Roboter träumen nicht. Lee Bacon

Roboter träumen nicht - Lee Bacon


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kam taumelnd zum Stillstand.

      Wohin hätte sie fliehen, wo sich verstecken sollen?

      Wir hatten sie umzingelt.

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      Ceeron starrte Emma an. »Bist du ein Mensch?«

      Emma nickte.

      »Das ist nicht möglich«, merkte ich an. »Die Menschen sind ausgestorben.«

      »Wenn sie ausgestorben sind«, erwiderte Ceeron, »wieso steht dann einer vor uns?«

      »Es muss eine andere Erklärung geben. Möglicherweise …« Ich ließ mein Gehirn schnell alle vorstellbaren Szenarien durchspielen. »Möglicherweise gleicht diese Kreatur nur äußerlich einem Menschen, ist aber tatsächlich etwas anderes.«

      »Was zum Beispiel?«, fragte Ceeron.

      In 0,2 Sekunden analysierte ich 1,7 Millionen Varianten. Ich entschied mich für die naheliegendste. »Ein glatt rasierter Gorilla.«

      Emma schnitt eine Grimasse. »Geht’s noch!?«

      SkD brachte sich mit einem Emoji in das Gespräch ein.

      »Du sagst es.« Ceeron nickte. »Gorillas können nicht sprechen.«

      Da hatte der Roboterriese recht. Deswegen fuhr ich mit der zweitwahrscheinlichsten Variante fort.

      »Sie ist ein Roboter«, sagte ich. »Ein als Mensch getarnter Roboter.«

      Ceeron sah mich lange an. »Wieso sollte sich ein Roboter als Mensch tarnen?«

      »Es könnte sich um einen Test handeln.« Mit einem dumpfen metallischen Klong! verschränkte ich die Arme. »Was, wenn uns der Schwarm auf die Probe stellen will? Hinsichtlich unseres Umgangs mit einer höchst ungewöhnlichen Situation?«

      Darüber dachte Ceeron eine Weile nach. »Sollte sie ein Roboter sein, müssten sich unter ihrer Haut Leiterplatten befinden. Das könnte ich ganz einfach überprüfen, indem ich ihr einen Arm abreiße.«

      »NEIN!«, kreischte Emma.

      »Keine Sorge«, erwiderte Ceeron. »Den anderen Arm werde ich nicht entfernen.«

      Auch das konnte Emma nicht mit seinem Vorschlag versöhnen. »Du musst hier gar nichts überprüfen! Ich bin ein Mensch! Ehrenwort!«

      Ich verarbeitete ihre Antwort. »Sollte deine Behauptung der Wahrheit entsprechen, solltest du also tatsächlich ein Mensch sein, bleibt uns keine Wahl.«

      Aus einer Halterung an meiner Hüfte klinkte ich ein kleines schwarzes Gerät aus. Ich hob es und nahm Emmas Brustkorb ins Visier.

      »Du musst ausgelöscht werden.«

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      In meinen Gedanken hatte sich eine Formel herauskristallisiert.

      Emma ist ein Mensch.

      Menschen sind eine Bedrohung für unsere Welt.

      Daraus ergibt sich:

      Emma muss ausgelöscht werden.

      Diese Formel ergab Sinn. Sie war absolut logisch. Genau so musste man mit dieser Situation umgehen.

      Ich hielt das kleine schwarze Gerät auf Emma gerichtet. Mein Finger krümmte sich um den Abzug.

      »WARTE!« Emma riss die Hände hoch. »Bitte bring mich nicht um.«

      »Ich werde dich nicht umbringen«, sagte ich.

      Ein lautes Ausatmen. »Nicht?«

      Ich schüttelte den Kopf. »Das ist keine Schusswaffe. Es ist ein Zielerfassungsgerät. Damit kann ich dich als Ziel markieren.«

      »Als Ziel wofür?«

      »Für die JagdBots.«

      Emma machte einen schwankenden Schritt nach hinten. Ich behielt ihren Oberkörper im Visier.

      »Du kannst dir also sicher sein«, fasste ich zusammen, »dass nicht ich dich umbringen werde, sondern die JagdBots.«

      »D-das geht doch nicht«, stammelte Emma. »Ich habe euch nichts getan.«

      Verzweifelt blickte sie zu meinen Kollegen hinüber. Ihre Stimme überschlug sich.

      »Leute, was soll das denn? Ich bitte euch. Ich bin nur ein Kind.«

      »Du bist ein Mensch«, verbesserte Ceeron. »Menschen sind eine Bedrohung.«

      »Klar, dass ihr das so seht. Verstehe ich.« Emmas Lippen bebten. »Wir Menschen haben’s verbockt. Aber das ist viele Jahre her. Da war ich noch nicht mal geboren.«

      SkD schwenkte in meine Richtung.

      Sein Monitor leuchtete auf.

      »Mir ist bewusst, dass das ein guter Punkt ist!«, erwiderte ich. »Aber was, wenn sie die Fehler ihrer Vorgänger wiederholt?«

      Emma schüttelte den Kopf. »Das mache ich nicht.«

      »Wie können wir uns da sicher sein?«

      Ihre menschlichen Gesichtszüge zogen sich nachdenklich zusammen. »Okay, ähhh … Versuchen wir’s mal so. Eure tolle Roboterzivilisation hier … die läuft doch ziemlich gut, oder?«

      »Es handelt sich um die fortschrittlichste Gesellschaft in der Geschichte der Welt«, bestätigte ich.

      »Echt?« Emma hob eine Augenbraue. »Aber wenn ihr so großartig seid, warum habt ihr dann solche Angst vor einem einzigen kleinen Mädchen?«

      Diese Frage bohrte sich wie eine spitze Klinge in meine Denkprozesse. Im ersten Augenblick hatte ich keine Antwort parat.

      Ich musste erst 0,6 Sekunden lang über Emmas Einwand nachdenken.

      Mir war das Wissen einprogrammiert, dass wir Roboter den Menschen klar überlegen waren. Intelligenter/Stärker/Schneller/Besser. Da ich nicht weit von den Ruinen der Menschheit wohnte, verbrachte ich jeden Tag im Bewusstsein ihres Untergangs. Und unserer Großartigkeit. Im Bewusstsein der Tatsache, dass sich unsere Herrlichkeit aus der Asche ihres Zusammenbruchs erhoben hatte.

      Das war die Wahrheit.

      Die einzige Wahrheit.

      Und doch …

      … blitzte in meinem Geist eine andere Formel auf.

      Ich visiere Emma an.

      Daraus ergibt sich:

      Emma stellt eine Bedrohung dar.

      Dies löste eine Kettenreaktion aus. In schneller Abfolge rauschten weitere Formeln durch meine Denkschaltkreise.

      Ein einziges Menschenkind stellt eine Bedrohung für unsere Gesellschaft dar.

      Daraus ergibt sich:

      Unsere Gesellschaft ist schwach.

      Daraus ergibt sich:

      Wir Roboter sind den Menschen doch nicht überlegen.

      Daraus ergibt sich:

      Unsere gesamte Zivilisation beruht auf einer Lüge.

      Nein. Das konnte nicht sein.

      Es musste eine andere Lösung geben.

      Ich nahm den Finger vom Abzug und ließ das Zielerfassungsgerät sinken.

      Aus dem Nichts leuchtete eine andere Formel auf.

      Ich visiere Emma nicht an.

      Daraus ergibt sich:

      Das


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