Stalingrad - Die stillen Helden. Reinhold Busch
primitiv, aber wirksam meine Mannen und mich bis fast zum letzten Tage in Stalingrad begleiten sollte.
Im Wagen standen mir drei Sanitäter zur Seite; einer, der die Äthernarkosen machte, und zwei Assistenten. Dazu kam der Fahrer, ein ausgebildeter Sanitäter von der Universitätsklinik Münster. Der Wagen war mit dem Nötigsten ausgerüstet, das man zum Operieren und Verbinden brauchte; Op-Lampe und Aggregat waren vorhanden. Diese Operationswagen machten uns sehr beweglich, so daß wir bei den Kämpfen immer mit der Truppe unterwegs und ganz vorne dabei und hinter den Panzern her sein konnten – für uns eine segensreiche Tätigkeit, für die Landser ein psychologisches, kräftigendes Korsett. Sie wußten immer, wo sich unsere Wagen befanden. Die Verwundeten konnten sofort gebracht, operiert und nach der Versorgung von Sanitätswagen ins Lazarett abtransportiert werden. Die Wunden wurden gesäubert, ausgeschnitten, mit einem ‚Brennapparat‘ offen gelassen und gestichelt, damit sie keine Infektionen bekamen. Zum Hauptverbandplatz hatten wir dabei keine Verbindung.“28
Somit waren beide Sanitäts-Kompanien der 16. Panzer-Division mit mobilen Op-Wagen ausgestattet. Dr. Werner Gerlach29, Divisionsarzt der 16. P.D.: „Die vier Op-Gruppen boten den Vorteil, daß wir mit diesen gegebenenfalls überschlagend immer in den Einsatz gehen konnten. Die Op-Gruppe blieb gemeinsam mit einigen Krankenkraftwagen – abgekürzt Krkw – in ständiger Fühlung mit den Panzern und der eingesetzten Kampfgruppe und beobachtete, wo diese in Stellung gingen. Sie setzte sich soweit ab, daß sie vor feindlichem Beschuß einigermaßen sicher war und richtete sofort den vorgeschobenen Hauptverbandplatz – HVP – ein, schilderte den Weg zu ihm deutlich aus, so daß sogar auch Panzer für kurze Zeit das Kampffeld verlassen konnten, um rasch ihre Verwundeten auszuladen; oder die Sanitäts-Mannschafts-Transportwagen gaben ihre Verwundeten ab, die sie auf dem Kampffeld gesammelt oder aus den Panzern übernommen hatten. Der praktische wie auch der große moralische Wert, daß eine sofortige chirurgische Versorgung immer zur Stelle und in unmittelbarer Nähe war, war außerordentlich wichtig für die kämpfende Truppe und wurde auch sehr dankbar anerkannt.
Dr. Erich Weber, letzter Chef der 2. San.Kp. der 16. P.D., im Op-Wagen
Die Op-Gruppe bestand aus einem Vollchirurgen mit ein bis zwei Assistenzärzten und dem entsprechend im Op-Dienst ausgebildeten Sanitätspersonal, einem Operationsomnibus, der mit allem Erforderlichen eingerichtet war – Op-Tisch, Op-Lampe, Op-Bestecke, Wasser und Sterilisationsanlage –, einem PKW und einem LKW für zusätzliches Sanitätsgerät und für das große Verwundetenzelt. Mit Beginn des Einsatzes wurde die hintere Tür des Omnibusses geöffnet und daran gleich das große Zelt angeschlossen, so daß die operierten Verwundeten direkt in das Zelt getragen werden konnten. Sie lagen nun meistens nicht sehr lange in dieser provisorischen Unterkunft, weil gleichzeitig der Divisionsarzt, je nach Anfall von Verwundeten, zehn bis 15 Krankenkraftwagen dahin beorderte, die sie in die nächsten Armee-Feldlazarette abtransportierten.
Dr. Winkler im Op-Wagen
Wenn sich der Kampf weiter nach vorwärts bewegte und die eingesetzte Op-Gruppe wegen ihrer Arbeit nicht folgen konnte, wurde überschlagend die nächste Op-Gruppe eingesetzt, und sollten beide im Verlauf des weiteren Vormarsches mit den Verwundeten beschäftigt sein, so wurde die dritte Op-Gruppe herangeholt. Damit war jederzeit eine glänzende Versorgung unserer Verwundeten gewährleistet, und zwar nicht weit vom Kampfgeschehen, sondern in seiner unmittelbaren Nähe, dabei sich immer den augenblicklichen Verhältnissen anpassend. Diese Sanitätstaktik hatte sich im Verlauf des bisherigen Vormarsches sehr bewährt, vor allem bei den schnellen Verbänden.“30
Dr. Weber im Op-Wagen
Die Sanitätseinheiten – unentbehrlich für die Moral der kämpfenden Truppe. Bericht eines Divisionspfarrers
Neben den Ärzten waren die Divisionspfarrer besonders wichtig, die sich den größten Teil ihrer Zeit um die Verwundeten und Kranken auf den Hauptverbandplätzen und in den Lazaretten kümmerten. Der Bericht31 des evangelischen Pfarrers Martin Tarnow32, der hier von den Sanitäts-Kompanien der 16. Panzer-Division berichtet, sei allen Zeitzeugenberichten vorangestellt: „Hier soll davon die Rede sein, was man im Kriege nur selten sah und hörte, was bei den Eilmärschen oft verborgen blieb oder was man mit schnellem Blick kaum wahrnahm – nämlich von dem, was sich auf vorgeschobenen Verbandplätzen dicht hinter der Front abspielte, in Operationszelten oder Operationswagen, auf der Trage oder im Erdbunker, in armseligen Hütten oder Kellern; von den letzten Stunden oder letzten Augenblicken unserer Kameraden. Für unsere Verwundeten an der Front gab es zwei Lichtpunkte: die Kameradschaft und die wehende Rotkreuzflagge an den Verbandplätzen. Jeder Soldat mußte damit rechnen: Mir kann etwas passieren! Aber er durfte auch damit rechnen: Mir wird geholfen werden! Und wer unter uns als Verwundeter die Rotkreuzflagge von weitem erblickte, wußte sofort: Hilfe ist mir sehr nahe. Welch ein Licht in der dunklen Nacht des Krieges für jeden Verwundeten: diese flatternde Rotkreuzflagge an einem Verbandplatz!
Pfarrer Martin Tarnow
Viele Kameraden waren von tiefer Dankbarkeit erfüllt, wenn sie die Namen der beiden Stabsärzte Dr. Paal und Dr. Weber hörten, denn ihrem großen ärztlichen Können und Wirken verdankten sie ihr Leben. Aber nur wenige wußten vielleicht, daß jeder unserer beiden Ärzte allein in Rußland etwa 15 000 Operationen durchgeführt hatte! Manche unter uns würde schon längst die russische Erde decken, wären unsere Ärzte und ihre getreuen Helfer nicht gewesen.
Es war eine ‚windige Sache‘, so dicht hinter der Front zu operieren, manchmal nur ein bis zwei Kilometer hinter der kämpfenden Truppe. In der Tat sollten auch Pfarrer Peter Mohr33 und ich das alsbald erfahren. Wir fanden oft schwerverwundete Kameraden; in Windeseile war eine Trage zur Stelle, von tapferen Sanitätern im Eiltempo gebracht, und wenig später lagen die Verwundeten schon auf dem Operationstisch, während ringsum Granaten einschlugen.
Welch eine Wohltat war die schmerzlindernde Spritze! Es gab schreckliche Verwundungen, und die Schmerzen waren darum oft grauenhaft. Einmal wurde ein Oberleutnant gebracht; Granatsplitter hatten seinen Oberschenkel zertrümmert, und ein Knochenteil ragte wie ein Dolch weit über das Knie hinaus. ‚Mutter, Mutter,‘ kam es vor großen Schmerzen über seine Lippen. Oberarzt Dr. Hegemann34 und Dr. Paal bemühten sich um den so schwer Verwundeten. Das Erste: die Spritze, um die furchtbaren Qualen zu lindern. Der ‚Alte Fritz‘ war gelegentlich über die Schlachtfelder geritten und wenn ein Schwerverwundeter vor Schmerzen schrie, pflegte er zu sagen: ‚Sterbe er anständig!‘ So konnte nur jemand reden, dem Schmerzen erspart geblieben waren – wer aber selber einmal solche Schmerzen erlebt hatte, der wußte aus Erfahrung, was gelitten wurde. Und welche Erleichterung, schreien zu dürfen, und welche Wohltat, daß jemand einem Klagenden die Hand reichte, sei es Arzt oder Pfarrer. Auch jenem, dem ein Splitter den ganzen Unterkiefer weggerissen hatte, auch dem, dem ein Schuß quer durch beide Augen gegangen war. Manchmal falteten wir Seelsorger nur stumm die Hände, und der Schwerverwundete spürte es. Beendete aber der Tod die oft furchtbaren Qualen, dachten Pfarrer Mohr und ich an das Wort der Hoffnung: ‚Der Schmerz wird nicht mehr sein!‘ Ich sprach dieses Wort der Hoffnung an den Gräbern.
Nun lagen Major Stock, Kommandeur der Nachrichtenabteilung, und ich einmal in jenem Operationswagen von Dr. Paal; russische Jagdflugzeuge hatten ihre höchst unsympathischen kleinen Splitterbomben über unseren Verbandplatz abgeworfen. Ihr infernalisches Geräusch beim Heruntersausen jagte den Major und mich unter einen Lastwagen. Da wir beide etwas höher lagen als die meisten Einschläge, gingen die gefährlichen Splitter in die Mulde, und nur wenige