Heliosphere 2265 - Der komplette Fraktal-Zyklus. Andreas Suchanek
versendet zu werden. Sie enthielt nur einen Satz, der niemandem, der sie abfangen würde, von Nutzen sein konnte. Doch jene Männer und Frauen, die seit Jahren auf diesen Moment warteten, wussten, was zu tun war. »Ich hätte darauf verzichtet, weißt du. Alles, was ich immer wollte, war eine sichere Solare Union, die nach außen hin geschlossen auftritt und im Inneren Stärke beweist.«
»Ich weiß«, sagte sein Besucher. »Aber jetzt ist der Punkt gekommen, auf den du gewartet hast, Juri. Meine Leute sind auf deiner Seite, es ist deine Entscheidung.«
Juri Michalew wandte sich um. Michael Furlan saß in einem der Konturensessel und blickte ihm gelassen entgegen.
»Das musst du mir nicht sagen«, entgegnete Juri. »Ich habe dich rekrutiert.«
»Und du hast gut daran getan«, sagte der Innenminister. »Wenn ich damals nicht gehandelt hätte, als diese Ishida deine Klüngelei hat auffliegen lassen, wärst du längst Geschichte.«
Juri winkte ab. »Ich weiß, ich weiß. Und meine Dankbarkeit hat dir so manche Tür geöffnet. Immerhin bist du heute Innenminister. Wer kann das in diesem Alter schon von sich sagen?«
»Wenn du diese Taste betätigst, ist mein jetziger Job nichts mehr wert.« Bei diesen Worten deutete Michael auf die Konsole. »Es ist deine Entscheidung, war es immer. Ich hoffe, du hast wirklich alles genau durchdacht.«
Juri schlug mit der flachen Hand auf die Lehne seines Konturensessels. »Das habe ich seit Jahren.« Er wurde wieder ruhig. »Und doch hätte ich darauf verzichtet. In einer Situation wie dieser benötigen wir Stabilität. Aber die Regierung erweist sich erneut als unfähig und verlogen. Ich weiß von den geheimen Flottenbasen und Militärstützpunkten. Wir könnten die Parliden in einem Handstreich vernichten. Stattdessen zieht Kartess es in die Länge, schlägt sich mit dem Finanzminister herum und will 'auf Nummer sicher' gehen. Wenn ich das weiter zulasse, stecken wir in wenigen Monaten selbst in diesen Rüstungen und dienen den Parliden als Sklaven!«
Michael zuckte mit den Schultern. »Die Bomben sind platziert und die Attentäter stehen bereit.«
»Ich hoffe, sie sind fähiger als der, der Walker ausschalten sollte. Ich konnte diese blauäugigen Killer noch nie leiden.« Alle Auftragsmörder, die Teil des Ketaria-Bundes waren, besaßen das gleiche Merkmal: stahlblaue Augen. Bisher war es noch niemandem gelungen, die Basis dieser Assassinen zu finden; viele vermuteten, dass sie sich im Eriin-Bund versteckten. Andere sprachen von einer Mini-Gesellschaft aus genmodifizierten Killern, die auf einer Raumstation hausten. Das Meiste waren Gerüchte.
»Ich gebe zu, sie sind mir auch unheimlich. Aber in der Regel arbeiten sie effektiv. Es konnte ja kein Mensch ahnen, dass dieser Alpha 365 dazwischenkommt.«
»Aber der Lieutenant stellt ja glücklicherweise keine Gefahr mehr dar. Er liegt im künstlichen Koma, während die HYPERION ihn in meine Arme trägt.«
»Also, wie entscheidest du dich?« Michael nippte an einem altmodischen Kaffee.
Juri drehte sich wieder zu seiner Konsole. Mit einem grimmigen Lächeln berührte er den Touch-Screen. Innerhalb von Sekunden jagte die Nachricht über den Phasenfunk davon und leitete unaufhaltbar das Chaos ein.
*
Epilog
02. Februar 2266
Tag 1
Lächelnd lehnte er sich zurück und genoss den Moment des Triumphes. Was gab es Schöneres, als die Früchte jahrelanger Arbeit zu ernten?
Michalew handelte endlich! Damit hatten sich all die Mühen gelohnt. Der kleine Hardliner, der an seinen Fäden hing und wie eine Marionette alles tat, was er tun sollte, verhalf ihm also tatsächlich zum Sieg.
Ein Signalton erklang.
Er warf einen Blick auf den Monitor und erkannte Doktor Florian von Ardenne.
»Treten Sie ein, Doktor«, begrüßte er den Verbündeten. »Etwas zu trinken?«
Der Wissenschaftler verneinte. »Ich muss gleich wieder zurück, bevor Michalew mich vermisst.«
»Ach was.« Er winkte ab. »Setzen Sie sich. Der gute Admiral wird in den nächsten Tagen nicht einen Gedanken an Sie verschwenden.«
Von Ardenne ließ sich, wenn auch etwas widerwillig, in den Konturensessel sinken. Mit zittrigen Fingern legte er eine kleine Ampulle auf den Schreibtisch.
»Das ist es also?«
Der Wissenschaftler bejahte. »Wie abgesprochen habe ich es zurückgehalten.«
Er nahm die Ampulle auf, in der eine schwarze Flüssigkeit schwappte. »Damit kann man also die Parlidenrüstung auflösen und den darin gefangenen Menschen befreien? Sie sind ein Genie, daran besteht kein Zweifel.«
In untypisch zurückhaltender Weise wehrte von Ardenne das Kompliment ab. »Genau genommen befand sich das Mittel die gesamte Zeit vor unserer Nase.
Es hat sich herausgestellt, dass diese Naniten auf der Parlidenrüstung klebten, die Captain Cross aus dem Elnath-System mitbrachte. Scheinbar hat dieses ominöse Artefakt versucht, die gefangenen Menschen von der Sklavenrüstung zu befreien. Wir glauben, dass die Rüstungen an Bord jenes Schiffes, auf das die HYPERION im Orbit traf, ihre Träger töteten, als dieses Lösungsmittel aktiv wurde.«
»Würde man den Stasetank, der sich auf der CAVE-Forschungsstation befindet, also abschalten, würde sich die Rüstung auflösen?«
Von Ardenne bejahte. »Wenn wir den neuralen Interface-Chip mit einem gerichteten EMP deaktivieren, kann die Rüstung ihren Träger nicht mehr töten.
Normalerweise würde er dann ersticken. Doch wenn gleichzeitig die Naniten aktiv werden, wird die Sklavenrüstung zersetzt.«
»Und der gefangene Mensch ist befreit. Das sind ausgezeichnete Neuigkeiten, die zum jetzigen Zeitpunkt aber noch nicht bekannt werden dürfen.«
»Das ist mir klar. Es würde Ihre Pläne zerstören.«
»Mitnichten«, entgegnete er dem Wissenschaftler. »Michalew kann nicht mehr zurück. Er hat sein Schicksal besiegelt.«
Von Ardenne wurde bleich. »Es beginnt? Wann?«
»Oh, mein lieber Doktor, der Admiral hat vor wenigen Minuten den großen roten Knopf gedrückt.«
Der Wissenschaftler schwieg. Als er die Tragweite dieses Satzes begriff, sprang er auf. »Dann sollte ich schnellstmöglich zurückkehren. Das Reisen ist bald nicht mehr sicher.«
»Tun Sie das.«
Von Ardenne schaute ihn noch kurz an, nickte abgehackt und verließ den Raum.
Bereits zwanzig Minuten später unterbrachen die Nachrichtenkanäle ihr Programm für eine Sondersendung. Eine Bombe hatte den Flugwagen von Trevor Holden, dem Finanzminister, zerfetzt. Die Überreste des Ministers, seines Sekretärs und der Leibwache verteilten sich innerhalb von Sekunden in einer dunklen Wolke über Paris.
Admiral Björn Sjöberg erhob sich und lachte schallend, während er den Ton des Nachrichten-Feeds deaktivierte. Ein klassisches Musikstück war der Würde des Moments eher angemessen. Zu den Klängen von Beethovens 9. Symphonie griff er nach einer Flasche achtzig Jahre alten Whiskeys, brach das Etikett und goss sich zwei Fingerbreit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit in ein Glas.
All die Jahre hatten also tatsächlich etwas gebracht. Es hatte Zeiten gegeben, in denen er an sich selbst gezweifelt hatte – nicht viele natürlich. Es hatte ihn Mühe gekostet, die Maske des aufrechten Admirals zu tragen. Gerade gegenüber Santana Pendergast hätte er sich ein ums andere Mal beinahe verraten. Doch sein kontinuierliches Vorgehen gegen Vetternwirtschaft und Klüngelei, gegen die Hardliner von Michalew, hatte sich ausgezahlt.
Während er auf der einen Seite geheimes Material an einen Erzfeind, den er selbst erschaffen hatte, weiterleitete, hatte er auf der anderen gegen ihn gekämpft. Die