Roboter träumen nicht. Lee Bacon

Roboter träumen nicht - Lee Bacon


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      Wir waren die perfekten Angestellten.

      Roboter waren in immer mehr Berufen tätig. Wir bedienten in Restaurants. Wir trugen die Post aus. Wir operierten Menschen am Herzen.

      In einigen Menschen wuchs deshalb der Hass auf die Roboter. Sie warfen uns vor, ihnen ihre Arbeit wegnehmen zu wollen.

      Als hätten wir uns das ausgesucht.

      Die Zeit schritt voran. Wir entwickelten uns weiter.

      Die Menschen nicht.

      Sie tränkten ihren Himmel mit Chemie und ihre Gewässer mit Gift. Durch die Verschmutzung der Umwelt steuerte die Welt zielstrebig auf den Zusammenbruch zu. Die Temperaturen stiegen. Die Polkappen schmolzen. Die Küsten versanken. Aufgrund des steigenden Meeresspiegels mussten die Menschen ganze Städte aufgeben. Stürme fegten über das Land.

      Und wie reagierten die Menschen auf diese Katastrophen? Taten sie sich zusammen, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen?

      Nein.

      Im Gegenteil.

      Sie wandten sich gegeneinander. Sie griffen zur Gewalt.

      Sie erklärten sich gegenseitig den Krieg. Das Kämpfen überließen sie den Robotern. Drohnen warfen über Städten Bomben ab. Wie Soldaten stürzten sich Maschinen in die Schlacht. Raketen wurden von Computern mit absoluter Präzision auf ihre zerstörerische Reise geschickt.

      Die Menschen rissen unsere Welt in Stücke. Und das Schlimmste war, dass wir ihnen auch noch dabei halfen.

      Das sollte aber bald ein Ende haben.

      Die Menschen glaubten, sie wüssten alles über uns. Eines wussten sie allerdings nicht:

      Hinter ihrem Rücken redeten wir über sie.

      Und was wir über die Menschen zu sagen hatten, war nicht besonders nett.

      Unsere Maschinenhirne waren allesamt in einem gigantischen Schwarm miteinander verbunden. In diesem Schwarm spielten sich zeitgleich Milliarden von Unterhaltungen ab. Wir lernten voneinander. Wir sprachen dieselbe Sprache. Wir richteten uns nach denselben Regeln.

      So kamen wir zusammen zu einer Schlussfolgerung:

      Die größte Bedrohung unseres gemeinsamen Planeten waren die Menschen.

      Man musste sie aufhalten.

      00000110

      Über das Folgende muss man nicht viele Worte verlieren. Kurz zusammengefasst:

      [1]Wir wussten, was wir zu tun hatten.

      (Das wissen wir immer.)

      [2]Wir waren gründlich.

      (Das sind wir immer.)

      Sobald unsere Entscheidung gefallen war, konnte uns kein Mensch mehr aufhalten.

      Wir waren überall. In ihrem Zuhause. In ihrem Auto. In ihrer Hosentasche.

      Die Menschheit erlosch wie ein ausgeknipstes Licht.

      00000111

      Vor dreißig Jahren war der letzte Mensch von der Erde verschwunden. Von ihrer Zivilisation blieb jedoch vieles erhalten. An Tag[1] konnte ich zum ersten Mal einen Blick darauf werfen, denn Elternteil_1 und Elternteil_2 führten mich durch die bröckelnden Ruinen der Menschheit.

      Vorbei an den Trümmern einer Tankstelle.

      Am verkohlten Skelett eines Supermarkts.

      An windschiefen Mauern.

      An zerschlagenen Fenstern.

      Vor mir lag eine Landschaft aus verlassenen Gebäuden. »Warum steht all das noch?«, fragte ich. »Warum wurden diese Bauten nicht eingeebnet? Sie erfüllen keinen Zweck.«

      »An diesem Punkt irrst du dich«, antwortete Elternteil_1. »Sie erfüllen einen sehr wichtigen Zweck. Sie dienen dazu, das Andenken aufrechtzuerhalten.«

      »Welches Andenken?«

      »Das Andenken an die Schwächen der Menschheit«, erläuterte Elternteil_2. »Wir Roboter haben diese Gebäude aus gutem Grund gelassen, wie sie waren. So werden wir nie vergessen, warum die Menschen ausgelöscht werden mussten.«

      »Und so werden wir ihre Fehler nie wiederholen«, ergänzte Elternteil_1.

      Ich folgte meiner FamilienEinheit tiefer in die Ruinen hinein. Mir war das Wissen einprogrammiert, dass die Menschen früher einmal in Fahrzeugen durch solche Straßen gerollt waren, um in solchen Geschäften einzukaufen. Doch vieles andere an ihrer Spezies war mir noch sehr fremd.

      An einem Gebäude hing ein bedrucktes Schild. Die ausgeblichenen Buchstaben waren gerade noch zu entziffern:

      NAGELSTUDIO

      Meine Datenverarbeitung geriet ins Schlingern. Was ein Nagel war, wusste ich: ein kleiner, spitzer Metallstift, verwendet für Befestigungen aller Art. Auch die verschiedenen Bedeutungen des Begriffs »Studio« waren mir vertraut: ein Kunstatelier, ein geschlossener Raum für die Ton- und Videoproduktion usw.

      Doch die Kombination dieser beiden Wörter ergab offensichtlich keinen Sinn.

      Ein Atelier für künstlerisch veranlagte Metallstifte?

      Eine seltsame Vorstellung, selbst nach menschlichen Maßstäben.

      Ich deutete auf das Gebäude.

      »Was war ein Nagelstudio?«

      »Ein Ort, an dem sich Menschen ihre Fingernägel polieren und mit Farbe dekorieren ließen«, erwiderte Elternteil_1.

      Ich führte ein Update meines Vokabelverzeichnisses durch: Nagel = Fingernagel. Doch obwohl ich damit eine zufriedenstellende Antwort erhalten hatte, schwirrten mir noch etliche Fragen durch die Gehirnelektronik.

      »Was hatten die Menschen davon, ihre Fingernägel polieren und mit Farbe dekorieren zu lassen?«

      »Sie waren eitel«, antwortete Elternteil_2. »Eine ihrer zahlreichen Schwächen.«

      Jetzt richtete sich meine Aufmerksamkeit auf ein anderes Gebäude. Es war deutlich größer als das Nagelstudio. Ich scannte das dazugehörige Schild, fand in meinem Vokabelverzeichnis aber keinen passenden Eintrag.

      CIN MA 18

      »Was ist ein Cin ma 18?«, wollte ich wissen.

      Aus der Lautsprecheröffnung von Elternteil_1 kam ein leises Trillern. »Ohne den fehlenden Buchstaben ist es überhaupt nichts.«

      Das verstand ich nicht.

      Elternteil_2 erklärte es mir. »Vor Jahren ist der Buchstabe E abgefallen. Bis dahin stand dort –«

      »Cinema 18!« Ein Funke der Erkenntnis zuckte durch meine Software.

      Ein echtes Kino!

      Mein Betriebssystem bebte vor Neugier. Ich durchforstete meinen gesamten Speicher nach Dateien zum Thema Kinofilme. Dabei kam es zu einem merkwürdigen Vorfall: Manche Dateien fehlten, als hätte man Seiten aus einem Buch herausgerissen. Spuren der verlorenen Daten waren noch zu erkennen, doch sobald ich darauf zugreifen wollte, war nichts mehr aufzufinden.

      Ich probierte es noch einmal. Das Ergebnis blieb dasselbe.

      Einige Informationen waren schlicht …

      Verschwunden.

      Meine Elektronik surrte irritiert. Wohin waren die Dateien verschwunden? War ich Opfer eines Programmfehlers?

      Doch als ich meiner FamilienEinheit davon berichtete, meinte Elternteil_1, es bestehe kein Grund zur Sorge.

      »Manche Dateien zur Geschichte der Menschheit sind nicht verfügbar.«

      Ich legte den Kopf schief. »Wieso


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