Witterung – Lauf so schnell du kannst. Heike Ulrich

Witterung – Lauf so schnell du kannst - Heike Ulrich


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noch die gerichtsmedizinischen Untersuchungen und Auswertungen abwarten.“

      „Verstehe. Können Sie uns denn wenigstens den Namen des Getöteten nennen, und gibt es bereits einen Verdacht hinsichtlich eines Täters?“

      Olav antwortete zögernd: „Bei dem Getöteten handelt es sich um den sechzigjährigen, alleinstehenden Walter Zeller, der hier aus Wolfhagen stammt und vermutlich auch hier in seinem Haus getötet wurde.“

      Er nickte dem Reporterduo knapp zu und bestieg seinen Wagen.

      8

      Heribert Falk öffnete langsam die Augen und reckte sich. Das Fiepen in seinen Ohren war leise – noch. Eine Hand legte sich auf seinen Bauch.

      Anita lächelte verschlafen, drängte sich an ihn und nuschelte, während ihre Hand unter die Bettdecke glitt: „Herr Kommissar, ich glaube, ich muss von Ihnen noch mal ganz genau durchsucht werden.“

      Er grinste. „Hauptkommissar, wenn ich bitten darf.“

      Sie lachte und gab ihm einen Kuss. „Na gut, Herr Hauptkommissar.“

      Die dunklen Locken hingen ihr zerzaust ins Gesicht. Anitas ganze Erscheinung, wie sie lächelte, wie sie ihren Kopf beim Lachen nach hinten warf und dabei ihre großen Zähne entblößte, die Grübchen in ihren Wangen – das alles übte einen ungemeinen Reiz auf ihn aus.

      Er zog sie an sich. „Aber zuerst muss ich dich verhaften.“

      „Au ja – und verhören und anschließend bestrafen.“ Sie kicherte.

      Er spürte ihre Rundungen und ihre geschickten Hände, die zaubern konnten. Es war ihr letzter gemeinsamer Tag. Sein Verlangen war unbezwingbar, als sein Smartphone summte.

      Verdammt, wer zum Teufel musste ausgerechnet jetzt stören? Das heiße Pochen in seinen Lenden war fast schmerzhaft. Doch es war gar nicht sein Handy, das summte. Er sah, wie Anita nach etwas tastete, das kurz darauf im Sektkübel neben dem Bett landete. Er hörte noch das leise Platschen, und augenblicklich verstummte das Summen.

      Am nächsten Tag verstaute Heribert seine Reisetaschen im Kofferraum seines CLK’s. Die Zeit hier war wie im Flug vergangen. Das mit Anita war, was es gewesen war – Sex. Sie hatten sich wie zwei gute Freunde verabschiedet – Anita war glücklich verheiratet.

      Den ärztlichen Befund verstaute er in der Ablage. Und los! Heribert startete seinen Wagen und freute sich auf sein Zuhause in Markkleeberg bei Leipzig. Er war inzwischen ein Wossi, ein Wessi, der sich vor fast zehn Jahren für den Osten Deutschlands entschieden hatte – für Leipzig. Das heißt, zunächst war er zum Landes­kriminalamt nach Dresden versetzt worden. Er hätte sich zwar dagegen wehren können, doch er hatte dieses Angebot begrüßt. Allerdings war ihm Dresden unwirklich, irgendwie tot vorgekommen, und er hatte sich nicht einleben können. Wann immer es die Zeit erlaubt hatte, war er seinem Einzimmerappartement entflohen und nach Leipzig gefahren. Leipzig, die lang unterschätzte Stadt, die immer schöner wurde. Heribert liebte die vielen kleinen Cafés und Pâtisserien – manche mit eigener Kaffeerösterei, und gelegentlich versackte er am Wochenende in einer der gemütlichen Kneipen auf der „Karli“, der Karl-Liebknecht-Straße – eine der Amüsiermeilen Leipzigs. Heribert grinste in sich hinein: Sachsen, wo die hübschen Mädchen auf den Bäumen wachsen – das wusste doch jeder.

      Später hatte er direkt in Leipzig gearbeitet. Man hatte ihn versetzt, auf eigenen Wunsch. Er bewohnte ein gemütliches Historiendenkmal aus der Kaiserzeit – eine sanierte Dreizimmeraltbauwohnung in Markkleeberg, mit Seeblick von der Terrasse. Alles noch günstig erworben – damals, doch diese Zeiten waren vorbei. Markkleeberg gehörte genau genommen nicht zu Leipzig und wehrte sich bis heute entschieden gegen die Eingemeindungsbestrebungen. Heribert war es egal, er fühlte sich dort sauwohl – eingemeindet oder nicht, für ihn war Markkleeberg Leipzig, doch das behielt er für sich.

      Sein Smartphone summte.

      „Na endlich“, meldete sich eine männliche Stimme, „Mensch, Berti, ich versuche dich schon seit drei Tagen zu erreichen.“

      „Botho! Was gibt’s denn so Dringendes?“

      „Ich brauche deine Hilfe. Etwas sehr Unangenehmes.“

      „Aha?“

      „Ja, vor drei Tagen ist mein Steuerberater bei sich zu Hause ermordet aufgefunden worden. Ich war mit ihm in meinem Kasseler Geschäft verabredet gewesen. Als er nicht kam und ich ihn auch auf dem Handy nicht erreichen konnte, habe ich bei ihm zu Hause auf dem Festnetz angerufen. Da hatte ich plötzlich einen Kripobeamten am Telefon!“

      „Botho, ich bin nicht mehr im Dienst, das weißt du doch.“

      „Ja, ich weiß. Ich will dich als Privatschnüffler engagieren – vielleicht auch zu meinem Schutz.“

      „Schutz – was, wieso Schutz?“

      „Jemand verfolgt mich, und das nachdem mein Steuerberater ermordet wurde, das ist doch irgendwie merkwürdig, findest du nicht?“

      „Nicht unbedingt.“

      „Bitte, Berti, tu deinem alten Freund den Gefallen!“Heribert seufzte. „Wo bist du denn?“

      „Ich habe in meinem Leipziger Geschäft nach dem Rechten gesehen und komme gerade wieder in Kassel an.“

      „Und ich befinde mich auf dem Rückweg von meiner Reha nach Leipzig und bin nicht so weit weg von Kassel. „Bist du im Geschäft?“

      „Nein, zu Hause.“

      „Okay, bin gleich da.“

      In Bothos Stimme war die Erleichterung deutlich zu hören.

      „Danke!“

      Es waren fast immer dieselben Erinnerungen, die aufblitzten. Hier war er geboren und aufgewachsen.

      Später, nach dem Gymnasium und seiner Zeit in Frankfurt, war er wieder hierher zur Kripo nach Kassel versetzt worden – für zwei Jahre.

      Heribert blickte in den Rückspiegel – ein Porsche fuhr ihm dicht auf, drängelte eine Weile und hupte dann. Früher hätte es ihn geärgert, doch er blieb ruhig, setzte den Blinker und bog ab, auf die Wilhelmshöher Allee.

      Sofort eröffnete sich der weite Blick auf Kassels Wahrzeichen, den Herkules und die dazugehörigen künstlichen, treppenartig angelegten Kaskaden, die Heribert aus dieser Entfernung nur erahnen konnte und die sich nach unten vor dem Schloss Wilhelmshöhe in ein großes Auffangbecken stürzten. Die kupferne Skulptur, die den griechischen Halbgott Herakles darstellte und über und über mit Grünspan überzogen war, stand auf einer Pyramide, die wiederum auf einem Oktogon stand.

      Das gesamte Bauwerk ragte über siebzig Meter in die Höhe. Es war beeindruckend – immer wieder –, besonders bei Sonnenschein, wenn das Bauwerk sich aus dem üppigen Grün des Parks erhob, so wie jetzt. Doch wenn die Figur des Herakles – dunkel wie ein Schatten – durch leichte Nebelschwaden waberte, fühlte sich Heribert in die Welt griechischer Mythen versetzt, die von Helden und Göttern flüsterte. Wieder bog er ab, auf das Königstor, jetzt musste er noch einmal nach rechts, dann war sein Ziel erreicht.

      Während er nach einem Parkplatz Ausschau hielt, dachte er plötzlich an Anne, mit der er fast sieben Jahre liiert gewesen war. Einmal, noch in ihrer Kennenlernzeit, waren sie, nachdem alle Kneipen bereits dichtgemacht hatten, die Herkuleskaskaden hinaufgelaufen – sexuell aufgeladen und ziemlich betrunken. Der Sonnenaufgang hatte das Schloss Wilhelmshöhe in oranges Licht getauft. Kein Verkehr hatte sich unten auf den Straßen geregt. Alles war still und friedlich gewesen, eben ein anbrechender Tag. Anne hatte ihn von hinten umarmt und eine ganze Weile mit ihm auf die schlafende Stadt geblickt – da hatte er sie „gefragt“. Etwas später waren sie zusammengezogen. Doch das alles schien eine Ewigkeit her zu sein. Heribert war nach Dresden versetzt worden, und Anne hatte nicht mitgewollt.

      Er stellte den Motor ab und blickte sich zufrieden um. Sein Wagen stand direkt vor der Altbauvilla seines Freundes Botho Lange – Glück musste man haben, bei der Knappheit von Parkplätzen.

      Der


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