... dein Freund und Mörder. Mila Roth

... dein Freund und Mörder - Mila Roth


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den sie zuvor nicht gekannt hatte. Und möglicherweise war auch Markus Neumann, der Agent, durch den sie überhaupt erst mit dem Institut in Berührung gekommen war, nicht ganz unschuldig an dem Interesse, das in ihr entfacht worden war. Zwar war er der verschlossenste und schwierigste Mann, dem sie je begegnet war, und nicht selten hätte sie ihn für seine Überheblichkeit oder seine abweisende Art am liebsten durchschütteln wollen. Dennoch fühlte sie sich ihm in gewisser Weise zugetan. Oder von ihm angezogen. So erging es vermutlich allen Frauen, die sich noch nicht jenseits von Gut und Böse befanden. Er konnte unglaublich charmant sein, wenn er wollte, und sein Lächeln, kombiniert mit seinem überdurchschnittlich guten Aussehen, tat ein Übriges. Dummerweise war er sich seiner Ausstrahlung nur allzu bewusst, und auf solche Männer hatte sie bisher immer ausgezeichnet verzichten können. Er spielte einfach nicht in ihrer Liga – und umgekehrt. Ganz abgesehen davon, dass er vom ersten Moment ihrer Bekanntschaft an deutlich zum Ausdruck gebracht hatte, keinerlei persönlichen Kontakt zu wünschen. In seinem Beruf war das wohl auch sinnvoll, zumindest bis zu einem gewissen Grad. Wenn sie auch argwöhnte, dass die Mauer, die er um sich herum errichtet hatte, um persönliche Bindungen zu vermeiden, ihm mehr schadete als nützte. Kein Mensch konnte sein Leben lang allein und nur auf sich gestellt bestehen.

      Leicht genervt verdrehte Janna die Augen. Wieder einmal grübelte sie viel zu lange und intensiv über Markus nach. Das war weder hilfreich noch gesund, schalt sie sich. Was brachte es schon, über jemanden nachzudenken, sein Verhalten zu analysieren, der darauf überhaupt keinen Wert legte und den sie vielleicht nie wiedersehen würde.

      Sinnierend blätterte sie durch den kleinen Stapel Berichte und verschloss die Schachtel dann wieder. Sie hatte sie hier heraufgebracht, weil sie fürchtete, dass jemand sie sonst zufällig in ihrem Büro finden könnte. Nun würde sie sich wohl ein neues Versteck überlegen müssen. Oder sie verbrannte die Kopien einfach. Sie würde das vergangene halbe Jahr am besten als kuriose Episode in ihrem Leben abhaken.

      Sorgsam legte sie die Schachtel auf den Schrank und klappte die Kiste mit den Kostümen wieder zu. Sie konnte hierbleiben. Niemandem war damit gedient, sie umständlich hinüber ins Gutshaus zu tragen und dann dort auf dem Dachboden zu verstauen. Andere Dinge würde sie aber vielleicht häufiger benutzen und doch lieber hinübertragen.

      »Janna, ich bin mit der Wäsche fertig.« Tills Stimme riss sie aus ihren Grübeleien. »Kann ich nicht doch rüber zu Onkel Bernhard gehen und …«

      »Nein, mein Freund, für dich habe ich eine andere Aufgabe.« Janna deutete auf die Truhe mit den alten Magazinen. »Diese Kiste kannst du leermachen. Trag die Zeitschriftenbündel raus in den Schuppen und stapele sie beim Altpapier.«

      »O Mann!«

      »Bitte!« Sie fixierte den Jungen, der daraufhin schmollend zu der Truhe ging und eines der Bündel heraushob. »Die sind aber schwer!«

      »Du wirst es schon überleben, Till.«

      Grummelnd machte der Junge sich auf den Weg nach unten, während Janna sich einem blauen Kunststoffkasten zuwandte, in dem sie alte Videos, Hörspiel- und Musikkassetten sowie CD-ROMs mit Sicherheitskopien ihrer elektronischen Steuerdaten, ihrer Buchhaltung und der Kundendaten ihres Büroservices aufbewahrte. Diese Sachen nahm sie besser mit nach drüben. Ohne sich näher mit dem Inhalt zu befassen, hob sie die Kiste an den seitlichen Griffen an. Sie war nicht sehr schwer, aber unhandlich, und offensichtlich war einer der Griffe kaputt. Kaum hatte Janna zwei Schritte vorwärts gemacht, als ihr die rechte Seite des Kastens entglitt. Sie versuchte noch, den Plastikbehälter abzufangen, doch er knallte gegen ihr Knie und ging dann polternd zu Boden. Der Inhalt verteilte sich auf den Holzdielen.

      »Au! Verdammt.« Den abgebrochenen Griff noch in der Hand, rieb sich Janna mit den Fingerknöcheln über die schmerzende Stelle an ihrem Bein. Dann blickte sie erbost auf das Chaos zu ihren Füßen. »So ein Mist.« Seufzend stellte sie den Kasten wieder auf, zog sich einen alten Fußhocker ihres Großvaters heran und setzte sich darauf, um die Videos, Kassetten und CDs wieder einzusammeln.

      Bald schon stellte sie fest, dass sie etliche der Videokassetten entsorgen konnte, weil sie die Filme darauf längst auf DVD besaß. Also sortierte sie den Inhalt der Kiste noch einmal neu. Auch mit den alten Hörspielen beschäftigte sie sich länger als geplant. Es handelte sich teils um Kassetten aus ihrer Kindheit und teils um Märchenkassetten von Susanna und Till, für die beide sich inzwischen zu alt fanden. Auch einen kompletten Satz Fünf Freunde- und TKKG-Hörspiele besaß sie. Die stammten noch von Feli und ihr selbst. Vielleicht sollte sie die den Zwillingen für deren Sammlung stiften.

      »Was machst du denn da, Janna?« Unbemerkt war Till wieder zurückgekehrt und beäugte neugierig den Inhalt des Kastens. »Cool, da sind ja Kassetten von den Drei Fragezeichen. Dürfen wir die haben?«

      »Nichts da, das sind noch ganz alte Kassetten.« Janna schüttelte den Kopf. »Siehst du das hier?« Sie deutete auf die Schrauben in den gelben Kassetten. »Die sind noch geschraubt. Das sind Sammlerstücke. Außerdem hast du die Folgen doch schon fast alle.«

      »Nee, die hier nicht.« Till deutete auf eine der Hüllen. »Und die da auch nicht.«

      »Schon gut, dann weißt du ja, was du dir zu Weihnachten wünschen kannst.«

      »Ich hab meinen Wunschzettel doch schon längst geschrieben. Du hast gesagt, er darf auf keinen Fall mehr länger werden.«

      Belustigt blickte Janna in das grinsende Jungengesicht. »Die Kassetten hier bekommst du jedenfalls nicht. Guck, diese hier ist sogar schon mal neu aufgespult worden. Anscheinend hatte ich damit mal Bandsalat.«

      »Menno.«

      »Hast du nicht noch etwas zu tun? Die Kiste mit den Zeitschriften ist noch immer ziemlich voll.«

      »Schon gut.« Achselzuckend wandte sich Till ab.

      »Halt!« Janna hielt ihn gerade noch zurück, bevor er auf die Plastikhülle einer CD-ROM treten konnte. »Pass bitte auf, wo du hintrittst.« Obwohl die Hülle gar nicht beschädigt worden war, klappte Janna sie auf und warf einen Blick auf das Innere. Dabei rutschte ihr der säuberlich beschriftete Datenträger beinahe heraus. Es handelte sich um die Sicherheitskopie ihrer Steuererklärung von vor drei Jahren. Als sie sie wieder in die Halterung klipsen wollte, stellte sie fest, dass sich dort bereits eine andere DVD befand. Deshalb hatte die zweite wohl auch nur lose in der Hülle gelegen.

      Leicht irritiert betrachtete Janna die unbeschriftete DVD, nahm sie aus der Hülle und sah sich die Unterseite an. Es schienen Daten darauf zu sein, aber warum hatte sie sie nicht beschriftet? Normalerweise tat sie das ganz gewissenhaft. Überhaupt sah diese DVD ganz anders aus als die, die sie normalerweise im Hunderterpack im Discounter kaufte. Die Oberseite besaß nicht einmal den Aufdruck einer Produktionsfirma, sondern lediglich eine silbrige Beschichtung. Neugierig geworden, erhob sie sich und wandte sich in Richtung der Bodenklappe.

      »Lässt du die Sachen jetzt einfach so da liegen?«, fragte Till, der zwei weitere Bündel Magazine im Arm hielt und ebenfalls hinabsteigen wollte. Janna ließ ihm den Vortritt. »Nur einen Augenblick«, antwortete sie. »Ich will bloß schnell nachsehen, was auf dieser DVD ist. Sie ist gar nicht beschriftet, weißt du.«

      »Darf ich mitgucken?«

      »Nein, Till, darfst du nicht.« Sie warf einen bezeichnenden Blick auf die schwere Fracht, die er vor sich herschleppte.

      »Du kannst ganz schön gemein sein, Janna.«

      »Ich weiß, mein Schatz.«

      In ihrem Büro schaltete sie den Computer ein und wartete, bis er hochgefahren war. Dann legte sie die DVD ein und blickte erwartungsvoll auf den Bildschirm. Als sich eine grün hinterlegte Benutzeroberfläche öffnete, runzelte sie verwirrt die Stirn.

      2

      Rheinbach, Pützstraße

      Zahnarztpraxis Dr. Sander Lambrecht

      Freitag, 16. Dezember, 14:15 Uhr

      »Siehst du, das war doch gar nicht so schlimm, oder?« Sander Lambrecht lächelte dem zehnjährigen Mädchen zu,


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