Wir - mit oder ohne Wunschkind. Anna Koppri

Wir - mit oder ohne Wunschkind - Anna Koppri


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mir eine kleine Stimme zuflüstern: „Ich bin hier, mache es mir gerade bei dir gemütlich.“ Versonnen, dieses süße Geheimnis erahnend, warte ich, bis ein Test schließlich Gewissheit bringt. Ein paar Tage genieße ich den Zauber ganz allein. An seinem Geburtstag überrasche ich Fabian mit einer kleinen Schatztruhe, in der eine Perle und ein Zettelchen liegen, auf dem steht: „So groß ist Antonins Geschwisterchen jetzt.“

      Die Freude ist groß, doch wenige Tage später habe ich auf einmal eine Eingebung: Es ist niemand mehr da. Ich dränge den Gedanken beiseite, doch auch die Frauenärztin kann bei der Untersuchung nur eine viel zu kleine Fruchthülle finden. Wieder einmal hat mir eine kleine Seele nur einen kurzen Besuch abgestattet, um sich schon bald erneut zu verabschieden.

      Ich begreife das nicht, der Schmerz und die Ängste von damals erwachen wieder. Ich fühle mich leer und hilflos ausgeliefert, einem Körper, dem ich das Vertrauen kündige, jemals ohne medizinische Hilfe in der Lage zu sein, ein Kind in sich heranwachsen zu lassen. Trost finde ich in dem Gedanken, dass mein Schmerz nur ein winziger Teil ist von dem großen Weltschmerz und dem Schmerz Gottes über all das, was nicht seinen wunderbaren Plänen folgt.

      In diesem Augenblick darf ich ein winziges Teilchen davon spüren, mittragen, fühle mich eingebettet in etwas Größeres. Ein Wunsch von damals, als ich noch nicht wusste, ob mich jemals ein Kind „Mama“ nennen wird, kommt an die Oberfläche. Ich möchte ein Buch schreiben für all die Menschen, die dieses Sehnen, Hoffen und Verzweifeln kennen und sich vielleicht damit alleine herumschlagen – deshalb reiche ich ein Exposé beim Verlag ein.

      Mai bis August 2019: Achterbahnfahrt

      „Können Sie mir bitte das Hormon verschreiben, das ich bei der Schwangerschaft mit meinem Sohn genommen habe. Ich spüre heute deutlich meinen Eisprung und habe aus Unbedachtheit nicht verhütet.“

      Gynäkologe: „Frau Koppri, es kann gar nicht sein, dass Sie schon wieder einen Eisprung haben. Nach so einem Abgang dauert es einige Wochen, bis sich der Körper wieder in seinen normalen Rhythmus einfindet.“

      Ich lasse mich abwimmeln. Eigentlich bin ich nur dort, weil geschaut werden soll, ob mein Körper ohne operativen Eingriff die letzte Schwangerschaft vollständig losgelassen hat. Der Arzt und ich wundern uns über eine hoch aufgebaute Schleimhaut im Ultraschall, die normalerweise nur bei einer Schwangerschaft zu sehen ist und in meiner Situation eigentlich gar nicht sein kann. Ich bin irritiert, warte aber das Blutergebnis ab.

      Ein paar Tage später verkündet mir mein Arzt: „Alles ist draußen, Ihr Hormonwert ist wieder bei Null.“ Also mache ich mir keine großen Gedanken mehr um Schleimhaut und Eisprung. Natürlich bin ich noch ab und zu von Traurigkeit eingenebelt. Auch mein Körper spielt ein bisschen verrückt, als habe er die Schwangerschaft doch noch nicht ganz losgelassen.

      Eine leise Ahnung schiebe ich deshalb in den nächsten Tagen beiseite und mache auch nicht sofort einen Test, als meine Tage ausbleiben. Der Doktor meinte ja, es könne ein paar Wochen dauern. Schließlich halte ich es nicht mehr aus und mache doch einen Test: Positiv!

      Jetzt entwickle ich eine neue Strategie, sage mir: Ich lasse das einfach gar nicht richtig an mich ran, tue so, als wäre nichts, dann bin ich auch nicht so traurig, wenn nichts daraus wird. Nach dem Wochenende gehe ich dennoch die Treppe zum Gynäkologen hoch – ich will wenigstens alles tun, was in meiner Macht steht, und dieses Utrogest-Hormon einnehmen, das vielleicht bei meinem Sohn die Einnistung gefördert hat.

      Auf der Treppe überwältigen mich meine Gefühle völlig. Ich breche in Tränen aus und kann nicht mehr aufhören zu weinen. Schnell gehe ich wieder runter, setze die Sonnenbrille auf und lenke mich ab. Als ich mich halbwegs gefangen habe, gehe ich die paar Schritte zur Arztpraxis zurück, mit demselben Ergebnis. Ich breche unkontrolliert in Tränen aus, habe eine Scheißangst, dass es wieder schiefgeht und ich schuld bin, weil ich diesem superschlauen Arzt das Rezept nicht rechtzeitig entlocken konnte.

      Ich rufe eine gute Freundin an, die zufällig gerade in der Bahn sitzt und fünf Minuten später bei mir ist. Weinend berichte ich ihr von dem ganzen Drama, dass ich diese Praxis einfach nicht mehr betreten, diesem Arzt nicht in die Augen sehen kann. Schließlich gehen wir gemeinsam hin und sie unterbricht den Arzt, als er beginnt, mir einen Vortrag über Verhütung zu halten. Man müsse seinem Körper nach so einem Abgang doch erst mal eine Pause gönnen.

      Dann will er einen Ultraschall machen, und es ist tatsächlich ein kleiner Fruchtsack zu sehen. Vielleicht ein bisschen zu klein, aber er versucht mich zu beschwichtigen: die Befruchtung könne ja auch ein paar Tage später stattgefunden haben. Ich finde das nicht sehr beruhigend, zumal ich mir ja sicher war, den Eisprung deutlich gespürt zu haben. Also wieder eine Woche des Bangens, bis zum nächsten Termin, an dem festgestellt werden soll, ob sich die Schwangerschaft gesund weiterentwickelt hat.

      Aber auch dieser und der nächste Termin, ein paar Tage später, bringen mich nicht zur Ruhe. Das, was im Ultraschall zu sehen ist, ist immer ein paar Tage zu klein.

      „Seien Sie mal zuversichtlich“, sagt der Arzt.

      Klar, das versuche ich, mit aller mir zur Verfügung stehenden Kraft. Ich hoffe, ich bete, ich bange, und irgendwo ganz tief in mir ist ein unerklärlicher Friede, der mich trägt. Ein Friede, der über meine Vernunft hinausgeht. In dieser Zeit suche ich mir eine neue Gynäkologin, denn ich kann diese Praxis einfach nicht mehr ohne einen Gefühlscocktail, der mich innerlich überwältigt, betreten.

      Vor dem ersten Termin bei der neuen Ärztin wird mir dennoch wie üblich schlecht, ich zittere und habe Schweißausbrüche. Sie ist toll, behandelt mich nicht wie ein Dummerchen, sondern auf Augenhöhe. Doch der Ultraschall lässt auch sie zögern, mir zu sagen, es sei alles in Ordnung. Der Embryo habe sich weiterentwickelt, er sei jedoch vom letzten bis zu diesem Ultraschall nicht genug gewachsen und fast eine Woche zu klein. Doch da sie den letzten Ultraschall nicht gemacht habe, wolle sie noch nichts Endgültiges sagen, sondern es sich in zwei Wochen nochmals ansehen. Zudem habe sie schon Kinder rumlaufen sehen, die es aus medizinischer Sicht eigentlich gar nicht hätte geben können.

      Gedanken

      Da ist ein kleines Wesen mit einem schlagenden Herzen in mir. Doch es ist zu klein. Werde ich es je kennenlernen? Jeden Tag, den es noch bleibt, kann ich es lieben, ihm Wärme geben, es betören zu wachsen. Wird es mich wieder verlassen, viel zu früh, genau wie seine drei Geschwister?

      In Psalm 139,13ff (Schlachter 2000) heißt es: „Denn du hast meine Nieren gebildet; du hast mich gewoben im Schoß meiner Mutter. (…) Deine Augen sahen mich schon als ungeformten Keim, und in dein Buch waren geschrieben alle Tage, die noch werden sollten, als noch keiner von ihnen war.“

      Gott, warum nur so wenige Tage? Ich verstehe das nicht, begreife nicht, wozu Leben entsteht, das nicht lebensfähig ist! Eine Laune der Natur, ein unvollkommener Körper, der nicht genug nähren kann, ein Arzt, der die falsche Entscheidung traf? Ich weiß es nicht, kann nur heulen und loslassen und festhalten und lieben und bangen und noch ein kleines bisschen hoffen – mit einer riesigen Angst, noch einmal zusammenzubrechen, wenn sich der Verlust mit unbarmherziger Gewissheit seinen Weg bahnt. Ich möchte trotzdem dankbar sein, für die Zeit, die dieses kostbare Geheimnis in mir wächst. Die Hoffnung stirbt zuletzt!

      * * *

      Mein Mann und ich beschließen, die Nachricht nicht für uns zu behalten, sondern engen Freunden und der Familie Bescheid zu geben, damit sie für eine gesunde Entwicklung – für ein Wunder – beten können. Ich bete auch, sicher zehnmal am Tag, doch von Herzen glauben kann ich nicht. Ich will an Wunder glauben, doch die medizinischen Gegebenheiten und meine vergangenen Erfahrungen halten meine Hoffnung klein, scheinen die Größe meines Gottes irgendwie auszuhebeln.

      Ich bin froh, dass andere mehr Glauben haben, den sie mir in diesen Tagen leihen. Fast bin ich ein bisschen erleichtert, dass ich jetzt erst mal zur Ruhe kommen und mich nicht gleich nach ein paar Tagen schon wieder durch eine Ultraschalluntersuchung aus der Bahn werfen lassen muss.

      Ein paar Tage vor dem nächsten Arzttermin

      Mein Kindlein, heute ist es besonders schwer für mich zu ertragen, dass ich keinen Einfluss darauf nehmen kann, ob dein winziges Herz weiterschlägt.


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