Eine Geschichte des Krieges. Группа авторов

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den amerikanischen Streitkräften und ihren Alliierten in Südvietnam und anderen Ländern vor Ort begangen wurden. Allgemeiner betrachtet bewirkten die während des Kalten Krieges vorgebrachten Anschuldigungen, Angriffskriege zu führen, eine Schwächung der Idee, dass über den Rahmen der Charta der Vereinten Nationen (1945) hinaus das Recht eines Tages die zwischenstaatlichen Kriege regulieren könnte, indem es die Bedingungen für den Gewalteinsatz selbst kontrollierte.

      Zum Ende der Dekolonisation und des Vietnamkrieges entwickelte sich eine Menschenrechtsbewegung neuen Typs, die die gegen Zivilist*innen verübten Gräuel anprangerte. In dem Maße, wie die Sorge um Gewährleistung individueller Menschenrechte von der Bewegung auf die professionelle Interessenvertretung überging, spielte das Kriegsrecht eine immer zentralere Rolle in ihrer Definition. Noch wichtiger war vielleicht, dass die Armeen, die nun keine schmutzigen Kriege mehr zu führen hatten, die nationalen und völkerrechtlichen Regeln zum Verhalten bei Kampfhandlungen in einer Weise ernst zu nehmen begannen, wie es bei der Aufstandsbekämpfung der jüngsten Vergangenheit noch unvorstellbar gewesen wäre. Mit Niedergang der zwischenstaatlichen Kriege richtete sich der Blick der Kriegsrechts- und Menschenrechtsverteidiger*innen hauptsächlich auf die Bürgerkriege, die nun, insbesondere auf der Südhalbkugel, Schauplatz der schlimmsten Verbrechen wurden. Das Genfer Abkommen von 1949 hatte im berühmten Artikel 3 den erforderlichen Minimalschutz »im Fall eines bewaffneten Konflikts, der keinen internationalen Charakter aufweist«12, (auch Bürgerkrieg genannt) festgesetzt. Die Revision von 1977 fügte eine Reihe detaillierterer Regeln hinzu: einen Verweis auf die »Menschenrechte«, der im Abkommen von 1949 nicht enthalten war; und ein zweites zusätzliches Protokoll, das sich ausschließlich den nicht internationalen bewaffneten Konflikten widmete, auch wenn der Text im Weiteren Anlass für Kontroversen gab.

      Während der Völkermord an den Jüdinnen und Juden in den Nürnberger Prozessen noch eine sekundäre Rolle gespielt hatte, änderten sich mit dem erneuten Aufkommen von Erlebnisberichten in den 1960er und 1970er Jahren, nun mit der Brille der postkolonialen Konflikte, die Prioritäten sehr grundlegend. Vor einem neuen zwischenstaatlichen Krieg geschützt, waren die Europäer*innen und Nordamerikaner*innen nun Beobachter*innen von Konflikten im Süden, in die ihre eigenen Armeen nicht notwendig involviert waren, die sie aber zu stoppen versuchen konnten. Diese neue Bewusstwerdung über den Völkermord an den Jüdinnen und Juden brachte einige dazu, eine neue Ära der humanitären Interventionen und der Einführung eines Interventionsrechts vorauszusehen, das Kriege, die andere als »Angriffskriege« abgelehnt hatten, als »gerechte Kriege« neu bestimmen würde.

       Der große Traum von der Zivilisierung des Krieges

      Das Ende des Kalten Krieges und besonders die Anschläge vom 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten markierten den Anfang einer neuen Welle von Interventionen der Großmächte auf der Welt. Der Krieg im Irak hat gezeigt, in welchem Maße die Frage nach der »Aggression« aktuell geblieben ist; doch es lässt sich auch nicht leugnen, dass die Aufmerksamkeit vor allem der Folterfrage, dem Internierungslager Guantánamo und dem Einsatz von Drohnen galt (im Allgemeinen wegen der dadurch verursachten Schädigung von Zivilist*innen): Der Übergang vom ius ad bellum zum ius in bello ist tatsächlich vollzogen. Aufgrund seiner Unterscheidung zwischen den Bürgerkriegen und den zwischenstaatlichen Kriegen fehlten dem ius in bello die Mittel zur Reglementierung von Konflikten zwischen Großmächten und nichtstaatlichen Akteuren, was seine Verfechter*innen entsprechend vor tiefgreifende Dilemmata stellte. Diesem Umstand sowie offenkundigen Verstößen zum Trotz haben sich die Bemühungen um einen juristischen Rahmen für Aufstandsbekämpfungsoperationen als erstaunlich effizient erwiesen, insofern die Armeen infolge der Dekolonisation und des Vietnamkrieges gelernt haben, die Verpflichtungen ihrer Regierungen ernst zu nehmen. Niemand kann bezweifeln, dass die Kriege nach dem 11. September zumindest im Vergleich zu früheren Konflikten stärker reguliert waren.

      Doch dieser Sieg ist, soweit es das Kriegsrecht betrifft, kein ungetrübter. Die Träume vom dauerhaften Frieden und von der Reglementierung der Gewaltanwendung scheinen unerreichbarer denn je. Dem internationalen Strafrecht im Bereich der Kriegsverbrechen wurde fraglos neues Leben eingehaucht, es legt seinen Fokus aber auf Gräueltaten, insbesondere genozidale Gewalt, und auf sexualisierte Gewalt, die vom Kriegsrecht zuvor ignoriert worden waren. Indem es den Angriffskrieg und das ius ad bellum vernachlässigt, wendet sich das neue internationale Strafrecht vom Erbe der Nürnberger Prozesse ab. Der Begriff »Aggression« hat bei Bürgerkriegen wie dem in Bosnien oder dem in Ruanda nicht dieselbe Bedeutung: Zudem wurde er in das Römische Statut, mit dem der Internationale Strafgerichtshof geschaffen wurde, nicht aufgenommen, auch wenn er in der Folge regelmäßig wieder auf die Tagesordnung gesetzt wurde. In den 1960er Jahren wurde das Feld des ius in bello in »humanitäres Völkerrecht« umbenannt; der Traum Dunants, den Krieg zu »zivilisieren«, war seiner Realisierung nie näher.

      Verbunden mit dem Fortschritt und der zunehmenden Akzeptanz der Verhaltensregeln für Kampfhandlungen haben der Rückgang der Anschuldigung von Verletzungen der territorialen Integrität der Staaten und ihrer politischen Unabhängigkeit sowie die ernsthaften Argumente zugunsten humanitärer Interventionen zu einem Resultat geführt, das Tolstoi hätte vorhersagen können.

      Samuel Moyn ist Professor an der Yale Law School und am historischen Institut der Yale University. Er forscht zur europäischen Geistesgeschichte und zu Menschenrechten und ist Autor des Klassikers The Last Utopia. Human Rights in History (Cambridge 2010) sowie von Not Enough. Human Rights in an Unequal World (Cambridge 2018).

       Literaturhinweise

      Den besten Überblick zur Geschichte des Kriegsrechts bietet, obwohl schon vierzig Jahre alt, das klassische Werk von Geoffrey Best, Humanity in Warfare. A Modern History of the International Law of Armed Conflicts (London 1980). Für eine nützliche und in ihrem Anwendungsbereich umfangreichere Studie siehe Michael Howard, George Andreopoulos und Mark Shulman (Hg.), The Laws of War. Constraints on Warfare in the Western World (New Haven 1994).

      Zur Zunahme des Tacitismus siehe das exzellente Werk Richard Tucks, The Rights of War and Peace. Political Thought and the International Order from Grotius to Kant (Oxford 1999). Eine brillante Studie und einzigartig in ihrem Feld des Kriegsrechts im 18. Jahrhundert vor Aufkommen des Humanitarismus ist The Verdict of Battle. The Law of Victory and the Making of Modern War (Cambridge, MA 2012) von James Whitman.

      Zu Francis Liver und dem amerikanischen Schauplatz siehe die mittlerweile klassische Arbeit von John Witt, Lincoln’s Code. The Laws of War in American History (New York 2012). Über Henry Dunant und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz sind zahlreiche Untersuchungen erschienen, von Caroline Moorehead, Dunant’s Dream. War, Switzerland and the History of the Red Cross (London 1998), bis zu Gerald Steinacher, Humanitarians at War. The Red Cross in the Shadow of the Holocaust (Oxford 2017). Die Dokumente zum Kriegsrecht in verschiedenen Konflikten, darunter die beiden Weltkriege, finden sich über verschiedene Bücher verstreut. Die in dieser Hinsicht wichtigste Studie zum Ersten Weltkrieg ist Isabel Hull, A Scrap of Paper. Breaking and Making International Law during the Great War (Ithaca 2014); erwähnt werden sollte auch das zweite Kapitel von Annette Becker und Stéphane Audoin-Rouzeau, 14–18. Retrouver la guerre (Paris 2000; englisch: 14–18. Understanding the Great War, New York 2002). Außerdem gibt es ein historisches Subgenre, das sich spezifisch für das Luftbombardement interessiert, insbesondere Sven Lindqvist, A History of Bombing (New York 2001), und Yuki Tanaka und Marilyn Young (Hg.), Bombing Civilians. A Twentieth-Century History (New York 2009).

      Unter der umfangreichen Literatur über das Kriegsrecht im Rahmen des Nürnberger Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher sticht zu der Frage der dort thematisierten und der im Dunkeln gelassenen Punkte die kluge Arbeit von Donald Bloxham, Genocide on Trial. War Crime Trials and the Formation of Holocaust History and Memory (Oxford 2001), heraus. Was die Revision der Genfer Konvention von 1949


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