Viel mehr als nur Körpersprache – Executive Presence. Kay-Sölve Richter

Viel mehr als nur Körpersprache – Executive Presence - Kay-Sölve Richter


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Handlungsleitfaden zur Vorbereitung öffentlicher Kommunikationssituationen (Kapitel 8).

       Unser Ansporn

      Wir, die Autorin und der Autor dieses Buches, werfen unsere langjährigen Erfahrungen als Journalisten und Kommunikationstrainer in den Ring, um Ihnen gangbare Wege zu starken Auftritten in der Kommunikation nach innen und außen aufzuzeigen. Was Ihnen aus unserer Sicht dabei hilft, ist eine geschärfte Selbstwahrnehmung Ihrer Wirkung sowie ehrliches und konkretes Feedback von außen, das auf klaren Kriterien beruht.

      Auf dieser Basis gilt es, die vier, fünf oder sechs Elemente zu identifizieren, an denen Sie arbeiten sollten, um Ihre Wirkung in den verschiedenen Kommunikationssituationen auf ein höheres, präsenteres Level zu heben. Unabhängig davon, ob Sie sich für das geplante Fernsehinterview, für Town Hall Meetings und Bilanzpressekonferenzen fit machen, oder ob Sie in Meetings, Vorträgen, Videokonferenzen und Podiumsdiskussionen glänzen wollen. Wir möchten lieber Sie vorbereiten als nur ein Setting. Es geht weniger um die Frage, wie Präsenz entsteht und was man dafür tun muss. Es geht darum, zu erkennen, an welchen Schrauben Sie drehen sollten, damit Ihre vorhandene Executive Presence genau dann sichtbar wird, wenn es darauf ankommt.

      Zusammengefasst gilt es, die verschiedenen Wirkungskriterien kennenzulernen (1), dadurch die eigene Selbstwahrnehmung zu schärfen (2), auf diese Weise Ihre individuellen Baustellen zu identifizieren, die einer stärkeren Präsenz im Wege stehen (3), um diese schließlich mit konkreten Tools zu eliminieren (4).

TEIL A

      Ein Seminarraum in der Universität. Wir waren zu sechst: zwei Trainer und vier Dozenten, allesamt erfahrene, renommierte Wissenschaftler. Einer von ihnen, Professor der Physik, Mitte 50, schilderte uns, was ihm bei seinem letzten Vortrag passiert war:

      »Ich mach das jetzt auch schon eine Weile mit diesen Reden und Vorträgen. So richtig wohl fühle ich mich vor Publikum eigentlich nicht, und ich dachte, ich muss mal was anders machen. In einem Ratgeber habe ich gelesen, man sollte zum Beispiel mit einem knackigen Witz einsteigen, um das Eis zu brechen.«

       Wir (stumm): Oha, gefährlich. Ganz dünnes Eis …

      »Das hab ich dann auch gemacht, tja, das Blöde war nur: Keiner hat gelacht.«

       Wir (stumm): Hm, wir haben schon so was vermutet …

      »Der Rest des Vortrags war dann so gut wie gestorben. Selten hab ich mich so unwohl gefühlt auf einer Bühne. Katastrophe.«

       Wir (stumm): Ja, das geht schnell …

      Schwierige Situation. Woran kann es gelegen haben? An ihm, am Publikum, am Witz, am Anlass? Wir baten ihn, den Witz noch einmal in unserer kleinen Runde zu erzählen, und das tat er dann auch. Wir müssen zugeben: So schlecht war er gar nicht, der Witz, aber leider … nachdem er den Witz zu Ende erzählt hatte: Schweigen im Trainingsraum. Niemand hat gelacht. Keiner von uns fünf.

      Wir ließen ein paar Sekunden verstreichen, bevor wir ihn fragten: »Ähm, haben Sie eine Idee, warum niemand gelacht hat? Gerade eben nicht und vermutlich auch nicht bei Ihrer Rede?«

      »Sagen Sie es mir.«

      »Hm, wir wollen nicht drumherum reden. Aber Sie sind einfach nicht so der witzige Typ …«

      Wir hatten den Satz noch nicht zu Ende gebracht, da schlug er mit der flachen Hand auf den Konferenztisch. »Wissen Sie was«, rief er, »das sagt meine Frau auch immer. Ich erzähle sonst auch nie Witze, niemals! Und wenn es dann doch mal vorkommt, dann können Sie sicher sein, dass meine Frau sagt: »Schatz, du kannst wirklich eine Menge, aber das leider nicht. Lass es einfach.«

      Nach diesem Bekenntnis hatte er dann doch die Lacher auf seiner Seite. Es ist aber auch absurd. Da gibt es etwas, was jemand im normalen Leben nie tut (in diesem Fall: Witze erzählen) und von dem die schärfste Kritikerin (die Ehefrau) sagt, er solle es lassen. Und was macht derjenige? Wagt sich ausgerechnet in einem fremden Setting, in dem sich die meisten sowieso alles andere als wohl fühlen – Scheinwerfer, Mikrofon, skeptische Blicke im Publikum, womöglich eine Fernsehkamera – auf dieses unsichere Terrain. Er glaubt, Erwartungen gerecht werden zu müssen, statt den eigenen Stärken zu vertrauen. Traut einem Ratgeber mehr als seinem Bauchgefühl und jahrzehntelanger Erfahrung.

       Sie sollten doch gerade in diesen Situationen alles versuchen, um bei sich und Ihrer Persönlichkeit zu bleiben.

      Sie sollten doch gerade in diesen Situationen alles versuchen, um bei sich und Ihrer Persönlichkeit zu bleiben. Um sich dadurch zumindest einigermaßen wohlzufühlen – als Grundlage sichtbarer Präsenz. Witze erzählen, wenn man das nun mal nicht so gut kann, gehört jedenfalls nicht dazu.

       Status quo: Testen Sie sich selbst

      Was aber gehört zu Ihnen? Humor oder Ernsthaftigkeit? Enthusiasmus oder Sachlichkeit? Tempo oder Gelassenheit? (Wobei sich diese Punkte nicht ausschließen müssen. Dazu später mehr.) Was zeichnet Sie aus und was davon können Sie auf die Bühne bringen? Auf all diese Fragen möchten wir Ihnen in unserem Buch Antworten geben.

      Im Trainingsraum haben wir es leichter, das herauszufinden, denn dort lassen wir Sie machen. Die erste Kameraübung absolvieren unsere Teilnehmer in der Regel schon in der ersten halben Stunde; noch ohne theoretischen Input und ohne komplexen Arbeitsauftrag. Einfach machen, anschauen, analysieren. Wo lässt sich ansetzen, um Präsenz zu steigern, und was lässt sich getrost ausklammern? Warum sollten wir unsere (und Ihre) kostbare Zeit mit Anmerkungen zu Körperhaltung oder Mimik verschwenden, wenn es hier nichts zu korrigieren gibt? Um dies alles herauszufinden, ist die Ermittlung des Status quo sinnvoll – darum möchten wir Ihnen eine erste Übung vor der Kamera beziehungsweise vor Ihrem Smartphone ans Herz legen.

      Aus eigener Ratgeber-Leseerfahrung wissen wir, dass man gerne auf einen Praxistest verzichtet und erst einmal nur lesen, lesen, lesen will. Kein Problem – das Buch »funktioniert« auch ohne diese erste Videoübung. Wir empfehlen sie trotzdem – und zwar aus folgenden Gründen:

      1.Es ist Ihre letzte Gelegenheit, sich unbelastet und ohne theoretischen Input auszuprobieren. Wie tun Sie es unverkopft? Was ist Ihr Stil in der freien Präsentation? Wie halten Sie einen Vortrag, wenn man Sie jetzt darum bittet?

      2.Das produzierte Handyvideo wird Ihnen bei der weiteren Lektüre viele Aha-Momente bescheren. Wenn es um Ihre Stimme geht, um Variationen, Lautstärke und Präsenz, um Gestik und Mimik, um Ihr Sprechtempo, um Pausen, Punkte, Absätze und so weiter: Immer dann werden Sie das Video anschauen und sich selbst prüfen können – und sich auf diese Art ein sehr viel konkreteres Feedback geben.

      3.Sie sind von der ersten Sekunde an aktiv. Ein Phänomen, das für das Thema Haltung eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt, wie wir später erläutern werden.

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      In Hamburg ernteten wir mit dieser Aufgabe kürzlich Kopfschütteln von einem der Teilnehmer: »60 Sekunden? Ich sag Moin, dann bin ich fertig.« Andere wiederum brauchen weit mehr als diese eine Minute, um nur den ersten


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