Auf Herz und Nieren. Stefan Loß
werden.
Sabine Langenbach, Autorin, Referentin für Lebensfragen, Radio-, TV- und Eventmoderatorin
Ein starkes Buch! Eins, das Klartext spricht, das Fakten wie Gefühle benennt und mich so mitnimmt auf die Achterbahnfahrt, die Stefan Loß nach der Diagnose unfreiwillig durchstehen muss: „Zystennieren“. Unheilbar. Sein Leben wird komplett auf den Kopf gestellt, und er beschreibt genau das.
„Manches mag respektlos klingen, aber in Grenzsituationen will man keine netten Worte finden“, erklärt er. Diese Ehrlichkeit und Offenheit machen das Buch so wertvoll.
Heute lebt Stefan mit der Niere seiner Frau weiter. Er ist ein anderer Mensch geworden. Ein dankbarer, tiefgründender, noch intensiver Glaubender. Sein „Zwischenergebnis“ ist verblüffend: „Ja, ich bin Gott dankbar. Vielleicht nicht direkt für die Krankheit. Aber ich bin Gott dankbar für vieles, was ich in der akuten Zeit der Krankheit erleben und erfahren durfte.“
Stefans Erfahrungen, seine selbst durchlebte, selbst durchlittene, sehr reflektierte Geschichte ist authentisch, wahr und Mut machend. Beim Lesen nehme ich ihm jedes Wort ab – er hat ein Buch für Kranke, Gesunde und alle anderen „Achterbahnfahrer“ geschrieben.
Christoph Zehendner, Journalist, Liedermacher, Theologe
Kapitel 1
„Bitte anschnallen!“
Wie mein Leben zur Achterbahnfahrt wurde
„Habe dein Schicksal lieb, es ist der Weg Gottes mit deiner Seele.“
FJODOR MICHAILOWITSCH DOSTOJEWSKI
Es war damals die höchste Achterbahn Europas. Das wusste ich, aber mein Sohn wollte unbedingt damit fahren. Und weil Christian erst zehn war, musste Papa mit. Wir stellten uns geduldig an, dann waren wir an der Reihe. Wir zwängten uns in die Sitze. Die Bügel wurden runtergeklappt und ich war fest im Wagen verkeilt. Zumindest meine Oberschenkel. Die Wagen setzten sich in Bewegung. Ratternd ging es in die Höhe. Immer weiter und weiter. Langsam wurde mir mulmig. Dann hatten wir den Gipfel erreicht und gleich darauf ging es fast senkrecht nach unten. Ich war mir sicher: Da waren keine Schienen vor uns, da war nur eine große Leere und in wenigen Sekunden würden wird dort unten krachend auf dem Boden aufschlagen und das war’s. Aber kurz vor dem tödlichen Aufprall änderte der Wagen seine Richtung, legte sich in die Kurve und schoss direkt auf den nächsten Gipfel zu. Ganz kurz war ich erleichtert, dass ich den Sturz ins Bodenlose überlebt hatte. Dann sah ich den nächsten Gipfel der Achterbahn. Und mir war klar: Wenn wir mit dieser Geschwindigkeit über die nächste Spitze fahren, hebt es mich einfach aus dem Sitz und ich verschwinde irgendwo im All. Ich war mir sicher.
Der Bügel an meinen Beinen hat auch dieser Belastung standgehalten und es hat mich nicht aus dem Sitz katapultiert. Langsam wurde die Fahrt etwas gemütlicher und ein Ende war absehbar. Als wir kurz vor dem Ziel langsam ausrollten, war ich überzeugt: Das war meine letzte Fahrt in einer Achterbahn. Man soll sein Schicksal nicht unnötig herausfordern. Christian war begeistert. Ich war nur froh, dass ich aussteigen konnte und dass er vor lauter Begeisterung meine zitternden Knie nicht bemerkte.
In einem Vergnügungspark kann man sich aussuchen, welche Attraktionen man ausprobieren will. Da gibt es auch durchaus entspanntere Möglichkeiten als eine halsbrecherische Achterbahnfahrt. Aber im wahren Leben ist die freie Auswahl begrenzt. Gerade wenn man sich so richtig wohl und sicher fühlt, kann es passieren, dass man sich auf einmal auf der Achterbahn des Lebens wiederfindet. Manchmal reicht ein Anruf, um das Leben aus dem Gleichgewicht zu bringen. Eine kleine Unachtsamkeit beim Autofahren oder eine überraschende Diagnose nach einer Routineuntersuchung.
Die Diagnose
Seit dem Sommer 2008 weiß ich, dass ich Zystennieren habe. Der Arzt informierte mich darüber, dass es wahrscheinlich noch acht bis zehn Jahre dauern würde – bis zum Nierenversagen. Terminale Niereninsuffizienz nennt man das im Fachjargon. Danach müsste ich dann an die Dialyse, und wenn ich Glück hätte, käme für mich eine Transplantation infrage.
An diesem Tag begann meine persönliche Fahrt auf der Achterbahn des Lebens. Niemand hatte mich gefragt, ich bin nicht freiwillig eingestiegen und ich hatte auch kaum eine Ahnung davon, was auf mich zukommen sollte. Das kam erst Stück für Stück, als ich begann, mich über „meine“ Krankheit zu informieren: Bei ADPKD wachsen Zysten im Nierengewebe, die das gesunde Gewebe verdrängen. Die Zystennieren können mehrere Kilogramm schwer werden und entsprechend groß, was zu erheblichen Belastungen und Schmerzen führen kann. Eine Heilung gibt es nicht.1
Im Sommer 2008 hatte ich noch nicht viel Ahnung – und die Zystennieren schränkten mein Leben auch noch nicht ein. Deshalb habe ich das Ganze für die nächsten Jahre erst einmal – so gut es ging – verdrängt. Dennoch war mir klar, dass diese Krankheit einen wesentlichen Einfluss auf meine Zukunft haben würde. Einschränkungen durch die Dialyse, vielleicht eine Transplantation und auf jeden Fall eine geringere Lebenserwartung.
Ich hatte Angst vor dem, was auf mich zukommen würde. Ich war wütend, weil ich das Gefühl hatte, der Krankheit ausgeliefert zu sein: Da brach etwas über mein Leben herein, das ich nicht beeinflussen konnte.
Ich traute mich kaum zu hoffen, dass es für mich irgendwann noch einmal ein unbeschwertes Leben würde geben können. Aber gleichzeitig erinnerte ich mich auch an die vielen Lebensgeschichten von Menschen, die Ähnliches erlebt hatten. Ihr Glaube hatte ihnen Hoffnung gegeben, und auch in schweren Situationen hatten sie eine neue Lebensperspektive bekommen. Jetzt war ich an der Reihe. Und die Frage nach dem, was im Leben hält, galt nicht einem Interviewgast vor der Kamera, sondern dieses Mal galt sie mir selbst: „Stefan, gibt dir dein Glaube an Gott Halt, wenn es dir den Boden unter den Füßen wegzieht?“
So kurz nach der Diagnose hatte ich noch keine ehrliche Antwort auf diese Frage. Aber nach all den Interviews, die ich geführt hatte, hatte ich die Hoffnung, dass es auch bei mir „funktionieren“ würde. Die Hoffnung, dass ich nicht allein durch diese schwere Zeit würde gehen müssen.
Was für eine Geschichte!
Als Redakteur und Autor liebe ich es, wahre Geschichten zu erzählen. Lebensgeschichten von Menschen, die durch herausfordernde Zeiten in ihrem Leben gegangen sind und die dabei erfahren haben, dass Gott ihnen gerade in diesen Zeiten besonders nahe war. Ich habe mit Menschen gesprochen, die schwere Schuld auf sich geladen haben, mit Menschen, die schlimme Krankheiten überstanden haben, deren Leben von Missbrauch und Drogen gezeichnet war. Geschichten von Leid, Schmerz, Hoffnung und Liebe. Es waren aber auch Geschichten von einem guten Gott, der dem Leben Halt gibt, wenn es einem den Boden unter den Füßen wegzieht. Mir war es immer schon wichtig, solche Geschichten zu erzählen. Erstens, weil ich davon überzeugt bin, dass sie anderen Menschen Mut, Hoffnung und vielleicht sogar Glauben schenken können. Und zweitens, weil diese Geschichten mir selbst geholfen haben, an Gott zu glauben.
Während ich dieses Buch schreibe, lebe ich schon seit fast drei Jahren mit einer Niere meiner Frau. Ich habe etwas Abstand zu dieser herausfordernden Zeit bekommen. Nierenversagen, die Zeit an der Dialyse, die Krankenhausaufenthalte und die Transplantation liegen schon einige Jahre zurück. Und ich merke, dass das auch gut so ist. Einiges habe ich verdrängt, vieles klingt im Rückblick nicht mehr so dramatisch, wie es tatsächlich war. Manches treibt mir heute noch die Tränen in die Augen – vor allem vor Dankbarkeit, dass Gott mich immer wieder fest an die Hand genommen hat, wenn ich es dringend brauchte.
Ich habe damals einen Blog geschrieben, über den ich enge Freunde auf dem Laufenden gehalten habe. Außerdem gibt es Mails, Notizen und Fotos, die mir geholfen haben, mich beim Schreiben dieses Buches wieder in diese Zeit hineinzudenken, auch wenn mir das nicht immer leichtgefallen ist.
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