Offenbacher Einladung. Группа авторов

Offenbacher Einladung - Группа авторов


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ich geträumt? Benommen stehe ich auf, um nach Hause zu gehen. Da gleitet ganz langsam etwas von meinem Schoß. Alles erscheint mir verzerrt und wie in Zeitlupe: Ein kleiner, goldener Ball rollt, hüpft und rollt … feines Vogelgezwitscher hängt in den Bäumen. Und es scheint, als lache mir Luise mit einer fröhlichen Windböe noch einmal zu: »Es war doch schöner, als die Wege noch verschlungen und geheimnisvoll waren, als wir verwunschene Plätze fanden und uns Geschichten erzählten. Vergesset mich nicht!«

      Das Mathildenmärchen

      Valentina L’Abbate-Ottaviano

      E

      s war einmal ein junges Mädchen mit blonden Haaren und großen blauen Augen, das im Herzen Offenbachs wohnte. Sie war sehr behütet aufgewachsen und kannte nicht viel außerhalb ihres goldenen Nests. Dort war es ja auch sehr angenehm und es gab keinen Grund auszubrechen: Umgeben von würzigen Käsewolken, kulinarischen Inspirationen und herrlich frischen Zutaten lebte es sich ganz gut in der Bieberer Straße, direkt am Wilhelmsplatz.

      Nun begab es sich eines Sonntags, dass das Mädchen in die nahe gelegene Marienkirche, man nannte sie auch die schönste Kirche Offenbachs, ging. Als sie nach der Messe auf den Platz trat und nach Hause laufen wollte, stieß sie auf ein paar raufende Jungs. Aus einem Eingang, über dem ein Schild mit der Aufschrift »Stadtteilbüro« angebracht war, wollte eine Frau zu Hilfe eilen, aber das Mädchen ging mutig dazwischen und schlichtete den Streit. Die Gestalten flüchteten in verschiedene Richtungen: Einer in die älteste Moschee Offenbachs, einer zum pakistanischen Einkaufsladen und einer in die italienische Bar am italienischen Eck.

      »Gut gemacht«, lobte die Frau aus dem Stadtteilbüro. »Wenn noch was ist, ich bin hier und unterstütze dich.«

      Es blieb nur ein Junge stehen, der hatte dunkle Augen und dunkle Haare.

      »Woher kommt ihr und wieso habt ihr euch gestritten?«, fragte das Mädchen.

      »In diesem Viertel leben über 12.500 Menschen aus über 50 Nationen. Streitereien kommen eben vor … Hier gibt es einige kleine Cafés, darf ich dich einladen?«

      Sie überlegte, welche Abenteuer und Überraschungen wohl außerhalb des goldenen Nests noch zu entdecken waren.

      »Nein«, antwortete sie energisch und zog ihn zu sich. »Geh mit mir auf Entdeckungsreise!«

      Am ersten Tag überquerten die beiden zunächst den Wilhelmsplatz. Das Mädchen entdeckte zwei breite Straßen.

      »Die Bieberer Straße und die Berliner Straße bilden die Hauptwege, die aus der Stadt führen: links nach Frankfurt und rechts nach Bieber, Mühlheim und andere umliegende Städte. Aber heute bringe ich dich erst einmal ans Meer«, versprach der Junge.

      Nach einem kurzen Marsch erreichten sie tatsächlich den Fluss mit dem Namen Main, umgeben von grünen Parks, Spielplätzen und eigenartigen Skulpturen.

      Sie staunte: »Wie schnell wir vom Zentrum ins Grüne kommen konnten.«

      »Nicht umsonst nennt man unsere Stadt auch Offenbach am Meer. Hier bist du nun am äußersten Rand deines Viertels angelangt«, erklärte ihr der Junge.

      Vom Damm aus zeigte er ihr die Hochschule für Gestaltung. »Morgen folgen wir den Spuren dieser kreativen Meile in den Osten der Stadt.«

      Müde von diesen ersten Eindrücken legten sie sich in einem alten Eisenbahnwaggon schlafen.

      Am nächsten Tag wachte das Mädchen mit knurrendem Magen auf.

      »Ich zeige dir die leckersten Kringel, seit es Brot gibt«, versprach ihr der Junge grinsend.

      Und tatsächlich folgten sie bald dem verführerischen Duft von ofenfrischem Brot und stießen auf eine große Bäckerei im Hinterhof. Gestärkt schlängelten sie sich weiter durch die Sandgasse und passierten geheimnisvolle Spielplätze, als das Mädchen aufschrie: »Hilfe, Hilfe, ein Krokodil mit scharfen, glitzernden Zähnen!«

      Der Junge packte sie und schob sie in eine dunkle Ecke.

      »Ich rette dich!«

      Dann versuchte er sie zu küssen.

      Aufgeregt rief sie: »Hey, das ist ja nur eine Skulptur. Typisch Mann, nutzt jede Gelegenheit. Außerdem mag ich keine Schmuddelecken, von denen es hier scheinbar einige gibt«, fügte sie lachend hinzu.

      Er seufzte, nahm ihre Hand und zog sie weiter.

      Nun wurde die Straße immer enger und das Licht immer dunkler, bis sie auf einmal an einer großen Kreuzung standen.

      Das Mädchen legte den Kopf in den Nacken: »Das sind aber viele Wolkenkratzer, und so hoch!«

      Sie waren umgeben von grauen Hochhäusern, die wie eine weitläufige Felsenlandschaft wirkten. Die Seitenstraßen hingegen waren eng, dunkel und bedrohlich. Sie drückte seine Hand fester.

      »Keine Angst. Es mag ein wenig schmuddelig sein, aber achte mal auf die Bauten, die sind älter, als wir es uns vorstellen können.«

      Sie bemerkte auch moderne farbige Akzente und er erklärte: »Ich habe hier viele schräge Typen getroffen, die sich Künstler nennen und Studenten, die gerne malen. Hier ist alles günstig und unkompliziert.«

      Sie liefen weiter und bald empfand das Mädchen die Mischung aus Arbeitsmigranten und Studenten, Kneipen und Cafés, Kiosken und Läden als angenehmes, kunterbuntes Miteinander. Vor einem Gebäude mit orangefarbener Fassade blieb sie stehen.

      »Dieses Gebäude passt überhaupt nicht hier her.«

      Sie waren am Ostpol angekommen, einem innovativen Gründerzentrum.

      »Ich habe keine Ahnung, was da drin abgeht«, erklärte der Junge, »aber ich habe das Gefühl, dass alle, die da reingehen, mit vielen Ideen wieder rauskommen. Neugierig macht es auf jeden Fall!«

      Am Ende der Straße strahlte es ihnen hell entgegen.

      »Das ist das weißeste Gebäude, das ich je gesehen habe«, erklärte ihr der Junge und deutete auf einen architektonisch auffälligen Bau. »Es sieht aus wie ein Kaufhaus, aber ich glaube, es hat mit Religion zu tun?«

      Das Mädchen hörte kaum zu, sondern gähnte herzhaft.

      »Wir haben heute so viel erlebt, ich bin müde.«

      Der Junge sah sich kurz um, schnappte ihre Hand und schob sie durch einen Hintereingang in den Hof eines großen Gebäudes.

      »Wir schlafen in einem Garten, hier sind wir sicher. Nur dürfen wir nicht zu lange schlafen, hier ist man früh zugange.«

      »In einem Garten? Wie romantisch …«

      Sie lehnte sich an ihn und er schlief zufrieden ein.

      Gesang, Musikinstrumente und Kindergeschrei weckten sie am nächsten Morgen.

      »Wo sind wir? Ich dachte, wir haben in einem Garten übernachtet«, fragte das Mädchen verschlafen und er antwortete ihr: »Dies ist der Klanggarten einer Schule. Hier wird besonders gerne musiziert.«

      Sie verdrehte die Augen und er zwinkerte ihr zu: »Ich mach es wieder gut. Unsere nächste Etappe wird ruhiger.«

      Sie verließen eilig das Schulgebäude und überquerten die breite Mühlheimer Straße. Plötzliche Stille hüllte die beiden ein, nachdem sie ein Tor durchquert hatten.

      »Ssscht, jetzt sind wir im ältesten Friedhof Offenbachs, weit über 150 Jahre alt.«

      Das Mädchen machte große Augen und betrachtete ehrfürchtig die vielen Grabmäler und Gedenkstätten. Lange spazierten sie so umher und genossen die Ruhe, bevor sie sich wieder auf den Rückweg über die Bieberer Straße begaben.

      An einer Gabelung erklärte der Junge: »Nach links folgen wir einer Straße mit einigen großen Palästen, die nach einem Otto benannt ist, der wohl mal ganz wichtig war.« Dann deutete er achselzuckend auf ein Gebäude, das etwas weiter entfernt vor ihnen lag: »Da drin wird viel Geld verwaltet. Mein Vater schimpft immer über die Leute, die dort arbeiten.«

      Das


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