Auf Herz und Nieren. Stefan Loß

Auf Herz und Nieren - Stefan Loß


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authentisch nachzuzeichnen, wie mein direktes Erleben war. Ungefiltert und unreflektiert.

      Manches mag respektlos klingen, aber in Grenzsituationen will man keine netten Worte finden. Da denkt man nicht über komplizierte Sätze nach, sondern sagt frei raus, was einem auf dem Herzen liegt. Übrigens: Nichts anderes ist Gebet, wenn man es richtig versteht. Ich bin davon überzeugt: Ein Glaube, der mit Leib und Seele gelebt wird – sozusagen mit Blut, Schweiß und Tränen, der lässt sich kaum in schöne, saubere und glatte Worte fassen.

      Und schließlich ist dieses Buch nicht nur für Menschen geschrieben, die mit der Kultur und Sprache von Kirche vertraut sind. Es richtet sich an alle, die nach einem Halt für ihr Leben suchen. Jedes menschliche Wesen hat eine Seele, und jede Seele hat Durst nach Sinn, Halt und echtem Leben. Durst nach Gott, wie David es im 143. Psalm so anschaulich beschreibt:

       „Ich strecke meine Hände zu dir aus, meine Seele dürstet nach dir wie dürres Land nach Wasser.“ Psalm 143,6 (NGÜ)2

      Warum es dieses Buch gibt? Ich erlebe, dass es gut ist, ehrlich zu sein und auch von den Tiefen und Schlaglöchern im eigenen Leben zu erzählen. Das schafft die Basis für Gespräche und Beziehungen auf Augenhöhe mit anderen Menschen, unabhängig davon, ob sie so denken und glauben wie ich oder nicht. Das Leben ist kein Ponyhof, wie man so schön sagt. Auch das Leben von Christen ist kein Ponyhof, obwohl das mancher glaubende Mensch gerne so hätte. Gott bewahrt uns nicht vor der Achterbahnfahrt des Lebens, aber er hat versprochen, dabei zu sein, mir die Hand zu halten, meine Tränen zu trocknen und mir ein Licht anzuzünden, das mir Hoffnung gibt, wenn ich keine Hoffnung mehr sehe. Und er hat versprochen, dass er mich hält, wenn das Leben droht, mich aus der Bahn zu katapultieren.

      Wie gesagt – ich liebe es, Geschichten zu erzählen von Menschen, die durch große Herausforderungen in ihrem Leben gehen. Diesmal ist es meine eigene Geschichte. Und ich hoffe, dass sie anderen Mut macht, nach einem Halt im Leben zu fragen, wenn sie den für sich noch nicht gefunden haben. Aus den Interviews, die ich gemacht habe, habe ich die Erkenntnis mitgenommen: Der Glaube an Gott ist eine tragfähige Basis im Leben, an guten und an schlechten Tagen. Gott sei Dank habe ich genau das selbst erlebt, als über meinem Leben die dunklen Wolken einer schweren Krankheit heraufgezogen sind. Davon soll dieses Buch erzählen. Offen, ehrlich, authentisch. Und getragen von der Hoffnung, die der Glaube an Gott schenken kann:

      „Bei Gott allein soll meine Seele Ruhe finden,

      von ihm kommt meine Hoffnung.

      Er allein ist mein Fels und meine Rettung,

       ja, er ist meine sichere Festung. (…)

      Er ist der Fels, der mir Halt gibt,

      meine Zuflucht finde ich bei Gott.

       Vertraut auf ihn zu jeder Zeit, ihr alle aus meinem Volk!

       Schüttet ihm euer Herz aus!

       Gott ist unsere Zuflucht.“

       Psalm 62,6-9 (Luther 2017)3

      Stefan Loß, Aßlar, im April 2020

       Kapitel 2

       Meine Suche nach einem Halt im Leben

       „Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“

      HEBRÄER 11,1 (LUTHER 2017)

       Woher komme ich?

      Die Frage nach einem Halt im Leben hat mich schon ziemlich früh beschäftigt. Vielleicht liegt das daran, dass ich als Einzelkind aufgewachsen bin und viel Zeit zum Nachdenken und Grübeln hatte. Der Gedanke, dass alles Zufall sein sollte, machte mir Angst. War ich auch ein „Zufall“? Was wäre, wenn es mich nicht geben würde? Wenn ich einfach nicht existieren würde? Wenn meine Eltern sich nie getroffen hätten? In meinem Fall wäre das durchaus eine Option gewesen. Denn meine Eltern hatten typische Nachkriegsbiografien. Mein Vater ist in Ostpreußen geboren. Meine Mutter hatte ihre Wurzeln in Schlesien. Beide trafen sich dann Ende der 1950er-Jahre bei einer Tanzveranstaltung in einem Duisburger Café. Dabei muss es zwischen ihnen gefunkt haben. Am 1. Dezember 1960 haben sie schließlich geheiratet. Am 29. Juli 1962 wurde ich geboren. Ich sollte ihr einziges Kind bleiben.

      War das ein Zufall, war es Schicksal, oder steckte irgendeine Absicht dahinter, dass meine Eltern sich getroffen haben und dass ich geboren wurde? Was wäre gewesen, wenn sie irgendwo auf diesem Weg eine andere Abzweigung genommen hätten? Wäre ich dann nie zur Welt gekommen? Was wäre dann mit „mir“? Oder war ich eine Seele, die nur darauf wartete, in irgendein Neugeborenes zu fahren und es mit Leben zu erfüllen? Das alles ging mir durch den Kopf, als ich noch keine zehn Jahre alt war. Kein Wunder, dass ich später Philosophie studiert habe.

      Aber zurück zu dem jungen Mann, der ich mal war. Die Frage nach einem Halt im Leben wurde für mich noch drängender, als das Thema „Tod“ in mein Leben trat. Zuerst nur theoretisch. Mangels anderer Lektüre habe ich im Urlaub Landser-Hefte verschlungen. Das sind dünne Heftchen, in denen große Schlachten aus dem Zweiten Weltkrieg nacherzählt werden. Natürlich starben da Menschen, wie es in einem Krieg normal ist. Die Geschichten faszinierten mich, aber die Frage nach dem Tod stand plötzlich im Raum. „Wohin gehe ich?“, fragte ich mich. Meine Grübeleien hatten mich zu der Erkenntnis gebracht, dass ich kein Zufall sein konnte. Und das, obwohl Gott für mich damals noch keine Rolle spielte. Ich hatte zwar hin und wieder den Kindergottesdienst besucht und war auch im Besitz einer bunten Kinderbibel. Aber das waren auch meine einzigen Berührungspunkte mit Gott. Jetzt wurde die Frage drängender: „Wenn ich kein Zufall bin, was passiert dann nach meinem Tod? Gibt es ein Leben danach, und wenn ja, wie wird das aussehen?“ Das waren die Fragen, mit denen ich mich in diesem Urlaub beschäftigte. Antworten hatte ich keine, aber die Idee, dass hinter alldem ein Gott stecken konnte, lag für mich nahe. Viel wusste ich von diesem Gott nicht, aber das Vaterunser konnte ich auswendig. Deshalb beschloss ich noch in diesem Urlaub, dieses Gebet zu einem Teil meines Lebens zu machen. Ich teilte meinen Eltern mit, dass ich ab sofort jeden Abend kurz vor dem Einschlafen für uns zusammen das Vaterunser sprechen würde. Und das tat ich dann auch. Antworten auf meine Fragen hatte ich also noch nicht bekommen, aber ich hatte eine Idee, wo ich suchen musste.

       Wohin gehe ich?

      Als ich dreizehn Jahre alt war, kam der Tod zum ersten Mal ganz praktisch in mein Leben. Meine Oma, die bei uns lebte, hatte einen Schlaganfall. Wenige Wochen später starb sie. Als der Pfarrer zur Aussegnung zu uns nach Hause kam, schloss ich mich in der Toilette ein. Ich konnte es kaum ertragen, meine geliebte Oma tot auf dem Bett liegen zu sehen. Blass, kalt und stumm. Ihr Leben war nach vierundachtzig Jahren ans Ende gekommen. Sie fehlte mir. Wo war sie jetzt?

      Einige Monate vorher hatte mein Konfirmandenunterricht begonnen. Zu meiner großen Überraschung sprach der Pfarrer genau über die Fragen, die mich schon seit einigen Jahren bewegten. Und er gab Antworten, die mich überzeugten. Innerlich machte ich oft nach den Unterrichtsstunden einen Haken auf meiner Liste von Fragen. Eine nach der anderen wurde beantwortet. Mit offenen Ohren und einem offenen Herzen saugte ich auf, was ich hörte: Dass Gott mich immer schon geliebt hat, noch bevor ich geboren wurde. Dass er mich geschaffen hat. Dass ich kein Zufall bin, sondern dass er mich gewollt hat. Und dass es ein Leben nach dem Tod gibt.

      Ich kann kaum beschreiben, wie erleichtert ich war, das alles zu hören. Der Tod meiner geliebten Oma bewirkte, dass ich das Ganze noch ernster nahm. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich einen toten Menschen gesehen. Und zum ersten Mal hatte ich davon gehört, dass es so etwas wie ewiges Leben gibt und dass es Menschen gibt, die daran glauben, dass der Tod nicht das Ende des Lebens ist. Ich hatte es geahnt und gehofft, und jetzt konnte


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