Offenbacher Einladung. Группа авторов

Offenbacher Einladung - Группа авторов


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wird Zeit, Elisabeth, kommst du?« Der alte Herr nähert sich den beiden, humpelnd und schnaufend.

      »Ja, Vater, ich muss mich nur noch verabschieden.«

      »Wer ist das denn … sind Sie ein Offenbacher Stadtführer in der Verkleidung der Goethezeit?«

      »Nun, mein Herr, ein Stadtführer zur Goethezeit könnte ich wohl sein, doch mitnichten ein Stadtführer des heutigen Offenbach in Goetheverkleidung.«

      »Äh, ja … also, ich bin nicht sicher, ob ich das verstehe. Sie sprechen ja wie ein Dichter!«

      »Mein Herr, ich war ein Dichter, ein wohlbekannter sogar. Eigentlich sollten Sie mich kennen!«

      »Sie machen Witze! In meinem Alter braucht man niemanden mehr, der sich über einen lustig macht.«

      »Nie würde ich mir erlauben, über Sie zu scherzen, Verehrtester!«

      Der alte Herr sieht den stattlichen Mann an. »Aha, Dichter wollen Sie also sein. Gut, dann dichten Sie mal was, zum Beispiel über … das Alter!«

      »Sehr gerne. Einen kurzen Moment nur …«

      »Sieh mal«, flüstert er seiner Tochter zu, »wie der sich abmüht, das wird nichts!«

      »Geduld, Vater, Geduld!«

      Dann streckt der Stattliche seinen Rücken und spricht: »So soll es sein:

      Das Alter ist ein höflich’ Mann:

      Einmal übers andre klopft er an.

      Aber nun sagt niemand: Herein!

      Und vor der Türe will er nicht sein.

      Da klinkt er auf, tritt ein so schnell,

      Und nun heißt’s, er sei ein grober Gesell.«

      Damit hebt er höflich seinen Zylinder und verschwindet in Richtung Lilitempel. Noch ehe der alte Herr und seine Tochter etwas sagen können, haben sie ihn aus den Augen verloren.

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      Herrnstraße

      Tamara Labas

      ein zarter wind streichelt jenen sommertraum

      wir flanieren durch den liebesgarten

      goethe und lili

      dein wortezauber entzückt

      ergötze mich am anblick des badetempels

      schöne fassaden tragen menschen

      nicht nur gebäude

      sage ich

      und geschichten wiederholen sich

      reformation brauchen wir und zufluchtsorte

      wie hugenotten

      können wir werden

      können wir alle werden

      auch liebende

      die durch das pulsierende leben wandern

      überqueren die berliner die frankfurter

      dropping into the melting–pot of hot chocolate

      in our mouths summertime

      and the living is easy trommelst du groovig

      auf meinen rücken mit deinen fingern pochende wellen

      das leben deiner fremden stadt durchströmt mich

      menschen flüstern

      hello, salut, ¡hola, merhaba, czesc, ciao

      seidig umschlungen lustwandeln wir aus dem

      rausch der glitzernden paillettenkleider

      auch am hutladen vorbei

      döner und asiasnack im zwischenraum der straße

      beim zurückschreiten ins mondäne alte schöne

      und just am klingspor

      Herz, mein Herz, was soll das geben?

      himmelblau eröffnet sich in jenem moment

      als deine lippen an den meinigen

      wieso zweigt sich die herrnstraße vom flutenden leben ins

      nirgendwo des liliparks

      der kaffee ist noch recht heiß im wunderbaren frieda

      eine hochzeitsgesellschaft drapiert sich

      ein brautkleid für den fotografen

      zwischen den alten

      kastanienbäume werfen schatten

      ins haus der stadtgeschichte werden sie

      keinen eingang finden verblassen

      wie halt lieben verblassen

      etwas später junge menschen ziehen vorbei

      frisches lachen in weltenfarbengesichtern und

      grenzenloses hoffen der jugendlichkeit

      du küsst mich ein letztes mal vor den fassaden des erhabenen

      und als würde es vom main rufen

      Liebe! Liebe! Lass mich los!

      ich muss um die ecke

      mein auto ist dort geparkt

       Susret

      Eine Begegnung auf dem Goetheplatz

      Edina Covic

      D

      er Ball rollt zum walnussfarbenen Schuh. Er nimmt den Ball auf, spielt ihn nach oben, nach unten und lässt den linken Fuß auf dem Ball stehen. Spielpause. Dann umfassen die riesigen Hände des Mannes den Ball. Seine Augen starren den Ball an, als lese er aus einem Buch.

      Der Junge traut sich nicht nach oben zu schauen zu dem Mann mit den walnussfarbenen Schuhen. Nur langsam dreht er seinen Kopf nach oben. Susret. Der grauhaarige Mann im grauen Mantel beugt sich mit traurigen Augen zu dem Jungen herunter und gibt ihm den Ball zurück.

      Sie schauen sich eine Weile wortlos an. Gegenüber, in der kaputten Fensterscheibe der Akademie für interdisziplinäre Prozesse, tauchen ihre verzerrten Schatten auf – eine Anmutung der kopfüber sitzenden Kassiopeia.

      Der Mann mit den walnussfarbenen Schuhen entdeckte in den Kritzeleien auf dem Ball ein großes schiefes W – der Junge schmierte es in einer Spielpause auf den Ball – das Sternbild der Kassiopeia. Und es wird immer wieder auftauchen: Im Abdruck des walnussfarbenen Schuhs, im Zigarettenrauch, in den zerstreuten Regentropfen auf der Autoscheibe, in der Verteilung der Sonnenblumenkerne auf dem Teller. Er lässt sie als Muster zurück, obwohl er noch Hunger hat. Vor langer Zeit erklärte ihm jemand das Sternbild der Kassiopeia. Solche Orte wird er immer wieder mit Nebel in den Augen verlassen.

      Die walnussfarbenen Schuhe entfernen sich, der Junge schaut ihnen nach, dreht sich um, rennt in Richtung Bernardstraße, den Ball in die Luft werfend. Er schaut in den Himmel.

      Und jedes Mal, wenn er sich etwas wünscht, von dem er weiß, dass er es nicht bekommen kann, wird sich der Junge an die nebelerfüllten Augen des Mannes mit den walnussfarbenen Schuhen erinnern.

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      Morgens am Weiher

      Wilfried Kerntke

      D

      urch die Kleingärten renne ich am frühen Morgen wie durch einen Tunnel, links und rechts die hohen Hecken, ein schüchterner Hahn probt seine Stimme, ich selbst bin noch etwas steif im Kreuz und weiß nur: Gleich trete ich durch das Tor.

      Das Tor ist der gepflasterte


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