... dein Freund und Mörder. Mila Roth

... dein Freund und Mörder - Mila Roth


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      Till hatte Sander in die Küche geführt. Vor der Tür blieb Janna eine Sekunde stehen, atmete tief durch und trat dann ein. »Hallo Sander«, sagte sie betont fröhlich. »Das ist aber eine Überraschung.«

      Er hatte sich nicht verändert. Weshalb auch, seit ihrer Trennung waren ja nur wenige Monate vergangen. Groß, blond, gut aussehend. Er war gerade dabei, seine Brille mit einem Mikrofasertüchlein von Regentropfen zu befreien.

      »Hallo Janna.« Nicht nur an seinem gepressten Tonfall, sondern auch an seinem leicht gehetzten Blick erkannte sie sofort, dass etwas nicht stimmte. »Entschuldige, dass ich dich so unangemeldet überfalle, aber …« Er warf einen kurzen Blick in Tills Richtung. »Ich muss dringend mit dir sprechen.« Er schluckte. »Vertraulich.«

      »Seid ihr jetzt wieder zusammen?«, wollte Till wissen. Sein Blick wanderte neugierig zwischen ihr und Sander hin und her.

      »Nein, Till«, antwortete Sander und bemühte sich sichtlich um ein neutrales Lächeln. »Ich bin wegen etwas anderem hier. Wärest du wohl so nett, mich mit Janna alleine reden zu lassen?«

      »Wenn es sein muss.« Till grinste. »Darf ich jetzt zu Onkel Bernhard rübergehen?«

      Janna schmunzelte. »Also gut, lauf schon. Aber die restlichen Zeitschriften musst du nachher trotzdem noch runtertragen.« Den letzten Satz musste sie rufen, denn Till war bereits mit einem Jubelschrei hinausgerannt. Achselzuckend wandte sie sich an Sander. »Tut mir leid. Till ist manchmal schrecklich vorlaut.«

      »Das weiß ich doch.« Sander hob ebenfalls die Schultern, offenbar etwas verlegen. »Das ist doch nicht schlimm.«

      »Aber peinlich.« Janna seufzte. »Für Kinder ist es nicht immer einfach, Trennungen zu verstehen.«

      »Nicht nur für Kinder.« Bevor sie etwas erwiderte, hob Sander rasch die Hände. »Entschuldige, Janna. Ich wollte nicht darauf herumreiten. Du hast ganz sicher deine Gründe, und die muss ich akzeptieren. Deshalb bin ich auch gar nicht hier.«

      »Das hatte ich auch nicht angenommen.« Janna wies auf den Küchentisch, zog zwei Stühle darunter hervor. »Aber setz dich doch erst mal. Möchtest du einen Kaffee trinken oder etwas anderes?«

      »Nein danke. Ich kann nicht lange bleiben.« Er suchte nach Worten. »Ich … ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. Es ist alles so verworren, und ich will dich nicht in meine Angelegenheiten hineinziehen, aber …«

      »Aber?« Nachdem sie sich ihm schräg gegenüber an den Tisch gesetzt hatte, musterte sie ihn eingehend. »Sander, ich sehe dir an, dass etwas nicht in Ordnung ist. Wenn es mit mir zu tun hat, dann sag es bitte. Ich möchte nicht, dass …«

      »Nein, so etwas ist es nicht.« Er räusperte sich. »Es hat nicht direkt etwas mir dir zu tun, aber irgendwie doch.«

      »Jetzt sprichst du aber in Rätseln.«

      »Ich weiß. Es ist nur so schwierig, das zu erklären.« Einen Moment sammelte er sich, dann richtete er sich auf und blickte ihr ernst in die Augen. »Du hast heute eine DVD benutzt und damit ein Online-Portal geöffnet.«

      Verblüfft sah sie ihn an. »Woher weißt du das?«

      »Weil du damit in eine virtuelle Falle getappt bist. Oder vielmehr hast du damit einen Alarm ausgelöst.«

      »Ich verstehe nicht ganz.«

      »Janna, ich habe die DVD bei dir versteckt.«

      Einen Moment lang sah sie ihn verständnislos an. »Versteckt?«

      Sander nahm seine Brille ab und rieb sich die Nasenwurzel. »Eigentlich darfst du gar nichts davon erfahren. Es ist zu gefährlich.«

      »Was meinst du damit – zu gefährlich?« Sie musterte ihn mit einer Mischung aus Neugier und Misstrauen.

      Er seufzte. »Das ist eine sehr lange Geschichte.«

      »Dann würde ich vorschlagen, dass du sie mir erzählst, denn bisher habe ich keine Ahnung, wovon du sprichst.«

      Mit bedrückter Miene nickte er, setzte seine Brille wieder auf. »Die DVD gehörte meinem Bruder Helge.«

      »Du hast einen Bruder?«

      »Hatte. Er ist tot.«

      »Oh. Das tut mir leid.« Betroffen senkte Janna den Kopf, hob ihn alarmiert jedoch sofort wieder. »Hat das etwas mit der DVD zu tun?«

      »Ja, leider. Aber ich muss noch weiter ausholen.« Sander verschränkte seine Hände auf dem Tisch. »Mein Bruder war Journalist, ebenso wie seine Frau Ina. Vor etwa drei Jahren fingen sie an, über eine kriminelle Organisation zu recherchieren, deren Kopf ein Deutschrusse namens Vasilij Sokolow war. Er und sein chinesischer Geschäftspartner Mian Zhang hatten sich auf Bankenbetrug und Online-Kriminalität spezialisiert und ein riesiges Netzwerk an Phishing-Seiten und betrügerischen Websites aufgebaut. Sie operierten nicht nur hier in Deutschland, sondern weltweit. Leider konnte ihnen nie etwas nachgewiesen werden, denn sie versteckten sich hinter einer lupenreinen Softwarefirma namens ELTOX.«

      »Aber dein Bruder und seine Frau sind ihnen auf die Schliche gekommen?«

      »Ja, sie haben es sogar geschafft, sich in die Organisation einzuschleusen.«

      »O Gott, das ist doch wahnsinnig gefährlich!«

      Kurz presste Sander die Lippen zusammen. »Ja, ist es. Aber Helge und Ina waren furchtlos, wenn es um eine Story ging. Sie wollten Sokolow und Zhang zur Strecke bringen, und fast wäre es ihnen auch gelungen. Sie haben Daten und Beweise gegen die beiden gesammelt und sind schließlich damit zur Polizei gegangen.« Kurz schloss er die Augen, atmete tief durch. »Es kam zum Prozess, und Sokolow wurde zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Die Ermittlungen gegen Zhang liefen allerdings ins Leere, denn er ist einfach zu gerissen und führt die Geschäfte seither alleine weiter. Helge hat mir einiges über ihn anvertraut, bevor er …« Sander schluckte. »Janna, diese Organisation ist derart gefährlich, dass mein Bruder und Ina in den Zeugenschutz aufgenommen werden mussten. Trotzdem wurde Ina noch während des Prozesses durch eine Autobombe getötet.«

      »O nein!« Janna wurde blass. Sie griff nach Sanders Hand, drückte sie leicht. »Das ist ja furchtbar! Warum hast du nie …« Sie stockte. »Natürlich konntest du darüber nicht sprechen. Was ist dann passiert?«

      »Helge blieb im Zeugenschutz, aber er wollte die Verantwortlichen für den Tod seiner Frau zur Strecke bringen. Deshalb hat er weiter recherchiert, obwohl man ihn davor warnte. Er hielt sich die meiste Zeit an einem sicheren Ort auf. Wie Zhangs Leute ihn aufgespürt haben, kann sich niemand erklären, aber eines Morgens fand ihn ein Mitarbeiter des BKA, der für seinen Schutz zuständig war, erschossen in seinem Bett.«

      Janna schlug beide Hände vor den Mund, sagte aber nichts, sondern nickte Sander zu, um ihn zum Weitersprechen zu ermutigen.

      »Anscheinend wusste er, dass ihm jemand auf der Spur war, denn am Abend vor seinem Tod hat er mir eine codierte E-Mail geschickt, in der er mir von Beweisen berichtete, die er zusammengetragen und an einem sicheren Ort versteckt habe, und von einer DVD mit verschlüsselten Daten, die er mir zukommen lassen wollte.«

      Es entstand eine kurze Pause. Sander blickte sich nervös in der Küche um, dann sprach er weiter: »Er bat mich, im Falle, dass ihm etwas zustößt, die Beweise aufzubewahren und irgendwann der Polizei vorzulegen. Die DVD erhielt ich ein paar Tage später per Post. Mit ihr sollte ich ganz besonders vorsichtig umgehen, wegen des Warnsystems, und sie nicht zusammen mit den anderen Beweisen aufbewahren. Helge war ein Sicherheitsfanatiker. Die codierten Daten auf der DVD und der Schlüssel zum Code durften nie am selben Ort sein.«

      »Warum hast du sie bei mir versteckt, anstatt sie mit den anderen Beweisen zur Polizei zu bringen?«

      »Weil Helge wollte, dass erst etwas Zeit verstreicht. Er hatte Angst, dass auch ich in Gefahr gerate, wenn ich vorschnell handele. Dass jemand ihn in seinem Versteck aufgespürt hat, bedeutet, Zhang und seine Leute haben eine Quelle bei der Polizei. Ich weiß nicht, wem ich in dieser Sache vertrauen kann. Niemandem vermutlich. Deshalb habe ich die DVD immer wieder


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