... dein Freund und Mörder. Mila Roth

... dein Freund und Mörder - Mila Roth


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weiß, was du meinst.« Linda tätschelte ihren Arm. »Aber bald ist es ja geschafft. Wenn alles klappt, wie es soll, feiert ihr Weihnachten bereits drüben im großen Gutshaus.«

      »Mit euch zusammen«, fügte Janna hinzu. »Diese Tradition bleibt bestehen, ganz gleich, ob wir zwischen Kisten und Kartons feiern müssen oder nicht. Feli und Frank habe ich schon eingeladen.«

      »Mach dir doch nicht so viel Arbeit, Schatz«, wandte Linda ein.

      »Tue ich gar nicht. Feli wird sich um den Nachtisch kümmern und Frank um die Beilagen. Für mich bleibt also nur der Braten, das sollte ich auch im größten Chaos schaffen.«

      »Dein Bruder will kochen?« Skeptisch zog Linda die Augenbrauen hoch.

      »Warten wir’s ab. Es ist ja nicht so, dass er es nicht kann.« Janna schob die Ärmel ihres hellgrauen Pullovers hoch. »Ich werde jetzt mal auf den Dachboden steigen und schauen, was mich dort an Gerümpel erwartet. Bisher habe ich mich erfolgreich darum herumgedrückt.«

      »Aber du brauchst doch nicht extra den Dachboden aufzuräumen. Das hat Zeit. Bei uns stehen schließlich auch noch jede Menge Sachen herum. Ich weiß gar nicht, wann wir die hier herüberbringen sollen.«

      »Doch, doch, ich will das unbedingt machen, Mama. Wenn wir schon umziehen, dann auch richtig. Außerdem habe ich ein besseres Gefühl, wenn ich euch einen ordentlichen Dachboden hinterlasse.«

      »Na gut, wie du meinst. Aber notwendig ist es wirklich nicht, Janna.«

      »Meiner Meinung nach schon. Wer weiß, was ich da oben alles finden werde. Ich habe mir die Sachen schon seit Jahren nicht mehr genau angesehen. Immer bloß neuen Krempel dazugestellt. Übrigens danke, dass du die Kinder für ein Weilchen beschäftigt hast.«

      »Aber immer doch, Janna.« Linda lächelte ihr liebevoll zu. »Der Spaziergang hat uns allen gutgetan. Dein Vater hat Bella allerdings erst mal in Quarantäne geschickt, weil sie aussah wie ein Schlammspringer. Dieser Hund lässt einfach keine Pfütze aus. Soll ich Papa gleich mal rüberschicken? Auf dem Speicher stehen, wenn mich nicht alles täuscht, noch ein paar Sachen von ihm. Außerdem sind die Möbel, die wir da oben gelagert haben, ziemlich schwer. Wenn du die bewegen willst, brauchst du Hilfe.«

      »Ach nein, warte noch damit. Ich melde mich bei Papa, falls ich ihn brauche. Vielleicht können ein paar Sachen ja einfach dort bleiben, wo sie stehen. Ich will erst mal nur nachsehen, was sich in den ganzen Truhen und Schränken befindet. Vieles kann bestimmt ausgemistet werden.«

      »Ja, wahrscheinlich. Die Sachen sammeln sich an, ohne dass man es richtig bemerkt.« Als aus dem oberen Stockwerk Geschrei und Gepolter laut wurde, sah Linda kurz in Richtung Treppe. »Und schon ist es aus mit dem Frieden im Haus. Soll ich die beiden lieber mit rüber nehmen?«

      Janna schüttelte den Kopf. »Damit sie euch auf die Nerven gehen? Nein, ich finde schon eine Beschäftigung für die zwei. Möglichst in separaten Zimmern. Sie zanken in letzter Zeit fast ständig.«

      »Das ist so eine Phase, die kommt immer mal wieder vor. Frank und du, ihr wart auch nicht anders.« Mit einem Augenzwinkern zog Linda die Kapuze wieder über den Kopf und verließ das Haus.

      Janna stieg die Treppe in den ersten Stock hinauf. Im Türrahmen zum Zimmer der Zwillinge blieb sie stehen. »Was geht hier vor?« Mit zusammengekniffenen Augen musterte sie die umgekippten Wäschekörbe und die auf dem Boden verstreut liegenden Socken, Pullis, Hosen und Handtücher. »Glaubt ihr eigentlich, ich mache mir die ganze Arbeit mit der Wäsche, weil ich nichts Besseres zu tun habe?«

      Till und Susanna, die gerade eben noch heftig im Clinch gelegen hatten, ließen voneinander ab. »Er hat angefangen.« – »Sie hat angefangen.« Beide Kinder hatten gleichzeitig gesprochen und funkelten einander nun böse an.

      »Schön, ihr habt also beide angefangen.« Janna verschränkte die Arme vor der Brust. »Till, du faltest die Sachen alle wieder ordentlich zusammen und legst sie in die Schränke.«

      »Ätsch!«, rief Susanna, fing sich aber prompt einen strafenden Blick von Janna ein. »Du, junge Dame, wirst nach unten gehen und die Bücher aus den Regalen im Wohnzimmer in die Kartons packen, die ich dort bereitgestellt habe. Denk daran, dass du die Kartons immer nur zu zwei Dritteln vollmachst, sonst kann sie hinterher niemand mehr tragen. Danach gehst du rüber zu Tante Linda und fragst, ob du ihr beim Packen helfen kannst.«

      »Oookay, schon gut.«

      »Und ich?«, wollte Till wissen. »Ich wollte mit Onkel Bernhard …«

      »Was du wolltest, interessiert mich gerade überhaupt nicht«, unterbrach Janna ihn. »Ich habe eine halbe Stunde eure Klamotten gefaltet, und jetzt sehen sie aus wie Kraut und Rüben. Wenn du hier fertig bist, sagst du mir Bescheid. Ich finde schon eine Beschäftigung für dich.« Ohne die Kinder eines weiteren Blickes zu würdigen, drehte sie sich um, ging zu dem schmalen Dielenschrank und holte die Stange mit dem Haken daraus hervor, mit der sie die Klappe zum Dachboden öffnen konnte. Dabei ignorierte sie geflissentlich das wütende Gezischel der Zwillinge, als diese sich trennten, um ihre jeweiligen Aufgaben zu erledigen. So lieb sie die beiden auch hatte – sie wollte sie manchmal am liebsten mit den Köpfen zusammenstoßen.

      Auf dem Speicher erwartete sie jede Menge Staub und der typische Geruch von alten Möbeln und dem Holz der Dachbalken. Seufzend blickte sie sich um. Hier oben würde sie wohl oder übel noch ausgiebig putzen müssen, bevor ihre Eltern ins Gesindehaus einzogen. So unordentlich wollte sie den Speicher auf gar keinen Fall übergeben.

      Durch eines der Giebelfensterchen drang nur das diffuse Licht des verregneten Nachmittags herein, deshalb schaltete sie die Deckenbeleuchtung ein. Im Schein der beiden Neonröhren inspizierte sie bei einem ersten Rundgang die vorhandenen Kisten, Truhen, alten Koffer und den urigen Bauernschrank mit dem defekten Schloss. Damit die Türen nicht aufsprangen, hatte irgendwer, vermutlich ihr Vater, die Türgriffe mit einem Gummiband zusammengebunden. Neben dem Schrank stand ein altes Dreirad, an dem das Skateboard ihres Bruders lehnte. Eine Rolle fehlte daran, die ordentlich in einen Gefrierbeutel verpackt danebenlag. Schmunzelnd tippte Janna das Tütchen mit der Fußspitze an, dann versuchte sie sich zu entscheiden, wo sie anfangen sollte.

      Sie ging zu einer hölzernen Truhe und klappte den Deckel hoch. »Ach du liebe Zeit!«, stöhnte sie, als sie stapelweise uralte Pferde-, Mädchen- und Comiczeitschriften entdeckte. Die hatte sie als Kind gesammelt und sogar nach Jahrgängen geordnet. Die neueste Ausgabe, die sie entdecken konnte, stammte aus dem Jahr 1995. Die konnten auf jeden Fall weg. Ein Lächeln erschien auf ihren Lippen, als ihr einfiel, wem sie die Arbeit des Hinunterschleppens aufbrummen konnte.

      Entschlossen wandte sie sich der nächsten Kiste zu, in der zuoberst ein Bündel alter Gardinen lag, darunter befanden sich die Karnevalskostüme der Zwillinge aus den vergangenen Jahren, teilweise von Linda genäht. Inmitten der bunten Stoffmassen verbarg sich eine rechteckige Pappschachtel, die Janna dort erst vor wenigen Wochen deponiert hatte. Sie knabberte an der Unterlippe, als sie den Deckel der Schachtel hob und auf die Kopien der Einsatzberichte blickte, die sie im Laufe des vergangenen halben Jahres für das Institut für Europäische Meinungsforschung verfasst hatte. Eigentlich war es von Seiten des Geheimdienstes nicht erlaubt, Durchschläge solcher Berichte zu besitzen. Sie hatte sie dennoch hier aufgehoben. Niemand wusste davon, und so sollte es auch bleiben.

      Seit ihrem letzten gemeinsamen Einsatz mit Markus Neumann im November, bei dem sie beinahe durch eine Bombe getötet worden wäre, hatte sie keinen Kontakt mehr zum Institut aufgenommen. Bei Walter Bernstein, dem Abteilungsleiter, hatte sie sich Bedenkzeit erbeten, denn die Ereignisse bei jenem letzten Abenteuer hatten sie nicht nur körperlich an ihre Grenzen gebracht, sondern ihr auch ‒ mehr als je zuvor ‒ vor Augen geführt, in welch bedrohlicher Welt sie sich bewegte, wenn sie sich mit Geheimagenten abgab. Im Grunde genommen war es schon im Hinblick auf die Zwillinge und ihre Familie absolut verantwortungslos, diese heimliche Nebentätigkeit weiterzuführen. Der Einsatz im November war nicht der erste gewesen, bei dem sie in Lebensgefahr geraten war. Solche Risiken durfte sie zukünftig nicht mehr eingehen.

      Anfangs war sie von ihren Aufträgen nicht begeistert gewesen. Nur zögernd hatte sie überhaupt ihre Zustimmung


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