Auf Herz und Nieren. Stefan Loß
Wie auch immer, ich musste mich mit dieser Diagnose abfinden. Im Internet habe ich mich schlaugemacht, was Zystennieren sind. Dass so etwas jetzt in mir wuchs und langsam immer größer werden würde, wollte ich mir einfach nicht vorstellen. Aber vorerst hatte ich keine Beschwerden, also versuchte ich, die Krankheit – so gut es ging – zu ignorieren.
Ernst
Im Sommer 2013, also fünf Jahre nach der ersten Diagnose, hatte ich nur noch fünfundvierzig Prozent Nierenfunktion.
Ende 2014 / Anfang 2015 spitzte sich das Ganze zu. Ich war immer noch viel mit dem Fahrrad unterwegs, aber ich merkte deutlich, wie meine Kräfte nachließen, und bei jeder Unebenheit auf dem Weg spürte ich meine Nieren. Ob ich wollte oder nicht, ich musste anfangen, mich ernsthaft mit der Krankheit auseinanderzusetzen. Das hieß: Informationen sammeln über sogenannte Nierenersatztherapien.
An der Dialyse führte kein Weg vorbei. Jedenfalls war das mein Wissensstand7. Und Dialyse bedeutete dann, dass ich für den Rest des Lebens von Maschinen abhängig sein würde, die mein Blut dreimal in der Woche reinigen. Ich würde mich also damit abfinden müssen, dass ich einen guten Teil meiner Zeit damit verbringen würde, in einem Bett neben anderen Kranken zu liegen und zu warten, während eine Maschine mein Blut wäscht. Mein ganzes Leben müsste sich gezwungenermaßen nur darum drehen – und ob ich dann noch würde arbeiten können, war völlig offen. Ich war gerade mal Anfang fünfzig und fühlte mich nicht wirklich alt. Auch, wenn mein Körper mir mittlerweile andere Signale sendete.
So hart damit konfrontiert zu werden, dass meinem Leben in sehr naher Zukunft enge Grenzen gesetzt sein würden, machte mir zu schaffen. Am liebsten hätte ich das alles verdrängt, aber dafür waren die „Fortschritte“, die meine Krankheit machte, zu deutlich. Mit dem Rückgang der Nierenfunktion wurden immer weniger Giftstoffe aus dem Körper geschwemmt. Ich merkte, wie ich schlapper wurde, ich schlief nur noch oberflächlich und hatte eine starke innere Unruhe. Aber vor allem spürte ich es beim Geschmackssinn. Meine Zunge war ständig belegt und ich schmeckte kaum noch etwas. Und das war erst der Anfang! Das waren deutliche Anzeichen, dass etwas nicht stimmte. Dazu kam noch, dass ich meine stark vergrößerten Nieren nun deutlich spürte.
Eine realistische Perspektive?
Im März 2015 fuhr ich mit Sabine für ein paar Tage zu einem Kurzurlaub an die Weser. Hier hatten wir Zeit zum Reden und zum Nachdenken. Via Internet hatte ich einen Kontakt zum Verein PKD e.V. geknüpft. Hier hatte ich die Kontaktdaten des Ansprechpartners für „meine“ Region Wetzlar/Gießen bekommen. Wir hatten uns per Mail für ein Telefongespräch verabredet. Nach dem Abendessen suchte ich mir einen ruhigen Ort zum Telefonieren: die Promenade am Weserufer. Es war dunkel, die Weser plätscherte sanft vor sich hin und es war kaum ein Mensch unterwegs. Hier hatte ich die nötige Zeit und Ruhe für ein Gespräch.
Eine entspannte und freundliche Stimme meldete sich am anderen Ende: „Stephan, hallo“. Er wirkte sehr sympathisch und nahm sich viel Zeit für das Gespräch. Während wir redeten, lief ich auf und ab, eine ganze Stunde, und je länger das Gespräch dauerte, desto mehr Hoffnung bekam ich.
Stephan ist nicht nur selbst betroffen, sondern er arbeitet auch als Krankenpfleger im Gießener Uniklinikum. Er kannte also die medizinische Seite der Krankheit sehr gut. Ich fragte ihn nach der Dialyse und er erklärte mir in Ruhe, was mich erwarten würde. Ich fragte ihn nach seinen eigenen Erfahrungen und er erzählte, dass er eine besondere Art von Dialyse gemacht hatte: eine Bauchfelldialyse. Die hatte ihn wesentlich weniger eingeschränkt, weil er dafür nicht in ein Dialysezentrum fahren musste. Es ist eine besondere Form der Heimdialyse, bei der das Bauchfell als Filter dient.8
Nachdem ich alle meine Fragen in Bezug auf die Dialyse losgeworden war, erzählte Stephan, wie es bei ihm nach der Dialyse weitergegangen war: Seine Frau hatte ihm eine Niere gespendet. Davon hatte ich noch nie gehört. Ich wusste, dass es so etwas wie eine Lebendspende gab. Aber nach meinem Kenntnisstand war das nur zwischen blutsverwandten Familienmitgliedern möglich. Meine Eltern waren zu alt und ich hatte keine Geschwister, deshalb hatte ich nie weiter über dieses Thema nachgedacht. Stephan erklärte, dass Lebendspenden unter Ehepartnern oder nahen Verwandten auch dann möglich sind, wenn die Blutgruppen nicht übereinstimmen. Seit 2004 wäre das medizinisch möglich, erfuhr ich, und dass er selbst Menschen kannte, die das schon sehr erfolgreich gemacht hatten, unter anderem der Vorsitzende des Vereins PKD e.V., Uwe Korst, der ebenfalls eine Niere von seiner Frau bekommen hatte.
Nach dem Telefonat bin ich noch eine Weile still an der Weser entlanggegangen und habe über das nachgedacht, was ich eben gehört hatte. Zurück im Hotel habe ich Sabine von dem Gespräch berichtet, und auf einmal stand ein ganz neues Thema im Raum: Könnte meine Frau mir eine ihrer Nieren spenden? Wollte sie das überhaupt? Auf jeden Fall war das eine ganz neue Perspektive – und eine Herausforderung für uns beide.9
Bei der herkömmlichen Transplantation, der sogenannten Totspende, wäre die Wartezeit für mich ungefähr acht bis zehn Jahre gewesen. Diese Zeit würde ich mit Dialyse überbrücken müssen. Eine Lebendspende stünde sofort zur Verfügung. Könnte das auch für uns eine Alternative sein? Was für eine Perspektive! Aber natürlich waren vorher immer noch viele andere Fragen zu klären. Zum Beispiel die Frage nach der „Kompatibilität“ – also danach, ob wir auch medizinisch zusammenpassen und ob eine Transplantation tatsächlich möglich wäre. Wir wussten nur, dass wir unterschiedliche Blutgruppen hatten.
Aus unserem Kurzurlaub an der Weser kamen wir mit ganz neuen Gedanken nach Hause zurück. Wir vereinbarten für den Mai 2015 einen Termin in der Nierenklinik in Heidelberg, um in einem ersten Gespräch abchecken zu lassen, ob eine Lebendspende für uns überhaupt infrage kommen würde.
Währenddessen machten mir die Nieren zunehmend zu schaffen. Die Werte wurden jetzt rapide schlechter und parallel zu den Schmerzen nahm auch meine Verzweiflung zu.
Kapitel 4
Beten für ein Wunder?
“Miracles do not, in fact, break the laws of nature.”10 „Wunder widersprechen nicht den Naturgesetzen.“
C.S. LEWIS, MIRACLES (WUNDER)
Am 19. April 2015 schrieb ich eine Mail an einige Freunde:
„Hallo ihr Lieben, (…) Ich möchte euch bitten, für mich zu beten. Ich brauche echt ein Wunder. Meine Nieren arbeiten nur noch zu 25 %. Die Folge: Viel Gift bleibt im Körper. Deshalb bin ich extrem schlapp und müde und mir tun die Knochen oft weh – vor allem die Gelenke. Das ist sehr mühsam. (…) Zurzeit geht meine Nierenfunktion um ca. 1 % /Monat runter. Das heißt, es ist absehbar, wann ich an der Dialyse lande. Das möchte ich aber unbedingt vermeiden. Mit Sabine habe ich einen Termin am 19. Mai in Heidelberg, um eine Lebendspende vorzubesprechen. Mir geht es momentan nicht gut. Ich bin dauermüde, habe ständig Seitenstechen (durch die wuchernden Zystennieren), schlafe schlecht und habe zu allem Überfluss im Job gerade extrem Druck. Das Ganze drückt mir sehr auf die Psyche. Ich möchte, dass Gott ein Wunder tut, dass meine Nieren wieder voll funktionieren und dass die Zysten verschwinden. Ich weiß, dass ER das kann. Bin dankbar für jedes Gebet zwischendurch. LG und eine gute Woche, Stefan“
Ich hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, dass es auch für mich göttliche Heilung geben könnte. In den letzten Jahren hatte ich Kontakt mit vielen Menschen, die durch Gebete Wunder erlebt hatten. Auch während meiner Reisen im Ausland hatte sich mein Horizont sehr erweitert.
In Nigeria begleitete ich einen Prediger, der auf der Bühne für Menschen betete, die krank waren. Ich war dort, um mit diesen Menschen anschließend Interviews zu machen. An einen jungen Mann kann ich mich gut erinnern: Er war offensichtlich blind gewesen. Nachdem auf der Bühne für ihn gebetet wurde, kam er die Treppe herunter auf mich zu. Er ging allein und er konnte offensichtlich