Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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Léon?

      – Nein, mein Herr, Sie täu­schen sich.

      – Aber der, den sie auf ih­rer ita­lie­ni­schen Rei­se be­kam, es ist jetzt zwei Jah­re her.

      – Sie ist nie in Ita­li­en ge­we­sen, mein Herr. Seit fünf Jah­ren, wo sie hier wohnt, hat sie das Haus nicht ver­las­sen.

      Mein Bru­der war be­trof­fen, frag­te von Neu­em und son­dier­te so tief wie mög­lich. Aber es blieb da­bei: Kein Kind, kei­ne Rei­se.

      Ich war höchst er­staunt, ohne doch den Sinn die­ser Ko­mö­die recht zu ver­ste­hen.

      – Ich will Klar­heit in der Sa­che ha­ben, sag­te ich, und dies so­gleich. Ich wer­de sie bit­ten, mor­gen hier­her zu kom­men und du wirst sie an mei­ner Statt emp­fan­gen. Wenn sie mich an­ge­führt hat, wirst du ihr die­se zehn­tau­send Franks über­ge­ben und ich will sie nicht mehr se­hen. Ich fan­ge wahr­haf­tig an, ein Haar dar­in zu fin­den.

      *

      Was glau­ben Sie wohl? Vor­her hat­te es mich ver­stimmt, dass ich von die­ser Frau ein Kind hat­te, und jetzt war ich är­ger­lich, be­schämt und ge­kränkt, dass ich keins hat­te. Ich war je­der Ver­pflich­tung und Sor­ge le­dig und doch wü­tend.

      Mein Bru­der emp­fing sie am nächs­ten Tage in mei­nem Ar­beits­zim­mer. Sie trat leb­haft ein, wie ge­wöhn­lich, lief ihm mit of­fe­nen Ar­men ent­ge­gen und stutz­te erst, als sie ihn er­kann­te.

      Er grüß­te und ent­schul­dig­te sich.

      – Ich bit­te um Ent­schul­di­gung, sag­te er, wenn ich Ih­nen an Stel­le mei­nes Bru­ders ent­ge­gen­tre­te. Aber er hat mich be­auf­tragt, Sie um eine Aus­kunft zu bit­ten, die er nicht ger­ne selbst er­hal­ten möch­te.

      Dann blick­te er ihr scharf ins Auge und sag­te plötz­lich:

      – Wir wis­sen, dass Sie kein Kind von ihm ha­ben.

      Sie war einen Au­gen­blick stut­zig, ge­wann aber so­gleich die Fas­sung wie­der, setz­te sich und blick­te die­sen Rich­ter lä­chelnd an.

      – Nein, ich habe kein Kind, ant­wor­te­te sie ein­fach.

      – Wir wis­sen auch, dass Sie nie in Ita­li­en ge­we­sen sind.

      Dies­mal be­gann sie laut auf­zu­la­chen.

      – Nein, ich bin nicht in Ita­li­en ge­we­sen.

      Mein Bru­der war be­trof­fen und sag­te:

      – Der Graf hat mich be­auf­tragt, Ih­nen die­ses Geld zu ge­ben und Ih­nen zu er­klä­ren, dass er sei­ne Be­zie­hun­gen zu Ih­nen ab­brä­che.

      Sie wur­de wie­der ernst, steck­te das Geld ru­hig in die Ta­sche und sag­te naiv:

      – Al­so… soll ich den Gra­fen nicht wie­der­se­hen?

      – Nein, mei­ne Dame.

      Sie schi­en das nicht zu er­war­ten und setz­te ru­hi­gen Tons hin­zu:

      – Scha­de. Ich lieb­te ihn sehr.

      Als mein Bru­der sah, dass sie so ent­schlos­sen war, frag­te er sie, gleich­falls lä­chelnd: »Sa­gen Sie mir bit­te nur, warum Sie die­se lan­ge und kom­pli­zier­te Ge­schich­te von der Rei­se und dem Kin­de er­fun­den ha­ben?«

      Sie blick­te mei­nen Bru­der ganz er­staunt an, als ob er et­was sehr Dum­mes ge­fragt hat­te, und ant­wor­te­te:

      – Das ist doch aber arg! Glau­ben Sie denn, eine arme klei­ne Bür­gers­frau wie ich, an der gar­nichts dran ist, hät­te einen Mann wie den Gra­fen von L…, einen Mi­nis­ter, einen Grands­eigneur, einen rei­chen und ver­füh­re­ri­schen Gent­le­man, drei Jah­re lang fest­hal­ten kön­nen, wenn ich nicht et­was hat­te, wo­mit ich ihn hielt? Nun, es ist jetzt zu Ende; scha­de drum! Aber es konn­te ja nicht ewig so blei­ben. Drei Jah­re lang ist mir’s we­nigs­tens ge­lun­gen. Bit­te sa­gen Sie dem Gra­fen vie­le Grü­ße von mir.

      Sie stand auf.

      – Aber… das Kind, fing mein Bru­der wie­der an. Sie hat­ten doch ein Kind, das Sie ihm zei­gen woll­ten.

      – Ge­wiss, es ist das Kind mei­ner Schwes­ter. Sie hat es mir ge­lie­hen. Wahr­schein­lich stammt der Brief von ihr.

      – Schön, aber alle die­se Brie­fe aus Ita­li­en?

      Sie setz­te sich wie­der und schüt­tel­te sich vor La­chen.

      – Oh, die­se Brie­fe! sag­te sie. Ein gan­zes Ge­dicht. Der Graf war nicht um­sonst Mi­nis­ter des Aus­wär­ti­gen.

      – Aber… wie denn…

      – Das ist mein Ge­heim­nis. Ich will nie­mand blos­stel­len.

      Sie grüß­te mit leicht spöt­ti­schem Lä­cheln und ging ohne jede Ge­müts­be­we­gung, wie eine Schau­spie­le­rin, de­ren Rol­le zu Ende ist. –

      »Und die Moral«, setz­te Graf L… hin­zu: »Traue kei­ner die­sen lock­ren Vö­geln!«

      *

      – Grä­fin Sa­mo­ris.

      – Die Dame da un­ten in Schwarz?

      – Sie selbst. Sie trau­ert um ihre Toch­ter, die sie ge­tö­tet hat.

      – Nicht doch! Was er­zäh­len Sie mir da!

      – Eine ganz ein­fa­che Ge­schich­te ohne Ver­bre­chen und Ge­walt­ta­ten. Frau Sa­mo­ris hat mit Herrn Rap­pa­port nichts zu tun.

      – Was war denn aber der Grund?

      – Fast nichts. Vie­le He­tä­ren, sagt man ja, sind zu an­stän­di­gen Wei­bern ge­bo­ren, und vie­le so­ge­nann­te an­stän­di­ge Da­men sind ge­bo­re­ne He­tä­ren, nicht wahr? So ist Frau Rap­pa­port – par­don! Frau Sa­mo­ris – eine ge­bo­re­ne He­tä­re, und ihre Toch­ter war zum ehr­ba­ren Wei­be ge­bo­ren.

      – Ich ver­ste­he Sie nicht recht.

      – Ich wer­de es Ih­nen gleich er­klä­ren. Die Grä­fin Sa­mo­ris ge­hört zu je­nen Tal­mi-Frem­den, wie sie auf Pa­ris all­jähr­lich zu Hun­der­ten her­ab­reg­nen. Sie war eine Grä­fin aus Un­garn oder der Walachei, oder sonst wo­her, und tauch­te ei­nes Win­ters in ei­nem Hau­se der Champs-Élysées, die­ses Aben­teu­rer-Vier­tels, auf, wo sie ihre Sa­lons al­ler Welt öff­ne­te.

      Ich ging auch hin. Wa­rum? wer­den Sie fra­gen. Ich weiß es selbst nicht recht. Ich ging hin, wie wir alle hin­ge­hen, weil dort ge­spielt wird, weil die Wei­ber ge­fäl­lig und die Män­ner Gau­ner sind. Sie ken­nen ja die­se Frei­beu­ter­welt mit ih­ren man­nig­fa­chen Aus­hän­ge­schil­dern, sie sind alle von ed­ler Ge­burt, alle ha­ben Ti­tel, und alle sind auf den Ge­sandt­schaf­ten un­be­kannt, aus­ge­nom­men die Spio­ne. Alle spre­chen von Ehre, auch wenn von ih­ren Stie­feln die Rede ist, prah­len mit ih­ren Vor­fah­ren und er­zäh­len von ih­rem Le­ben; sie sind al­le­samt Auf­schnei­der, Lüg­ner und Schel­me, ver­däch­tig wie ihre Kar­ten, trü­ge­risch wie ihre Na­men, kurz, eine rech­te Gal­gen-Ari­sto­kra­tie.

      Ich lie­be die­se Leu­te! Es ist in­ter­essant, sie zu durch­schau­en, in­ter­essant, sie ken­nen zu ler­nen, amüsant, sie an­zu­hö­ren; sie sind oft geist­reich und nie ba­nal, wie öf­fent­li­che Be­am­te. Ihre Wei­ber sind im­mer hübsch, mit ei­nem klei­nen Stich ins Aus­län­disch-Gau­ner­haf­te, vom Ge­heim­nis


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