Sämtliche Werke von Shakespeare in einem Band: Zweisprachige Ausgabe (Deutsch-Englisch). William Shakespeare

Sämtliche Werke von Shakespeare in einem Band: Zweisprachige Ausgabe (Deutsch-Englisch) - William Shakespeare


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In unserm Volk so teur als Helena,

       Verloren wir so manches Zehnt der Unsern,

       Für eine, die uns fremd, für uns nicht wert,

       Wenn sie die Unsre war, ein Zehnteil nur.

       Was für vernünftger Grund denn, der uns hindert,

       Sie auszuliefern?

      TROILUS

       Nein, o nein, mein Bruder!

       Wagst du die Ehr und Würde eines Königs

       Wie unsers hohen Vaters nach dem Maß

       Gemeiner Unzen? Willst mit Pfenngen zählen

       Seiner Unendlichkeit maßlosen Wert?

       Ein unabsehbar weit Gebiet umzirken

       Mit Zoll und Spanne so geringer Art,

       Wie Fürchten und Vernunft? O pfui der Schmach!

      HELENUS

       Kein Wunder, wenn Vernunft du schiltst, der selbst

       Vernunft entbehrt. Soll unser Vater nicht

       Sein großes Herrscheramt baun auf Vernunft,

       Weil unvernünftig deine Rede war?

      TROILUS

       Du bist für Träum und Schlummer, Bruder Priester,

       Und fütterst deine Handschuh mit Vernunft!

       Dies sind nun deine Gründe:

       Du weißt, ein Feind sinnt drauf, dir weh zu tun,

       Du weißt, gezückte Schwerter drohn Gefahr,

       Und die Vernunft flieht das, was Schaden bringt;

       Was Wunder denn, wenn Helenus gewahrt

       Den Griechen und sein Schwert, daß er selbst Flügel

       Tiefer Vernunft sich an die Fersen bindet

       Und wie Merkur, wenn Zeus ihn schilt, entflieht,

       Schnell wie ein Sternschuß? Predigen wir Vernunft,

       So schließt die Tor und schlaft! Mannheit und Ehre,

       Wenn sie mit Gründen nur sich mästeten,

       Gewännen Hasenherz; Vernunft und Sinnen

       Macht Lebern bleich und Jugendkraft zerrinnen.

      HEKTOR

       Bruder, sie ist nicht wert, was sie uns kostet,

       Sie hier zu halten.

      TROILUS

       Was hat wohl andern Wert, als wir es schätzen?

      HEKTOR

       Doch nicht des einzeln Willkür gibt den Wert;

       Er hat Gehalt und Würdigkeit sowohl

       In eigentümlich innrer Kostbarkeit

       Als in dem Schätzer. Wahn und Tollheit ists,

       Den Dienst zu machen größer als den Gott!

       Und töricht schwärmt der Wille, der sich neigt

       Zu dem, was seine Liebe fälschlich adelt,

       Wenn innrer Wert dem Scheinverdienst gebricht.

      TROILUS

       Ich nehme heut ein Weib, und meine Wahl

       Hängt von der Leitung meines Willens ab;

       Mein Wille ward entflammt durch Aug und Ohr,

       Zwei wackre Lotsen durch die schroffen Klippen

       Von Trieb und Urteil. Sollt ich denn verstoßen,

       Wenn einst dem Willen meine Wahl mißfiele,

       Das Weib, das ich erkor! – Da ist kein Ausweg,

       Kein Wanken gilt, wenn Ehre soll bestehn.

       Wir senden nicht die Seide heim dem Kaufmann,

       Die wir verderbt, noch werfen wir verächtlich

       Übriggebliebne Speisen in den Abfall,

       Weil wir nun satt. Man hielt es wohlgetan,

       Daß Paris Rache nehm am Griechenvolk;

       Einmütger Beifall schwellt' ihm seine Segel;

       Die alten Kämpfer, Meer und Wind, sie ruhten,

       Ihm beizustehn; den Port erreicht' er schnell,

       Und statt der alten Base, dort gefangen,

       Bracht er 'ne griechische Fürstin, deren Frische

       Apollo runzlicht, welk den Morgen macht.

       Mit welchem Fug? Die Griechen halten jene!

       Und ist sie's wert? Ha, eine Perle ist sie,

       Die mehr denn tausend Schiffe jagt' ins Meer

       Und Kaufherrn schuf aus Königen.

       Gesteht ihr ein, recht wars, daß Paris ging

       – Ihr müßt; denn alles rief: Zieh hin, zieh hin! –,

       Bekennt ihr, daß ein Kleinod seine Beute

       – Ihr müßt, denn alle schlugt ihr in die Hände

       Und rieft: unschätzbar! –, warum schmäht ihr nun

       Den Ausgang eures eignen weisen Plans

       Und tut, was selbst Fortuna nicht getan,

       Entwürdgend, was ihr reicher habt geschätzt

       Als Land und Meer? Dann pfui dem schnöden Raub!

       Wir stahlen, was wir fürchten zu behalten,

       Als Dieb', unwert des so gestohlnen Guts;

       Was wir vergeltend raubten ihrem Strand,

       Scheun wir zu schützen in der Heimat Land!

      KASSANDRA

       draußen. Weint, Troer, weint!

      PRIAMUS

       Welch Laut? Welch Schrein ist das?

      TROILUS

       Die tolle Schwester; ihre Stimm erkenn ich.

      KASSANDRA

       draußen. Weint, Troer!

      HEKTOR

       's ist Kassandra!

       Kassandra kommt, in Verzückung [mit fliegenden Haaren ].

      KASSANDRA

       Weint, Troer, weint! Leiht mir zehntausend Augen,

       Und alle füll ich mit prophetschen Tränen!

      HEKTOR

       Still, Schwester, still! –

      KASSANDRA

       Jungfraun und Knaben, Männer, schwache Greise,

       Unmündge Kindheit, die nichts kann als weinen,

       Verstärkt mein Wehgeschrei! Und zahlt voraus

       Die Hälfte all des Jammers, der uns nah!

       Weint, Troer, weint! Gewöhnt eur Aug an Tränen!

       Troja vergeht, das schöne Ilium sinkt!

       Paris, der Feuerbrand, verzehrt uns alle.

       Weint, weint! O Helena, du Weh der Wehen!

       Weint! Troja brennt! Verbannt sie, heißt sie gehen!

       Geht ab.

      HEKTOR

       Nun, junger Troilus, weckt dies grause Lied

       Der prophezeinden Schwester kein Gefühl

       Der Reu im Herzen? Oder ist dein Blut

       So toll erhitzt, daß Überlegung nicht,

       Noch Furcht vor schlechtem Ausgang schlechter Sache

       Die Glut dir mäßgen


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