Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
er auf einen Sessel sank und mit pochendem Herzen wartete.
Er wartete lange, lange. Dann, als heftige Stimmen durch die Decke bis zu ihm herauf drangen, entschloss er sich, herunterzugehen.
Frau Poinçot stand aufrecht im Zimmer und wollte eben gehen; ihr Gatte hielt sie am Kleide fest und sagte eindringlich: »Aber verstehen Sie doch, Sie vernichten das Glück Ihrer Töchter, unserer Kinder!«
Aber sie antwortete hartnäckig: »Ich will nicht zu Ihnen zurück!« Renoldi erkannte sofort die Gefahr, trat niedergeschlagen näher und stotterte: »Was, sie will nicht?« Da drehte sie sich um und sagte, indem sie ihn in einer Anwandlung von Scham vor dem rechten Gatten nicht mehr zu dutzen wagte: »Wissen Sie, was er von mir verlangt? Zurückkommen soll ich in sein Haus!« Dabei lachte sie höhnisch und mit verächtlicher Miene gegen den Mann, der sie kniefällig bat.
Da sprach Renoldi mit der Entschlossenheit eines verzweifelten Spielers, der alles auf die letzte Karte setzt. Er trat für die armen Mädchen ein, für den Gatten, für sich. Als er innehielt, um nach neuen Beweggründen zu suchen, lispelte Herr Poinçot, der mit seiner Weisheit auch zu Ende war, indem er sie aus alter Gewohnheit plötzlich wieder dutzte:
– Komm, Delphine, denke an deine Kinder!
Sie warf ihnen beiden einen Blick souveräner Verachtung zu, riss sich los und war mit einem Satz auf der Treppe.
– Ihr seid zwei elende Gesellen! rief sie ihnen von oben aus zu.
Als sie wieder allein waren, blickten sie sich einen Augenblick gebrochen und niedergeschlagen an. Dann hob Herr Poinçot seinen hingefallenen Hut auf, klopfte sich das vom Kniefall bestaubte Beinkleid ab, und Renoldi begleitete ihn nach der Tür.
»Wir sind beide sehr unglücklich, mein Herr!« sagte er draußen mit verzweifelter Gebärde, grüßte, setzte seinen Hut auf und ging mit kummervollen Schritten.
*
Briefwechsel
Étretat, Freitag.
Meine liebe Tante!
Ich komme Dir allmählich entgegen. Ich werde am 2. September in Les Fresnes sein, den Tag vor Beginn der Jagd, den ich nicht verfehlen möchte, um diese Herren zu ärgern. Du bist zu gut, liebe Tante, und wenn du mit ihnen allein bist, erlaubst du ihnen ohne Frack und unrasiert zum Essen zu kommen, weil sie angeblich ermüdet sind.
Darum sind sie auch entzückt, wenn ich nicht da bin. Aber ich werde da sein und Besichtigung abhalten, wie ein General, wenn es Essenszeit ist. Und wenn ich einen finde, der sich vernachlässigt, werde ich ihn zu den Mägden in die Küche schicken.
Die Herren von heute sind so wenig rücksichtsvoll und haben so wenig Lebensart, dass man nie streng genug sein kann. Es ist wirklich die Zeit der Kutschermanieren. Wenn sie miteinander in Streit geraten, gebrauchen sie Schimpfworte wie Fuhrknechte, und vor uns benehmen sie sich weit schlechter, als unsre Dienstboten. In den Seebädern muss man sie sehen! Da sind sie in hellen Haufen und man kann sie in Masse beurteilen, wie ungehobelt sie sind!
Stelle dir vor: in der Eisenbahn sitzt mir ein Herr gegenüber, der es seinem Schneider zu danken hatte, dass er auf den ersten Blick anständig aussah. Plötzlich zieht er in aller Ruhe seine Stiefel aus und legt Schlappen an. Ein anderer, ein älterer Mann, scheinbar ein reicher Emporkömmling – die sind immer am schlechtesten erzogen – sitzt mir gegenüber und legt gemütlich seine beiden Füße auf den Sitz neben mir. So etwas ist erlaubt.
In den Seebädern herrscht ein geradezu zügelloses Flegeltum. Freilich stammt meine Empörung, wie ich hinzufügen muss, vielleicht daher, dass ich gar nicht gewöhnt bin, mit diesen Leuten, die man hier mit dem Ellenbogen streift, zu verkehren; ihr Benehmen würde mich vielleicht weniger verletzen, wenn ich es nicht anders kennte.
Im Hotelbüro wurde ich neulich von einem jungen Menschen fast umgestoßen: er nahm über meinen Kopf weg seinen Schlüssel vom Brette. Ein anderer rempelte mich beim Verlassen des Kasinoballs mit aller Gewalt an, ohne mich um Entschuldigung zu bitten oder auch nur den Hut abzunehmen; ich habe noch heute Brustschmerzen davon. Und so sind sie alle. Sieh sie dir an, wenn sie Damen auf der Terrasse anreden: sie grüßen kaum. Sie legen höchstens die Hand an die Kopfbedeckung. Da sie indes zumeist Kahlköpfe haben, ist dies vielleicht das beste.
Aber etwas empört und verletzt mich vor allem: das ist die Art, wie sie sich ganz öffentlich und ohne die geringste Vorsicht von den empörendsten Dingen unterhalten. Wenn zwei Männer zusammen sind, erzählen sie sich in den rohsten Ausdrücken und gemeinsten Gedankengängen wahrhaft unerhörte Geschichten, ohne sich im Geringsten zu genieren, wenn ein Frauenohr in ihrer Nähe ist. Gestern am Strande musste ich meinen Platz wechseln, um nicht länger die unfreiwillige Zuhörerin einer skandalösen Geschichte zu sein, die sie sich in so brutalen Ausdrücken erzählten, dass ich nicht wusste, ob ich mich mehr schämen oder mehr empört sein sollte, dass ich so etwas hatte mitanhören müssen. Das geringste Anstandsgefühl hätte ihnen sagen können, dass man in unsrer Nähe von solchen Sachen leise zu sprechen hat.
Étretat ist übrigens das Land, wo von allem Aufhebens gemacht wird, und folglich die Heimat der Klatschbasen. Nachmittags von fünf bis sieben Uhr sieht man sie auf der Jagd nach Verläumdungen, die sie von Haus zu Haus tragen. Du sagtest mir einmal, liebe Tante, die Klatschsucht wäre ein Zeichen von kleinem Geiste und schlechter Herkunft. Sie ist auch der Trost der Frauen, denen keine Liebe mehr blüht und der Hof nicht mehr gemacht wird. Man braucht sich die nur anzusehen, die als die Klatschsüchtigsten bezeichnet werden, und man ist sicher, dass du dich nicht täuschtest.
Neulich wurde eine musikalische Soirée im Kasino von einer namhaften Künstlerin, Frau Masson, veranstaltet. Sie sang wirklich zum Entzücken. Ich hatte auch Gelegenheit, den prachtvollen Coquelin zu beklatschen, ebenso zwei reizende frühere Mitglieder vom Baudeville-Theater, M… und Meillet. Ich konnte bei dieser Gelegenheit alles, was diesen Sommer am Strande war, zusammen sehen. Viel Gutes war nicht darunter.
Am nächsten Tage ging ich zum Frühstück nach Yport. Ich sah einen bärtigen Menschen aus einem großen festungsartigen Hause kommen; es war der Maler Jean Paul Lorens. Es genügte ihm anscheinend nicht, seine Personen mit Mauern zu umgeben; er möchte sich auch noch selbst einmauern.
Am Strande saß ich neben einem noch jungen Manne von zartem und feinem Aussehen und stillem Wesen, der Verse las. Aber er las sie mit solcher Aufmerksamkeit, dass er nicht ein einziges Mal nach mir aufsah. Ich war etwas verwundert und fragte den Bademeister