäftigen Tonfall, der in der Stimme des Mannes lag. Sie würden sogar meinen Speichel sammeln? Täglich?
Der König und ein anderer Mann erschienen in meinem Blickfeld. Mit seiner immensen Größe füllte der König den Raum bis zur Decke aus. Es fehlte nur ein winziges Stück und er müsste sich ducken, um nicht mit dem Kopf oben anzustoßen. Seine Kleidung war auch heute eine Mischung aus Rüstung und feinem Stoff, der schillernd über seine Arme fiel. Der gut gelaunte Ausdruck auf seinem Gesicht verhieß nichts Gutes – zumindest für mich.
Der Fremde hatte graues, langes Haar und sein Bart war zu einem Zopf geflochten, der ihm bis auf die Brust reichte. Er trug eine praktisch geschnittene Hose und ein eng anliegendes Hemd, das seinen drahtigen Körper