Roboter träumen nicht. Lee Bacon
mit etlichen neu installierten Solarpanels erschöpft war, kehrte ich nach Hause zurück.
Stöpselte mich in die Ladestation ein.
Und schaltete in den Ruhezustand.
Am nächsten Morgen ging es von vorne los.
Und von vorne.
Und von vorne.
Zwölf Jahre, vier Monate, eine Woche und drei Tage lang hielt ich mich an diesen Standardablauf.
Dann zerschellte mein gleichförmiges, berechenbares Leben an dem Paradox.
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Paradox. Subst. Wenn zwei widersprüchliche Tatsachen gleichermaßen zutreffen.
Seit meiner Aktivierung war diese Definition in meinem Vokabelverzeichnis enthalten gewesen. In den ersten zwölf Jahren meines Lebens war ich überzeugt davon, die Definition einwandfrei zu verstehen.
Ich lag falsch.
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Der Tag des Paradoxes begann wie jeder andere. Ich wachte auf. Ich stöpselte mich aus. Ich durchquerte mit meiner FamilienEinheit eine Landschaft aus verfallenen Einkaufszentren/Supermärkten/Banken/Tankstellen.
Die Sonne schien.
Wolken trieben über den Himmel und legten sich um die Gipfel der Berge.
Elternteil_1 und Elternteil_2 waren in einem anderen Teil des Solarparks tätig. Irgendwann trennten sich unsere betonierten Wege deshalb, wir verabschiedeten uns voneinander und gingen in entgegengesetzte Richtungen weiter.
Ich blieb allerdings nur kurz allein. Wenig später nahm ich ein Geräusch wahr. Anfangs leise, bald immer lauter.
WRRRMMMMMMM!
Als ich mich umdrehte, sah ich einen kleinen Roboter, der auf seinen beiden Gummiketten rasant in meine Richtung rollte, gefolgt von einer Wolke aufgewirbelten Staubs.
Am Ende seiner ausfahrbaren Arme öffneten/schlossen sich klickende Metallkrallen. An der Vorderseite seines kastenförmigen Körpers befand sich ein Monitor, auf dem ein digitales Symbol angezeigt wurde:
Die winkende Hand hatte ein breites Spektrum an Bedeutungen.
Hallo.
Wie geht es dir?
Renn um dein Leben!
In der letztmöglichen Millisekunde fuhr der Roboter einen Schlenker. Er holperte vom betonierten Weg herunter, wobei er einige Kieselsteine auf mich katapultierte, und kam mit quietschenden Ketten zum Stillstand.
Die Hand winkte immer noch freundlich/warnend.
Ich säuberte mich vom Staub. »Es freut mich auch, dich zu sehen, SkD.«
SkD hatte eine eigene Art zu »sprechen«. Diese Art lässt sich mit einem alten Menschensprichwort umschreiben:
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.
Bei meinem ersten Zugriff auf dieses Sprichwort hatte ich Verständnisprobleme gehabt. Hatten Bilder früher sprechen können? Und wenn ja, waren sie zu mindestens eintausendundeins Wörtern verpflichtet gewesen?
1 Bild > 1.000 Worte
Das schien mir der übliche Menschenunsinn zu sein.
Etwas später begriff ich es jedoch: Das Sprichwort war nicht wörtlich zu nehmen. Es sollte vielmehr ausdrücken, wie viel Bedeutung ein einziges Bild in sich tragen kann.
Über Abertausende von Jahren hatten die Menschen durch Bilder ihre grundlegendsten Gefühle/Ängste/Werte vermittelt. In der Vorgeschichte hatten sie die Wände ihrer Höhlen damit bemalt. Später hatten sie ihre Gemälde gerahmt und in Museen gehängt. Mithilfe von Bildern wurden Geschichten erzählt, wurde für Unterhaltung gesorgt, wurde Wissen vermittelt und für Produkte geworben.
Schließlich entdeckten die Menschen die mit Abstand wirkungsvollste Methode der bildbasierten Verständigung:
Das Emoji.
Die Menschen liebten Emojis. In aller Welt schickten sie sich gegenseitig diese simplen Bildchen zu. Millionen davon, Tag für Tag. Von Display zu Display und von Mensch zu Mensch.
Und selbst jetzt, nach der Auslöschung der Menschen, lebte diese merkwürdige Art des Gedankenaustausches durch SkD weiter. Anstatt eine Lautsprecheröffnung zu nutzen, »redete« SkD über Bilder auf seinem Monitor.
Indem die Sprache auf ihre grundlegendsten Elemente verkürzt wird, erzielt jede Äußerung maximale Wirkung.
Und manchmal maximale Verwirrung.
Ich blickte auf SkD hinab. Auf die winkende Hand, die weiterhin auf seinem Monitor blinkte. »Willst du mich begrüßen? Oder mich warnen?«
Auf dem Bildschirm erschienen neue Bilder.
Übersetzung: Ja und Ja.
Von Tag[1] an waren SkD und ich Kollegen gewesen. Wir hatten denselben Arbeitsweg zurückzulegen, taten dies aber keineswegs auf dieselbe Weise. Während ich mit stetem Schritt die Betonbahn entlangmarschierte, schlingerte SkD hin/her/hin/her und kreiselte/trudelte/hüpfte mal neben, mal auf dem Gehweg zum Solarpark.
Dort angekommen, sahen wir Ceeron. Er wartete auf uns.
Ceeron war mein zweiter Kollege. Ein massiger Roboter, fast exakt doppelt so groß wie ich, mit zwei weißglühenden Augen in der Mitte eines würfelförmigen Kopfes. An seinen Schultern war ein Metallrucksack befestigt. Mit tiefer Stimme, die einem Donnergrollen glich, rief er uns entgegen. »Hallo, XR! Hallo, SkD!«
»Ich grüße dich«, sagte ich.
SkD antwortete mit einem weiteren Winke-Emoji.
Eine Information zu Ceeron: Der wuchtige Roboter hatte eine Schwäche für die alten Rituale der Menschen. Für ihre sonderbaren Angewohnheiten. Ihre seltsamen Redewendungen.
Und ihren merkwürdigen Humor.
Als Ceeron uns ansah, leuchteten seine Augen vor Vorfreude. »Soll ich euch einen Menschenwitz erzählen?«
»Nicht unbedingt nötig«, erwiderte ich.
Ceeron erzählte ihn uns trotzdem.
Ceerons Witz:
F.:Warum ging die Banane ins Krankenhaus?
A.:Weil sie faul war.
Ich wiederholte den Witz weitere 4.572 Mal in meinem Kopf. Lustiger wurde er dadurch nicht.
»Das verstehe ich nicht«, sagte ich. »Eine Banane ist keine mobile LebensForm. Sie kann nicht gehen. Und selbst wenn, würde sie diese Anstrengung gerade dann nicht auf sich nehmen, wenn sie faul wäre. Denn wer faul ist, bewegt sich möglichst wenig.«
»Ganz genau«, erwiderte Ceeron. »Meiner Vermutung nach liegt die Komik in dieser doppelten Sinnlosigkeit.«
Ich begriff es immer noch nicht. »Aber ging die Banane in ein Menschenkrankenhaus? Oder in ein auf Bananen spezialisiertes Krankenhaus? Und wie gelangte sie dorthin? Sie hat keine Beine.«
»Möglicherweise wurde ihr geholfen.«
Auf Höhe meiner Knie piepte es. SkD wollte auf sich aufmerksam machen. Auf seinem Monitor blinkten zwei Bilder.
Ceeron nickte zustimmend. »Sie wurde natürlich von Sanitätern ins Krankenhaus gebracht. Von Bananitätern.«
»Das