Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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von jun­gen Leu­ten um­stand ihn und hör­te auf­merk­sam zu.

      Mich, be­gann er von Neu­em, hat ein­mal eine klei­ne Bür­gers­frau in eben­so drol­li­ger wie meis­ter­haf­ter Wei­se an­ge­führt. Ih­nen zur Leh­re will ich die Ge­schich­te er­zäh­len.

      Ich war da­mals Mi­nis­ter des Aus­wär­ti­gen und hat­te die Ge­wohn­heit, je­den Mor­gen einen lan­gen Spa­zier­gang nach den Champs Élysées zu ma­chen. Es war im Mo­nat Mai; ich ging und sog in vol­len Zü­gen den an­ge­neh­men Duft des ers­ten Grüns ein.

      Bald wur­de ich ge­wahr, dass mir Tag für Tag eine al­ler­liebs­te klei­ne Per­son be­geg­ne­te, ei­nes je­ner rei­zen­den, gra­zi­ösen Ge­schöp­fe, die den Stem­pel von Pa­ris tra­gen. Ob sie hübsch war? Ja und nein. Schön ge­wach­sen? Nein, bes­ser als das. Die Tail­le war zu schlank, die Schul­tern zu gra­de, die Brust zu ge­wölbt. Aber wenn auch, ich zie­he die­se köst­li­chen le­ben­den Pup­pen mit ih­rer rund­li­chen Form dem großen Kno­chen­ge­rüst der Ve­nus von Milo vor…

      Und dann trip­pel­te sie auf eine un­nach­ahm­li­che Wei­se, und das blo­ße Rau­schen ih­rer Rö­cke lässt es uns heiß und kalt durch die Glie­der rie­seln… Es sah aus, als blick­te sie mich im Vor­über­ge­hen an. Aber die­se Krea­tu­ren se­hen im­mer nach al­lem Mög­li­chen aus, und man weiß doch nie…

      Ei­nes Mor­gens er­blick­te ich sie auf ei­ner Bank sit­zend; sie hat­te ein auf­ge­schla­ge­nes Buch in der Hand. Schnell setz­te ich mich ne­ben sie und in fünf Mi­nu­ten wa­ren wir die bes­ten Freun­de. Dann be­grüß­ten wir uns je­den Mor­gen lä­chelnd: »Gu­ten Tag, mei­ne Dame!« – »Gu­ten Tag, mein Herr!« und dar­auf wur­de ge­plau­dert. Sie ver­riet mir, dass sie die Frau ei­nes Be­am­ten sei, dass das Le­ben trau­rig, die Ver­gnü­gun­gen sel­ten und die Sor­gen häu­fig wä­ren, und tau­send an­de­re Din­ge mehr.

      Ich sag­te ihr zu­fäl­lig und viel­leicht auch aus Ei­tel­keit, wer ich wäre, und sie spiel­te die Er­staun­te sehr gut.

      Tags dar­auf be­such­te sie mich im Mi­nis­te­ri­um und kam da­nach so oft wie­der, dass die Die­ner im Mi­nis­te­ri­um sie bald kann­ten und sich, wenn sie er­schi­en, ih­ren Na­men, den sie ihr ge­ge­ben, ge­gen­sei­tig zu­tu­schel­ten. Sie hat­ten sie »Frau Léon« ge­tauft; Léon ist näm­lich mein Vor­na­me.

      So sah ich sie drei Mo­na­te lang je­den Mor­gen, ohne ih­rer je über­drüs­sig zu wer­den: so schön ver­stand sie ihre Zärt­lich­kei­ten zu va­ri­ie­ren und zu tö­nen. Aber ei­nes Ta­ges merk­te ich, dass ihre Au­gen rot wa­ren und von zu­rück­ge­hal­te­nen Trä­nen schim­mer­ten; sie sprach auch nur wi­der­wil­lig und schi­en in ge­hei­me Ge­dan­ken ver­sun­ken.

      Ich bat und be­schwor sie, mir den Kum­mer ih­res Her­zens an­zu­ver­trau­en, und sie stam­mel­te schließ­lich zu­sam­men­schau­dernd: »Ich… ich bin gu­ter Hoff­nung.« Dann fing sie an zu schluch­zen. Ich schnitt ein grim­mes Ge­sicht und wur­de blass, wie man es bei der­glei­chen An­läs­sen tun soll. Sie ma­chen sich gar kei­nen Be­griff da­von, wel­chen un­an­ge­neh­men Schreck­schuss ei­nem die An­kün­di­gung ei­ner sol­chen un­er­war­te­ten Va­ter­schaft ein­jagt. Aber frü­her oder spä­ter wer­den Sie’s ja auch zu er­fah­ren ha­ben… Ich stot­ter­te also ver­le­gen: »Aber… aber du bist doch ver­hei­ra­tet.«

      »Ja«, ant­wor­te­te sie, »aber mein Mann ist seit zwei Mo­na­ten in Ita­li­en und wird noch lan­ge nicht zu­rück­kom­men.«

      Ich woll­te die Verant­wort­lich­keit um je­den Preis von mir ab­wäl­zen und sag­te: »Du musst so­gleich zu ihm hin.« Sie er­rö­te­te bis in die Schlä­fen und senk­te die Li­der. »Ja… aber…« Sie wag­te nicht wei­ter zu spre­chen oder woll­te auch nicht.

      Ich ver­stand je­doch und übergab ihr in scho­nends­ter Form ein Cou­vert mit dem nö­ti­gen Rei­se­geld.

      *

      Acht Tage spä­ter er­hielt ich einen Brief aus Ge­nua, die Wo­che dar­auf einen aus Flo­renz, dann aus Li­vor­no, Rom und Nea­pel. Sie schrieb mir: »Es geht mir gut, Ge­lieb­ter, nur sehe ich schau­der­haft aus. Ich möch­te nicht, dass du mich siehst, eh’ al­les vor­über ist; du wür­dest mich sonst nicht mehr mö­gen. Mein Mann ahnt nichts. Da sein Auf­trag ihn noch lan­ge hier im Lan­de hält, wer­de ich erst nach dem Er­eig­nis nach Frank­reich zu­rück kön­nen.«

      Und nach acht Mo­na­ten etwa er­hielt ich aus Ve­ne­dig nur die­se Wor­te: »Es ist ein Jun­ge.«

      Ei­ni­ge Zeit dar­auf er­schi­en sie plötz­lich des Mor­gens in mei­nem Ar­beits­zim­mer. Sie war fri­scher und hüb­scher denn je und warf sich mir an die Brust. Und uns­re alte Zärt­lich­keit wur­de fort­ge­setzt.

      Als ich das Mi­nis­te­ri­um ver­ließ, kam sie in mein Ho­tel in der Rue Gre­nel­le. Sie sprach mir oft von ih­rem Kin­de, aber ich hör­te gar­nicht hin; denn das ging mich nichts an. Ich übergab ihr hin und wie­der nur ein recht hüb­sches Sümm­chen und sag­te ein­fach: »Lege das für ihn an.«

      So ver­gin­gen zwei Jah­re, wäh­rend sie mir im­mer ein­dring­li­cher von dem klei­nen Léon er­zähl­te. Zu­wei­len wein­te sie auch und sag­te: »Du liebst ihn nicht, du willst ihn nicht ein­mal se­hen. Wenn du wüss­test, wel­chen Kum­mer du mir da­mit be­rei­test!«

      Schließ­lich setz­te sie mir so stark zu, dass ich ihr ei­nes Ta­ges zu­sag­te, am nächs­ten Mor­gen nach den Champs Élysées zu kom­men, wenn sie mit dem Kin­de dort spa­zie­ren gin­ge.

      Aber in dem Au­gen­blick, wo ich ge­hen woll­te, be­fiel mich eine selt­sa­me Un­schlüs­sig­keit. Der Mann ist schwach und dumm; was wuss­te ich, was in mei­nem Her­zen vor­ge­hen wür­de, wenn ich die­ses klei­ne We­sen – mei­nen Sohn! er­blick­te. Vi­el­leicht wür­de mein Herz sich re­gen.

      Ich hat­te be­reits den Hut auf dem Kop­fe und die Hand­schu­he an­ge­streift; ich warf die Halb­schu­he wie­der auf mein Schreib­pult und mei­nen Hut auf einen Stuhl. »Nein«, sag­te ich zu mir, »ich gehe ganz be­stimmt nicht. Das ist ver­stän­di­ger!«

      Plötz­lich öff­ne­te sich die Tür und mein Bru­der trat ein. Er übergab mir einen an­ony­men Brief, den er die­sen Mor­gen er­hal­ten hat­te und der fol­gen­der­ma­ßen lau­te­te: »Set­zen Sie Ihren Bru­der, den Gra­fen L…, da­von in Kennt­nis, dass die klei­ne Frau aus der Rue Cas­set­te sich in un­ver­schäm­tes­ter Wei­se über ihn lus­tig macht. Er­kun­di­gun­gen über sie ein­zu­zie­hen, wäre an­ge­zeigt.«

      Ich hat­te nie und mit kei­nem Men­schen von die­ser Ge­schich­te ge­spro­chen. Ich war höchst ver­blüfft und er­zähl­te mei­nem Bru­der den Her­gang der Sa­che von An­fang bis zu Ende. »Was mich be­trifft«, setz­te ich hin­zu, »so will ich nichts mehr da­mit zu tun ha­ben. Du wür­dest mich aber sehr ver­bin­den, wenn du Nach­for­schun­gen dar­über an­stel­len woll­test.« Als mein Bru­der ge­gan­gen war, sag­te ich mir: »Wo­rin kann sie mich be­trü­gen? Sie hat viel­leicht noch an­de­re Lieb­ha­ber. Aber was geht das mich an? Sie ist jung, frisch und hübsch, mehr ver­lan­ge ich nicht von ihr. Sie scheint mich zu lie­ben und kos­tet im Gan­zen nicht viel. Ich ver­ste­he es wirk­lich nicht.«

      Mein Bru­der kam bald zu­rück. Auf der Po­li­zei hat­te man ihm über ih­ren Gat­ten die bes­ten Aus­künf­te ge­ge­ben. »Be­am­ter im Mi­nis­te­ri­um des In­nern, kor­rekt, wohl ack­re­di­tiert, wohl­ge­sinnt, hat aber eine Frau, die weit über ihre be­schei­de­nen Ver­hält­nis­se zu le­ben scheint.« Das war al­les.

      Hier­auf


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