Eine Geschichte des Krieges. Группа авторов

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Projekte. Der Zwist entzündete sich an der Frage einer allgemeinen Definition der Aggression, auch wenn die verschiedenen Vorschläge anerkannten, dass alles von der Glaubwürdigkeit der je spezifisch anwendbaren Prozeduren abhing. Diese Diskussionen fanden am Rande jener Verhandlungen um ein dauerhaftes multilaterales, sich über den Völkerbund hinaus erstreckendes Friedensabkommen statt, die schließlich in den Vertrag von Locarno (1925) und den allgemeinen Pakt zur Ächtung des Krieges mündeten, welcher besser als Briand-Kellogg-Pakt (1928) bekannt ist.

      Die Jahre der Zwischenkriegszeit erwiesen sich letztlich nicht als günstig für die Institutionalisierung eines Verbots – und weniger noch eines strafrechtlichen Verbots – der zwischenstaatlichen Aggression. Die Bewegung wurde durch den Börsenkrach von 1929 und die folgenden Ereignisse ausgebremst. Die Völkerrechtsspezialisten setzten dennoch ihre Bemühungen um eine juristische Kodifizierung fort. So enttäuschend die Ergebnisse auch waren, darf man die Arbeit der Juristen, das Engagement der Staaten und ihre Resonanz nicht unterschätzen. Nachdem das ius ad bellum im Fokus gestanden hatte, rückte das Interesse für das ius in bello in den Vordergrund. Die Genfer Konventionen wurden 1929 erneut revidiert, um den Schutz der Soldat*innen weiter auszubauen; die Vorschläge zu einem offiziellen Schutz von Zivilist*innen wurden hingegen abgelehnt. Hinsichtlich der Reglementierung des Kampfes selbst waren sich die Großmächte im Allgemeinen darüber einig, nur diejenigen Waffen zu verbieten, für die sie keinen Nutzen mehr zu haben meinten, sodass sich das Projekt der Zivilisierung des Krieges schnell dem Vorwurf ausgesetzt sah, dass es immer nur um die Reglementierung des jeweils letzten Konflikts ginge. Dumdumgeschosse waren im Rahmen der ersten Haager Friedenskonferenz verboten worden, trotz ihres verbreiteten Einsatzes bei den kolonialen Eroberungs- und Befriedungskriegen; lediglich sehr lockere Normen wurden zur Einschränkung der Städte- und Luftbombardements vorgeschlagen, die nach dem italienischen Giftgasbombardement Libyens 1911 einen Boom erlebten. Die Brutalität der Kolonialkonflikte nahm in der Zwischenkriegszeit nur noch zu. Das schließt die offiziell unter dem Protektorat des Völkerbundes befindlichen Territorien ein, so etwa Syrien, wo die Revolten 1925–1927 von Frankreich brutal niedergeschlagen wurden.

      Das Kriegsrecht versagte gänzlich dabei, die Grausamkeit des Zweiten Weltkrieges einzuhegen (ob diese Gewalt nun von den kolonialistischen Vergehen herrührte oder von einer innereuropäischen Dynamik). Wie schon im Ersten Weltkrieg wurde das Recht mehr an der Westfront geachtet, wo die Kriegsgefangenen von einem Schutz profitierten, der der Idee der Verträge nahekam. Außerdem stand das Rote Kreuz weiterhin in hohem Ansehen (es erhielt 1917 und 1944 den Friedensnobelpreis), insbesondere wegen seiner Anstrengungen, den Kontakt zwischen den Kriegsgefangenen und ihren Familien aufrechtzuerhalten. Die Realität hinter den Kulissen sah weniger glorreich aus: Jacob Burckhardt, der Schweizer Leiter der Organisation, fürchtete die kommunistische Bedrohung so sehr, dass er Sympathien für die Achsenmächte hegte. Seiner offiziellen Neutralität zum Trotz und ungeachtet der ihm vorliegenden Informationen überging das Rote Kreuz stillschweigend den Völkermord an den europäischen Juden.

      Der Nürnberger Prozess von 1945–1946 vor dem Internationalen Militärgerichtshof wird häufig als ein Völkermordprozess betrachtet. In Wahrheit stand er in Kontinuität mit den Debatten der Zwischenkriegszeit, da er die Fragen zwischenstaatlicher »Aggression« und unerlaubter Gewaltanwendung in den Vordergrund stellte. Dasselbe war ein Jahr später in Tokio der Fall, wo der Internationale Militärgerichtshof für den Fernen Osten Japan in erster Linie für Verstöße gegen das Kriegsrecht verurteilte. Der Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher führte Neuerungen im Bereich individueller Verantwortung ein, indem er die Bereitschaft zeigte, mehr als die Kriegsverbrechen den Krieg selbst zu verurteilen. In dieser Frage bestand Konsens zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, was starken Einfluss auf den Prozessverlauf hatte. In seiner einleitenden Erklärung gab der amerikanische Hauptanklagevertreter und Richter des Obersten Gerichtshofs Robert Jackson klar den Ton vor: »Mit dieser gerichtlichen Untersuchung wollen […] vier der mächtigen Nationen, unterstützt von weiteren siebzehn Nationen, praktisch das Völkerrecht nutzbar machen, der größten Drohung unserer Zeit entgegenzutreten: dem Angriffskrieg.«10

      Der Prozess stellte auch einen Ort für Kriegsverbrechen – Verletzungen der Regeln des ius in bello – und für einen jüngeren Hauptanklagepunkt dar: die »Verbrechen gegen die Menschlichkeit«11. Die Seerechtsabkommen der Zwischenkriegszeit hatten versucht, Angriffe von U-Booten auf neutrale Schiffe, wie es sie im Ersten Weltkrieg vielfach von deutscher Seite gegeben hatte, zu verbieten. Alle Großmächte gaben sich im Zweiten Weltkrieg dieser Praxis hin, aber nur der deutsche Großadmiral Karl Dönitz (kurzzeitiger Nachfolger Adolf Hitlers vor der Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschlands) wurde in Nürnberg schuldig gesprochen, sie in Verletzung des Völkerrechts angewandt zu haben. Er wurde damit auch der erste Staatschef, der für einen internationalen Verstoß gegen das Kriegsrecht verurteilt wurde.

      Da die Nürnberger Prozesse und die Prozesse in den alliierten Besatzungszonen dem Kriegsrecht eine große Öffentlichkeit verschafft hatten, erreichte das Rote Kreuz eine Revision der Genfer Konventionen. Dadurch erhielten Zivilist*innen endlich einen klar definierten Schutz in Form einer einheitlichen internationalen Instanz. Doch es war der Kalte Krieg, der mehr als jeder andere Konflikt zuvor das Kriegsrecht sowohl aus militärischer Sicht als auch in den Augen der Öffentlichkeit transformierte. Und das in einer Zeit, in der sich bereits der Niedergang der europäischen Reiche mit ihrem Anteil entsetzlicher Gewalt abzeichnete.

       Die Bürgerkriege im Visier

      Bei der Neufassung der Genfer Konventionen 1949 war es nicht so sehr das Gespenst des Kalten Krieges als das der drohenden antikolonialen Kämpfe, das den Diskussionen seinen Stempel aufdrückte. Wie im Zweiten Weltkrieg hatte das Kriegsrecht wenig Einfluss auf diese Konflikte: Die Dekolonisationskriege begannen häufig als Bürgerkriege, die traditionell weniger reglementiert waren; dazu kommt, dass Gegenseitigkeit und Beschränkung für die Europäer*innen und Amerikaner*innen nie Thema war, wenn sie gegen nichtwestliche Gegner kämpften. Trotz der im Zweiten Weltkrieg erlebten Schrecken der Luftbombardements in Europa führte der noch grauenhaftere Horror, den der Abwurf der Brand- und Atombomben auf die japanischen Städte 1944 und 1945 verursachte, nicht zur Bestrafung dieser Praktiken als solcher. Die Nationale Befreiungsfront in Algerien prangerte vergeblich die Folter und andere Verstöße der französischen Armee an. Das ganze Ausmaß der Gewalt der Aufstandsbekämpfung, das das Ende des Kolonialreichs in Algerien wie in Malaysia, auf den Philippinen und in zahlreichen afrikanischen Ländern kennzeichnet, die Schauplätze wahrer Blutbäder wurden (wie der Massenmord an den Mau-Mau in Kenia oder in den portugiesischen Kolonien Angola und Mosambik) ist erst in jüngerer Vergangenheit ans Licht gekommen.

      Dennoch wurden die Regeln, die den direkten Angriff auf Zivilist*innen untersagten, gestärkt; kollaterale Verwundungen und Tötungen wurden einzig in dem Maße als zulässig erklärt, als sie nicht in einer »unverhältnismäßigen« Beziehung zu einem als notwendig beurteilten militärischen Ziel standen. Die Zusatzprotokolle zu den Genfer Konventionen (1977) gaben diesen Regeln einen viel klareren Ausdruck, insbesondere aufgrund des Beitrags neuer postkolonialer Staaten, die die bis zu diesem Zeitpunkt auf den Nordatlantikbereich beschränkten Regeln des Krieges an die Situation der Länder des Südens anpassten. Der Sieg ehemals als »terroristisch« beschriebener aufständischer Kräfte erleichterte so die Ausweitung verpflichtender Regeln auf die asymmetrischen und irregulären Kriege.

      Während das Ziel einer rechtlichen Reglementierung der Gewaltanwendung zum Ende des Zweiten Weltkrieges noch populär gewesen war, sank in der Folge die Zustimmung in der öffentlichen Meinung und unter den Juristen. Diese Entwicklung bestätigte sich während des »zweiten« Vietnamkrieges nach dem Rückzug der Franzosen aus Indochina (1954). Im Gegensatz zu den Aufstandsbekämpfungsoperationen der britischen, niederländischen, französischen oder portugiesischen Kolonialmacht lässt sich die amerikanische Gewalteskalation in Südostasien Mitte der 1960er Jahre genau als »Aggression« in dem juristischen Sinne beschreiben, wie ihn die Vereinigten Staaten zwanzig Jahre zuvor selbst definiert hatten. Dennoch wurde dieser Vorwurf schnell mit dem Linksaktivismus assoziiert, der sich während dieser Jahre offen gegen den Krieg stellte (während der Pazifismus zuvor ein breiter geteiltes Anliegen gewesen war). Nach den Enthüllungen zum


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