Stalingrad - Die stillen Helden. Reinhold Busch
ergänzten die Kompanie. Die Führungsstaffel bestand aus dem Kompaniechef und allen Ärzten.
Der 1. Zug der San.-Kompanie hatte als Krankenträgerzug die Aufgabe, Verwundete zu suchen, zu bergen, Notverbände anzulegen und für den Rücktransport zu sorgen. Der 2. Zug, der Hauptverbandplatz-Zug, richtete auf Befehl des beim Divisionsstab befindlichen Divisionsarztes (IVb) oder auch selbständig bei Bedarf einen H.V.P.-Platz ein. Hier war der wichtigste Platz für eine allgemeine Wundversorgung und der erste Ort, an dem eine vollständige, fachärztliche Hilfe geleistet wurde. Hauptaufgaben waren nach der entscheidenden Sichtung der Verwundeten, alle lebenserhaltenden Eingriffe durchzuführen und die weitere Transportfähigkeit herzustellen. Die durchschnittliche Operationszeit betrug bei einem Schwerverwundeten eine halbe bis eine Stunde. Bei nicht so großen Kampfhandlungen wurden auch Bauch-, Kopf- und Lungenschüsse erfolgreich operiert.
Der 3. Zug, der Ergänzungs-Zug, diente als Ergänzung für die anderen Züge; er war auch mit dem notwendigen Ergänzungsmaterial ausgestattet. Später kam im Rußlandfeldzug als 4. Zug der Entlausungszug hinzu.“9
Ein Feldlazarett, das entweder bespannt oder motorisiert sein konnte, zählte 50 bis 60 Angehörige.
Armeearzt war Generalstabsarzt Dr. Otto Renoldi10, der im Oktober 1942 von seinem Quartier in der Nähe von Kalatsch aus die Sanitätseinsätze im gesamten Bereich der 6. Armee leitete.
Die Versorgung der Verwundeten und Kranken in der Nähe der Front, an der während der Kämpfe um die Stadt Zehntausende fielen, oblag den jeweiligen Sanitätseinrichtungen der 22 im Kessel eingesetzten deutschen Divisionen. Dem Armeearzt waren fachlich die Beratenden Ärzte zur Seite gestellt. Einer von ihnen war Friedrich Gross11: „Ich kam als Beratender Chirurg der 6. Armee erst am 13.11.1942 nach Stalingrad zur Ablösung des Beratenden Prof. Kuntzen12.
Diese Armee hatte zwei Beratende; der andere, Fick13, war wegen Typhus daheim. Im einzigen Kriegslazarett der 6. Armee östlich des Don in der Sowchose Woroschilow, wohin strahlenförmig alle Verwundeten der 30-km-Front, über 300 täglich, kamen und baldmöglichst nach Westen weitergeleitet wurden, arbeiteten 12 bis 14 Stunden täglich fünf Chirurgengruppen. In der Abteilung fand ich nur noch den an Ruhr schwer erkrankten Neurologen Flügel14 und den Armeehygieniker, einen Bayern, vor. Als ich fragte, wer denn der neue Armeearzt sei, hieß es: Renoldi. Mir unbekannt, wurde mir gesagt, er sei als Polizeiarzt in Nürnberg vor dem Krieg übernommen worden und habe den Spitznamen ‚Facharzt für Zentralheizung‘, weil er dafür in den Kasernenneubauten des 3. Reiches zuständig gewesen sei. Der Bayer wurde noch deutlicher: ‚Herr Kollege, do sehen’s an Zwicker und dahinter kummt nix!‘ Bei der Vorstellung war ich aber getröstet, als ich in seinem Adjutanten den Stabsarzt Dr. Seggel15 erkannte, der zu meiner Zeit in der inneren Klinik bei Prof. Morawitz als Assistent war und mit dem ich dort die Blutbank – damals Frischspender – aufgezogen hatte.“ Ein weiterer Adjutant von Dr. Renoldi war Oberstabsarzt Dr. Singer-Wolthaus16.
Dr. Friedrich Gross, Beratender Chirurg der 6.Armee
Generalstabsarzt Dr. Otto Renoldi, Armeearzt 6
Generalarzt Dr. Siegfried Müller, Korpsarzt des VIII. A.K.
Fachlich unter dem Armeearzt standen die Korpsärzte. Oberstarzt Dr. Kayser war Korpsarzt des IV. A.K., Korpsarzt des VIII. A.K. war Oberstarzt Dr. Müller17. Dr. Spiegelberg war Korpsarzt des XI. A.K. Generalarzt Dr. Hanspach18, Korpsarzt des XIV. Panzerkorps, fiel am 27. August 1942. Sein Nachfolger, Generalarzt Dr. Smend19, wurde am 18. Dezember 1942 krank aus dem Kessel ausgeflogen. Korpsarzt des LI. A.K. war Generalarzt Dr. Karl Arndt.
Die vorgeschobenen Verbandplätze
Beim raschen Vormarsch, besonders bei den Panzertruppen, erwiesen sich die Sanitäts-Kompanien und Feldlazarette jedoch als zu langsam und waren nicht unmittelbar dort, wo Verwundete anfielen. Verschiedene Ärzte machten sich daher Gedanken, wie diesem Missstand abgeholfen werden konnte. Das Ergebnis dieser Überlegungen, das mehrere Ärzte für sich reklamierten, war ein vorgeschobener Hauptverbandplatz.
Dr. Kohler: „Die Entstehung des vorgeschobenen Hauptverbandplatzes in unserer Division ist mir dabei besonders berichtenswert, weil dies richtungsweisend für die anderen Divisionen wurde. Ich sagte mir: Wenn die Spitze der Vorausabteilung Feindberührung bekäme und Verwundete anfielen, machte deren Versorgung große Schwierigkeiten. Selbst, wenn im Idealfall der ernstlich Verwundete vorne sofort von einem Sanka (Krankenkraftwagen) aufgenommen würde, dann brauchte er – bei der für den Sanka erreichbaren Geschwindigkeit – Stunden, um an dem marschierenden I.R. 92 vorbeizufahren, und träfe dann auf eine im Marsch befindliche Sanitätskompanie. Man würde dann den Verwundeten an das noch weiter hinten marschierende Feldlazarett verweisen. Damit wäre aber die erste, wichtigste Zeit für die chirurgische Versorgung des Verwundeten verstrichen und bei ernsteren Verletzungen sein Schicksal sehr fraglich, seine Überlebenschancen sehr gering.
Dr. Ottmar Kohler, der berühmte „Arzt von Stalingrad“
Ich schlug deshalb dem Kommandeur der Vorausabteilung vor, es müßte schon im Verband der Vorausabteilung eine einsatzfähige Chirurgengruppe mit einem Teil der Sanitätskompanie mitmarschieren. Bei an der Spitze der Vorausabteilung entstehenden Kampfhandlungen könnte diese kleine Sanitätsformation vorne in kürzester Zeit einen Hauptverbandplatz eröffnen und die schwerer Verwundeten sofort operativ versorgen. Das Schicksal der Schwerverwundeten hing weitgehend von der frühzeitigen chirurgischen Versorgung ab. Das galt sowohl für die schweren Extremitätenverletzungen mit Verletzung großer Gefäße und starker Blutung – eine Abschnürbinde sollte nicht länger als zwei Stunden liegen –, das galt aber ganz besonders für die Verletzung der großen Körperhöhlen: Thorax, Bauch, Schädel.
Der Kommandeur der Vorausabteilung war von der Notwendigkeit einer solchen einsatzfähigen Chirurgengruppe bei der Vorausabteilung, die ich damals als ‚vorgeschobenen Hauptverbandplatz’ bezeichnete, bald überzeugt. Bei der nächsten Kommandeurbesprechung trug er diesen Plan dem General vor. Der Divisionsarzt widersprach heftig und verwies auf die bestehenden militärärztlichen Vorschriften.
Bei den nun folgenden längeren Auseinandersetzungen beharrte der Kommandeur der Vorausabteilung auf diesem Plan und machte schließlich die Übernahme der Führung der Vorausabteilung davon abhängig, daß ihm dieser vorgeschobene Hauptverbandplatz als Gruppe zugeteilt würde. Darauf befahl der General, zu der Vorausabteilung eine einsatzfähige Chirurgengruppe zu stellen, da er sich selber schon bald von deren zukünftiger Notwendigkeit im Balkanfeldzug überzeugt hatte.
Das war die Geburtsstunde des ‚vorgeschobenen Hauptverbandplatzes‘. Er wurde zunächst bei der 60. I.D. (mot.) als erster Division eingeführt. Da er sich beim Balkanfeldzug bewährt hatte, wurde er auch in Rußland beibehalten. Ich bekam also den Auftrag, eine solche Gruppe für die vordere chirurgische Versorgung zusammenzustellen. Dazu wählte ich einen Zug der Sanitätskompanie mit Mannschaften, Fahrzeugen und einem ganzen Satz Sanitätsmaterial, als Ärzte einen Chirurgen und einen Internisten – zusammen mit etwa 70 Mann – und einen Krankenkraftwagenzug. Diese Aufstellung wurde mir vom Chef der Sanitätskompanie nicht gerade erleichtert. Einmal, weil der Plan so ungewöhnlich neu war; aber auch dann, weil alles, was ich für den vorgeschobenen Hauptverbandplatz forderte, auf Kosten des späteren ordentlichen Hauptverbandplatzes ging. Aber es wurde dann trotz aller Hindernisse und Schwierigkeiten gut. Ich hatte nicht daran gezweifelt, daß ich als Chirurg diesem vorgeschobenen Hauptverbandplatz zugeteilt