Stalingrad - Die stillen Helden. Reinhold Busch
eingeteilt.
Auch in Rußland bewährte sich dieser vorgeschobene H.V.P. erneut ausgezeichnet. Auch dort spielte das Transportproblem eine große Rolle. Die Entfernungen waren groß, die Wege bei Regen nur schwer passierbar, und zwischen Vorausabteilung und folgenden Truppen bestanden oft große Lücken.
Sobald die Vorausabteilung Feindberührung bekam, wurde ich mit allen Einheitsführern zum Kommandeur bestellt. Nachdem alle Chefs20 ihren Einsatz bekommen hatten, wurde ich gefragt, wo ich meinen Hauptverbandplatz aufmachen wollte. Noch in Gegenwart der Chefs benannte ich einen Ort in der Nähe des Befehlsstandes des Kommandeurs mit der Angabe, der H.V.P. wäre in zwei Stunden einsatzbereit. Auf diese Weise wußten alle Einheiten, wo er zu finden war. Sofort wurde mit den Vorbereitungen begonnen, und die Zufahrtswege wurden ausgeschildert. Als zweiten Arzt hatte ich in Dr. Zemitsch21 einen ausgezeichneten Internisten dabei. Die anrollenden Verwundeten wurden sortiert. Alle Schwerverwundeten wurden ausgesondert und erhielten vom Internisten eine Behandlung zur Schockbekämpfung mit Infusion, Kreislaufmitteln und eventuell einer Bluttransfusion. Dann kamen sie auf den Operationstisch und wurden in Lokalanästhesie oder Vollnarkose operiert. Die Erfolge waren ausgezeichnet. Da die Brust- und Bauchschüsse schon innerhalb weniger Stunden zur endgültigen Versorgung auf den Operationstisch kamen, konnte ich noch im nichtinfizierten Gewebe operieren und eine Infektion verhüten.
Das stand freilich im Gegensatz zu allen militärärztlichen Vorschriften jener Zeit. Diese Vorschriften besagten, daß Bauch-, Thorax- und Schädelverwundungen nicht auf dem Hauptverbandplatz, sondern erst im Feldlazarett versorgt werden dürften. Man war der Auffassung, ein operierter großer Höhlenschuß dürfte nach der operativen Versorgung nicht vor Ablauf von drei Wochen transportiert werden. Ein längerer Transport vor der operativen Versorgung wäre dagegen wesentlich weniger schädlich.
Ich war dagegen der Ansicht, daß das Schicksal dieser Verwundeten durch den Zeitpunkt der frühen Versorgung entschieden würde. Nach der geltenden Vorschrift sollte der H.V.P. nicht näher als 25 km hinter der Front liegen, das Feldlazarett aber 250 km dahinter. In Rußland war das Feldlazarett oft noch weiter entfernt. Wenn die Verwundeten mit Schädel- oder Bauchschüssen im Feldlazarett ankamen, dann hatten sie fast alle eine Hirn- oder Bauchfellentzündung. Dann half auch die beste Operation meist nicht mehr! In jener Zeit kannten wir ja noch kein Penicillin.
Wenn ich bei einem Verwundeten mit Bauchschuß nach kurzer Vorbereitung und Schockbekämpfung den Bauch öffnete, dann war häufig der Darm an mehreren Stellen durchschlagen und der Bauchraum – das Bauchfell – überschwemmt mit Darminhalt. Durch sofortiges Vorlagern der verletzten Darmschlingen, Abklemmen der blutenden Gefäße und Spülung des Bauchraumes mit warmer physiologischer Kochsalzlösung gelang es in den meisten Fällen, die tödliche Bauchfell-Entzündung zu vermeiden. In Ruhe konnte ich dann die Darmwunden verschließen oder zu sehr zerfetzte Darmschlingen resezieren. Dasselbe galt in ähnlicher Weise für die Schädel- und Brustschüsse.
Eine wesentliche Voraussetzung für diese rasche Versorgung der Schwerverwundeten weit vorne war die Art des Krieges. Wir führten einen Bewegungskrieg nach vorne. Wenn nach einem harten Einsatz die Vorausabteilung weiter vorstieß, dann ließ ich die versorgten Bauch-, Thorax- und Schädelschüsse in einigen Bauernhäusern mit Sanitätern und Krankenkraftwagen mit der Maßgabe zurück, sie zu versorgen und zu betreuen, sie an die aufrückende Sanitätskompanie zu übergeben und selbst wieder aufzuschließen. Aber ich ließ auch schon frisch operierte Bauchschüsse nach drei oder vier Tagen – wenn es sein mußte – abtransportieren, ohne daß dies den Verwundeten durch den frühen Transport geschadet hätte.
Auch wurden – im Gegensatz zu den Vorschriften – alle leichteren Verletzungen der Extremitäten, wenn Knochen und Blutgefäße nicht verletzt waren, sofort nach hinten weitertransportiert. Diesen Verwundeten konnte man vor der endgültigen Versorgung ohne Gefahr einen längeren Transport zumuten; dafür benötigte ich den Krankenkraftwagenzug. Da die Versorgung der Schwerverletzten meine ganze Zeit beanspruchte, hatte ich mit meinem zahlenmäßig begrenzten Personal für die Versorgung der Leichtverwundeten nicht die erforderliche Zeit.
Als ich im Dezember 1942 wegen eines Todesfalles in der Familie von Stalingrad beurlaubt wurde, besuchte ich auf dem Wege nach Tazinskaja die Kriegslazarette22 und ‚meine‘ Verwundeten. Ich fand sie alle in gutem Zustand. Nach freundlicher Aufnahme im Kriegslazarett nahmen mich gewöhnlich nach einiger Zeit der Chef und der Chirurg beiseite. Sie bestätigten mir den ungewöhnlich guten Zustand der auf unserem vorgeschobenen H.V.P versorgten Verwundeten mit großen Höhlenschüssen und fragten dann, nach welcher besonderen Methode ich operiert hätte. Ich konnte ihnen immer nur sagen, diese guten Erfolge beruhten nicht auf einer besonderen Operationsmethode, sondern auf dem frühen Zeitpunkt der Operation.“23
Mobile Operationswagen bei der Panzertruppe
Bei der 16. Panzer-Division wurden für die vorgeschobenen Hauptverbandplätze, bestehend aus vier Operationsgruppen, Operationswagen erfunden, um mit dem schnellen Tempo der Panzer mitzuhalten; auch für diese gab es mehrere Ärzte, die sich darum Gedanken gemacht hatten. Dr. Erwin Paal: „Bei dem erstmaligen Einsatz der Kompanie als Hauptverbandplatz im Frankreichfeldzug im Mai 1940 hatte sich gezeigt, daß die Einrichtung des HVP lange Zeit in Anspruch nahm und eine große Zahl von Arbeitskräften band, andererseits die Strapazen des Marsches die Kraft der Männer schon vor Beginn der eigentlichen Aufgaben erheblich verbrauchten. Daher wurde nach meinem Vorschlag und meinen Plänen von den Männern der Sanitäts-Kompanie in zwei Tagen ein fahrbarer Feld-Operationswagen geschaffen, der eine ständige, sofortige Einsatzbereitschaft gewährleistete und hervorragende Dienste leistete. Das Op-Fahrzeug wurde mit seiner Einrichtung am Großkampftag des 23. Mai 1940 eingesetzt und bewährte sich vollauf bei diesem Einsatz. Bei einer Besichtigung des H.V.P. fand der Feld-Operationswagen die volle Anerkennung des Sanitäts-Inspekteurs, Generaloberstabsarzt Prof. Waldmann. Generalarzt Prof. Sauerbruch24 befürwortete ebenfalls nach einer Besichtigung den planmäßigen Bau solcher Fahrzeuge. Daher wurden nach dem Frankreichfeldzug für die Panzerdivisionen weitere Op-Wagen von der Firma Miesen in Bad Godesberg hergerichtet. Somit verfügte jede Sanitätskompanie der 16. P.D. über zwei Feldoperationswagen, die im Einsatz auf die einzelnen Kampfgruppen verteilt waren. Nun hieß es, die Operations-Teams auf ihre Aufgaben einzustimmen.
Op-Wagen der 1. San.Kp. der 14. P.D.
Die Leistungsfähigkeit der Op-Wagen beruhte vor allem auf der sofortigen Einsatzbereitschaft, die besonders im Bewegungskrieg erforderlich war, sowie auf der Möglichkeit, das Op-Fahrzeug möglichst nah an die Truppenverbandplätze heranzubringen, um auf diese Weise den Zeitraum bis zur ärztlichen Versorgung des Verwundeten zu verkürzen, andererseits für die Krankenkraftwagen den Rücktransport vom Truppenverbandplatz zum Hauptverbandplatz zu verkürzen und durch den hierdurch möglichen häufigeren Einsatz der Krankenkraftwagen die Überführung der Verwundeten zur Stätte der ersten chirurgischen Behandlung zu beschleunigen.“
Im Op-Wagen der 1. San.Kp. 160
Im Op-Wagen der 1. San.Kp. der 14. P.D.
Dazu Dr. Erwin Brennecke25: „Unsere Division begann zunächst als einfache Infanteriedivision; danach wurde sie in Münster zur 16. Panzerdivision umgerüstet. Wir bei der 2. Sanitätskompanie bildeten die mobile Chirurgengruppe. Chef der Kompanie war zunächst Oberfeldarzt Dr. Poeck. Auf seine Initiative hin erhielten wir als erste Einheit der Wehrmacht einen sogenannten Operationswagen. Es handelte sich um ein ausgedientes Polizei-Mannschaftsfahrzeug, das wir liebevoll ‚grüne Minna‘ tauften. Nachfolger Dr. Poecks wurde Dr. Schattenberg26. Im Rahmen der Umrüstung wurde ein schon eleganterer größerer und schönerer zweiter Wagen angeschafft,