Wir - mit oder ohne Wunschkind. Anna Koppri
ich wie erstarrt liegen und beiße die Zähne zusammen.
Ich bin wütend auf meine Ärztin. Es fühlt sich wie Verrat an, dass dieselbe Frau, die gerade noch mit mir so mitfühlend über meinen Verlust gesprochen hat, jetzt gleich ein kerngesundes (davon gehe ich einfach mal aus) kleines Leben töten wird. Was nicht heißt, dass ich in Einzelfällen eine solche Entscheidung nicht auch verstehen kann.
Dann kommen sie mich holen. Ich werde in den OP geschoben und soll mich dort auf einen gynäkologischen Stuhl in Übergröße setzen. Der Raum sieht aus wie ein Badezimmer. Überall weiße Fliesen, helles Licht. Meine Ärztin begrüßt mich freundlich. Zwei Männer sind auch da. Der eine legt mir eine Infusion, der andere sagt irgendwas und hält mir dann eine Atemmaske vor Mund und Nase. Ich bekomme gerade noch mit, wie er mir sanft den Kopf streichelt. Nett – denke ich, dann bin ich weg.
Als ich aufwache, liege ich wieder in meinem Abteil auf der Pritsche. Ich habe tierische Schmerzen im Unterleib, und das grelle, künstliche Licht beißt mir in den Augen. Jemand kommt vorbei und fragt, wie es mir geht. Ich lasse mir gleich zwei oder drei Anti-Schmerz-Cocktails verabreichen, bis schließlich die Schmerzwogen zu tosen aufhören.
Irgendwie bekomme ich mit, dass Fabian gekommen ist, um mich abzuholen. Mein einziger Gedanke ist: Ich will hier weg! Jetzt sofort! Das gebe ich auch einem Pfleger zu verstehen, der mich erst noch hinhalten will, sich aber dann darauf einlässt, meinen Blutdruck zu messen. Ich soll mich vor ihn hinstellen und ihm zeigen, dass ich schon stabil bin. Ein paar Sekunden reichen ihm, mich in den Umkleideraum zu entlassen.
Benommen ziehe ich mich, so schnell ich kann, um und gehe in den Empfangsraum. Als mein Mann mich in den Arm nimmt, wird mir schwarz vor Augen. Irgendwer schimpft, bringt mich auf eine Bank, legt meine Beine hoch und ich bekomme einen Becher Zuckerwasser zu trinken. Die anderen Begleitpersonen schauen verstohlen zu mir rüber. Mir doch egal, denke ich. Hauptsache ich bin da raus. Als die Sterne vor meinen Augen verschwunden sind, ruft die Schwester ein Taxi – die kürzeste Taxifahrt meines Lebens.
Zu Hause falle ich sofort ins Bett und schlafe ein paar Stunden. Fabian hat mir einen hässlichen, aber liebenswerten kleinen Stoffhund gekauft. Ich nenne ihn Wauzi. Nette Geste, doch er kann mich natürlich nicht annähernd so trösten, wie ein lebendiger es getan hätte.
Wie es mir geht? Beschissen! Ich fühle mich, als wäre jemand in den absolut unbetretbaren Raum in meinem Inneren eingedrungen und hätte mir das Kostbarste gestohlen, das ich je besessen habe.
Zwei Tage später gehe ich einkaufen. Es fühlt sich an, als sei ich aus Glas und jeder könne genau sehen, was mit mir passiert ist. Ich halte die Blicke der anderen nicht aus, vermeide jeden Augenkontakt, ziehe meine Kapuze über den Kopf und sehe zu, dass ich nach Hause komme.
Das Angebot meiner Ärztin, mich für eine weitere Woche krankzuschreiben, war vielleicht doch ein ganz weiser Vorschlag. Ich gehe zu ihr und hole mir den gelben Schein ab.
Dann bekomme ich furchtbare Bauchschmerzen. Das Internet erklärt mir, dass das eine Magenschleimhautentzündung ist, die sich gern mal einstellt, wenn man zu viele Schmerzmittel auf nüchternen Magen bekommt. Auch die psychische Verfassung soll dabei eine Rolle spielen. Es tut beschissen weh. Jede kleinste Bewegung versetzt mir tausend Nadelstiche in den Bauch. Wenigstens passt jetzt meine körperliche Befindlichkeit zu meiner emotionalen.
Ein paar Wochen später lasse ich mir ein kleines Vögelchen in die Nähe meines Herzens tätowieren. Ich möchte, dass dieses Kindlein auch sichtbar immer ein Teil von mir bleibt, vielleicht einmal großer Bruder oder große Schwester sein darf.
Mein Blick auf schwangere Frauen hat sich verändert. Jetzt schaue ich sie an und denke: Wow, weißt du eigentlich, was für ein Wunder es ist, dass da ein Kind in dir wächst? Ich wünsche dir alles Gute.
9 Monate später: Eine neue Hoffnung
Bei uns beginnt wieder die Achterbahn des ewigen Bangens, Hoffens und Enttäuschtseins. Ich lese in Foren, verzichte auf Alkohol, probiere alle möglichen angeblich fruchtbarkeitssteigernden Mittelchen. Und dann, genau um den Termin herum, an dem unser Vögelchen geboren werden sollte, bin ich endlich wieder schwanger. Überglücklich und voller Zuversicht.
Ich habe gelesen, dass erste Schwangerschaften relativ häufig nicht bleiben. Na, dann sollte ja jetzt bei der zweiten nichts mehr schiefgehen, denke ich.
Doch schon eine Woche später werde ich jäh aus meinen Träumen gerissen. Unter Bauchkrämpfen, Blutungen und mit Schüttelfrost fahre ich mit meinem Mann in ein Krankenhaus. Der Arzt bestätigt die Schwangerschaft und macht uns bei der Menge an Blut, die ich bereits verloren habe, keine Hoffnung auf ein Fortbestehen. Nur noch sein Bericht bestätigt, dass da ein weiteres winziges Leben begonnen hatte, in mir zu wachsen.
Dieses Mal bin ich einfach nur wütend und frustriert. Schmeiße Gott meine Fragen vor die Füße – Antworten gibt es nicht.
Februar 2017: Unser Wunder
Ich kann es noch nicht fassen: Wer da so friedlich in meinem Arm liegt und schläft ist unser Sohn Antonin! Dreieinhalb Jahre nach Beginn unserer Kinderwunsch-Odyssee halte ich tatsächlich mein eigenes, kerngesundes Baby im Arm. Wir haben uns von einer Kinderwunschklinik untersuchen lassen, ohne konkrete Ergebnisse. Um eine Schwangerschaft zu begünstigen, habe ich mich dennoch mit Hormonen vollgepumpt, die in jedem Zyklus zuerst Symptome von Wechseljahren hervorriefen und später eine Schwangerschaft simuliert haben. Freunden, die für uns gebetet haben, habe ich gesagt, sie könnten damit aufhören, das würde sowieso nichts nützen. Und als ich schon lange nicht mehr daran glauben konnte, war sie doch wieder da: die zarte zweite Linie auf dem Test.
Die ersten Monate der Schwangerschaft waren schlimm. Nach den bisherigen Erfahrungen fühlte sich jeder Toilettengang an, als würde ich zu einer Beerdigung gehen. Wenn kein Blut auf dem Papier war, ein kleiner Triumph. Ein Segen, dass ich mir jeden Tag eine Thrombosespritze verabreichen durfte, weil mein Blut ein wenig zu dickflüssig ist und Studien zufolge dadurch das Risiko einer frühen Fehlgeburt gesenkt werden könne. Diese Nadel lullte mich in die Illusion, ich hätte irgendetwas in der Hand, ein kleines Herzchen in mir weiter am Schlagen zu erhalten. Aber die Angst wurde erst dann weniger, als ich die Bewegungen meines Kindes spüren konnte. Abends legte ich ein Musikinstrument auf meinen Bauch und spielte für ihn.
Jetzt ist er da. All die Monate voller Bangen, Verzweiflung, Trauer und Hoffnung haben mich innerlich wachsen lassen. Mein Gottesbild hat sich verändert. Gott ist für mich nicht mehr der nette Kumpel, der immer an meiner Seite ist und sich darum kümmert, meine Wünsche zu erfüllen. Er ist größer und faszinierender für mich geworden, näher und gleichzeitig weiter weg. Ich kann ihn nicht ergründen und fühle mich gleichzeitig in ihm gegründet.
Es fällt mir leichter als anderen Müttern, nicht zu jammern, wenn die Nächte kurz sind, ich an Freizeitaktivitäten meiner Freunde nicht teilnehmen kann, der Kleine ständig krank ist oder mal wieder die Wohnung verwüstet hat. Ich bin unglaublich stolz auf mein kleines, großes Wunder und fühle mich sehr wohl in der Mutterrolle. Es ist nicht selbstverständlich, diesen lebendigen Liebesbeweis Gottes im Arm halten zu dürfen. Das erfüllt mich mit Ehrfurcht und lässt den Wunsch in mir noch stärker werden, diese kleine, ganz eigene Persönlichkeit so zu begleiten, dass sie sich frei entfalten kann.
Gleichzeitig merke ich, wie herausfordernd es ist, ohne Pause für einen anderen Menschen verantwortlich zu sein, der vollkommen abhängig von mir ist. Alles, was ich in der Zeit, in der der Kinderwunsch die größte Kraft in meinem Leben war, ausgeblendet habe, fordert nun seinen Platz ein. Früher wollte ich immer viele Kinder haben, jetzt merke ich, dass ich als introvertierte, hochsensible Frau schon mit einem Kind an meine Grenzen komme.
Es ist viel schwieriger, mir Zeiten zum Alleinsein, Abschalten und Auftanken einzuräumen. Dennoch beschließen wir, dass es schön wäre, wenn unser Sohn ein Geschwisterchen bekommt, zumal er der geselligste in unserer kleinen Familie ist. Diesmal ist es viel einfacher zu warten. Ich habe gerade begonnen, meine neu gewonnene Unabhängigkeit nach einer langen, intensiven Stillzeit zu genießen, und bin froh über jeden Monat, in dem ich abends ausgehen und auch mal ein Glas Wein genießen kann.
April