Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
der anderen Traumerzeuger Stunden lang fortdauert, wie Sie wissen.
Ich will nun versuchen, Ihnen so deutlich wie möglich zu machen, was man dabei empfindet. Es ist dies nämlich keine leichte Sache: so delikat, so unfasslich sind diese Empfindungen.
Was mich zu diesem Mittel greifen ließ, das ich in der Folge vielleicht etwas missbraucht habe, waren heftige neuralgische Schmerzen. Sie plagten mich in Kopf und Nacken, wärend ich eine unerträgliche Hitze in der Haut und eine fieberhafte Unruhe am ganzen Körper verspürte. Ich nahm mir also eine große Flasche Äther vor, legte mich hin und atmete sie langsam ein.
Nach einigen Minuten glaubte ich ein unbestimmtes Murmeln zu vernehmen, das bald zu einem lauten Schwirren wurde. Dabei war mir, als ob das ganze Innere meines Körpers leicht, federleicht würde und in Dunst zerginge.
Dann kam eine Art seelischer Starre, ein schläfriges Behagen, und trotz alledem dauerten die Schmerzen fort, hörten aber auf, qualvoll zu sein. Es war eine Art von Schmerzen, wie man sie gerne hinnimmt, und nicht mehr dieses schauderhafte Reißen, gegen das der ganze Körper sich sträubt.
Bald verbreitete sich dieses seltsame und angenehme Gefühl von Leere, das ich in der Brust hatte, auch über die Glieder; sie wurden gleichfalls so leicht, als ob Fleisch und Knochen schmölzen und die Haut allein übrig bliebe: gerade so viel Haut, um mich empfinden zu lassen, wie herrlich das Leben ist und das Liegen in diesem seligen Zustand… Ich merkte auch, dass ich nicht mehr litt, dass der Schmerz fort war, wie weggeweht, verdunstet… Ich hörte Stimmen, vier Stimmen, zwei Unterhaltungen, ohne von den Worten etwas zu verstehen. Bald waren es nur unbestimmte Laute, bald fing ich einzelne Worte auf, bis ich schließlich erkannte, dass es einfach das starke Brausen in meinen Ohren war, was sich so anhörte. Ich schlief nicht, ich wachte, ich hatte Verstand und Gefühl, ich dachte mit einer Helligkeit, mit einer tiefen, außerordentlichen Kraft und Lust am Geiste, einer seltsamen Trunkenheit, die von dieser mächtigen Entfaltung meiner mentalen Fähigkeiten herrührte.
Es war kein Haschischtraum noch eine jener krankhaften Visionen des Opiumrausches, sondern eine wunderbare Schärfe des Gedankens, eine neue Art, alle Dinge zu sehen, zu schätzen, zu beurteilen, und dies alles mit einer Sicherheit und dem unbedingten Bewusstsein, dass diese Art die richtige war.
Und plötzlich kam mir das alte Wort der Schrift in den Sinn. Mir war, als hätte ich vom Baum der Erkenntnis gegessen, als enthüllten sich mir alle Geheimnisse der Welt. Ich fühlte mich im Besitz einer neuen, seltsamen, unwiderleglichen Logik. Gründe, Vernunftschlüsse, Beweise strömten mir in Menge zu, um gleich darauf durch stärkere Gründe und Beweise wieder umgestoßen zu werden. Mein Kopf war zum Schlachtfeld von Ideen geworden. Ich war ein höheres Wesen mit unüberwindlicher Intelligenz, und ich hatte einen wunderbaren Genuss daran, meine Macht zu konstatieren…
Das dauerte lange, lange. Ich hatte immer noch das Mundstück meiner Ätherflasche vor dem Munde. Plötzlich merkte ich, dass sie leer war, und eine unglaubliche Traurigkeit überfiel mich.
– Doktor, schrien die vier Herren wie aus einer Kehle, schnell ein Rezept für ein Liter Äther.
Aber der Arzt setzte seinen Hut auf und ging.
– Das… nein! versetzte er. Gehen Sie zu anderen, um sich vergiften zu lassen.
*
Nun, wie wäre es damit, meine Herrschaften? Haben Sie keine Lust darauf?…
*
Eine Beichte
Sie baten mich, mein Freund, Ihnen die lebhaftesten Erinnerungen meines Daseins zu erzählen. Ich bin sehr alt und habe weder Verwandte noch Kinder; ich fühle mich also frei genug, mich Ihnen anzuvertrauen. Versprechen Sie mir nur, meinen Namen nicht preiszugeben.
Ich bin viel geliebt worden, das wissen Sie, und oft habe ich mich selbst geliebt. Ich war sehr schön, was ich heute unverhohlen sagen kann, da nichts mehr davon übrig ist. Die Liebe gab meiner Seele Leben, wie die Luft dem Körper Leben gibt. Ich wäre lieber gestorben, als ohne Zärtlichkeitsbeweise, ohne jemanden, der an mich dachte, zu leben. Die Frauen behaupten oft, dass sie nur einmal mit ganzer Seele liebten. Mir ist es oft so ergangen, dass ich so heiß liebte, dass ich das Ende meiner Leidenschaft für unmöglich hielt. Und doch verlosch sie allemal, wie ein Feuer, dem es an Holz mangelt.
Ich will Ihnen heute mein erstes Abenteuer erzählen, an dem ich sehr unschuldig war, das aber die anderen nach sich zog. Die furchtbare Rache des Apothekers Du Pecq gemahnt mich wieder an das erschütternde Drama, dem ich sehr wider Willen beiwohnte.
Ich war damals seit einem Jahre verheiratet. Mein Mann war ein Großgrundbesitzer, Graf Hervé de K…, ein Bretone von altem Adel, den ich – wohlverstanden – garnicht liebte. Die wahre Liebe bedarf, so glaube ich wenigstens, der Freiheit und der Hindernisse zugleich. Die gebotene, durch das Gesetz geheiligte, vom Priester geweihte Liebe – ist das überhaupt noch Liebe? Ein erlaubter Kuss – ist er einen geraubten wert?
Mein Mann war von hoher Statur, von elegantem Äußern und in seinem Auftreten ein wahrer Grandseigneur. Er sprach scharf und hart; seine Worte waren wie schneidende Klingen. Man merkte, dass dieser Geist ganz aus fertigen Gedanken bestand, die sein Vater und seine Mutter ihm eingeimpft – und ihrerseits wieder von ihren Voreltern überkommen hatten. Er zögerte nie mit seiner Meinungsäußerung, fällte über alles ein unbedingtes, borniertes Urteil ohne irgendwelche Einschränkung, und ohne zu begreifen, dass es auch eine andere Anschauung geben könnte. Man begriff, dass dieser Kopf verschlossen war, dass kein Gedanke aus und ein ging, der seinen Geist wieder verjüngte und erneuerte, wie der Wind durch ein Haus fährt, dessen Fenster und Türen offen stehen.
Das Schloss, das wir bewohnten, lag mitten im offenen Lande verloren. Es war ein großes, düsteres Gebäude mit riesigen Bäumen ringsum. Ihr langes Moos gemahnte mich immer an die weißen Bärte der Greise. Der Park, ein wahrer Wald, war von einem tiefen Graben umgeben, welcher der »Wolfssprung« hieß, und ganz am Ende, nach der Haide zu, hatten wir zwei große Teiche voller Schilf und schwimmender Wasserpflanzen. Zwischen beiden hatte mein Mann am Rande des kleinen Baches, der sie verband, eine kleine Hütte errichtet, um wilde Enten zu schießen.
Wir hatten außer unsern gewöhnlichen Dienstboten noch einen Wächter, der meinem Manne auf Tod und Leben ergeben war, und ich eine Zofe, fast eine Freundin, die für mich durchs Feuer ging. Ich hatte sie vor fünf Jahren aus Spanien mitgebracht. Sie war ein verlassenes