Wir - mit oder ohne Wunschkind. Anna Koppri
zu leben, das finde ich im Moment total schwer …
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Zwei Jahre nach Beginn ihres aktiven Kinderwunsches steht erst einmal ein Umzug nach Berlin an. Voll und ganz stürzen sie sich in den Aufbau eines Gemeinschaftsprojektes für eine kirchliche Organisation. Ihr erstes gemeinsames Baby, ein Stück Berufung, nimmt Gestalt an. Menschen aus der Nachbarschaft mit unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergründen können sich hier begegnen, austauschen und Gemeinschaft leben. Conni und Daniel werden Gastgeber, bieten anderen Heimat in der Großstadt. Für Einzelne, die sich Halt und familiäre Gemeinschaft wünschen, nehmen sie sogar so etwas wie eine Elternrolle ein.
Endlich Klarheit
Erst als sich ihr neues Leben nach einem Jahr langsam eingespielt hat, wenden sie sich wieder aktiv ihrem Kinderwunsch zu. Nun ist Daniel an der Reihe sich untersuchen zu lassen. Er fährt schon mit einer Vorahnung zum Urologen, denn irgendeine Ursache muss das nun schon dreijährige Ausbleiben einer Schwangerschaft ja haben.
Als das Spermiogramm vorliegt, ist er dennoch etwas überwältigt ob der Eindeutigkeit des Ergebnisses: „Wo normalerweise ein paar Millionen Spermien sind, gibt es bei mir vielleicht fünf.“ Der Arzt erklärt ohne Umschweife, dass rein medizinisch eine Zeugungsunfähigkeit vorliegt und sie nur mithilfe der Reproduktionsmedizin durch eine ICSI (Intracytoplasmic sperm injection) eine Chance haben werden, eigene Kinder zu bekommen.
Bei dieser Methode werden der Frau operativ reife Eizellen entnommen, die vorher durch Hormongaben stimuliert wurden, damit in sie der aufbereitete Samen des Mannes direkt eingespritzt werden kann. Wenn anschließend eine Befruchtung stattfindet und sich die Zellen erfolgreich teilen, werden der Frau nach drei bis fünf Tagen ein bis zwei Embryonen in die Gebärmutter eingesetzt – im Ausnahmefall auch drei. Einerseits ist die Diagnose ernüchternd und niederschmetternd, andererseits gibt es dadurch endlich Klarheit, die dem Paar auch guttut.
Tagebuch Conni, September 2014
Wer weiß, was Gott jetzt mit mir/mit uns als Paar vorhat? Wo ich immer ganz stark das Gefühl hatte, dass gerade von uns als Paar ganz viel Gutes ausgeht. Wenn es jetzt tatsächlich der Fall sein sollte, dass aus unserer Ehe keine Kinder hervorgehen werden – was ist dann unsere Berufung?
Bis jetzt haben wir uns noch gar nicht wirklich Gedanken dazu gemacht, geschweige denn Gefühle zugelassen.
Ich verstehe nicht, warum Gott uns dann so ein großes Herz für Kinder gegeben hat, so viele positive Begegnungen: „Unsere Kinder fühlen sich bei euch so wohl, sie mögen euch so gerne“ – so oft hören wir das. Ich verstehe nicht, warum er uns als „Familienmenschen“ hat aufwachsen lassen und so viel Familiengefühl mitgegeben hat, ja sogar eine so große ähnliche Prägung, sodass wir in der Kindererziehung nicht viel diskutieren müssten.
Vielleicht wäre es auch unsere Berufung, Kinder zu adoptieren. Damit habe ich mich noch nie auseinandergesetzt …
„Ungewollt kinderlos“ – ich fände es so krass, plötzlich in diese Schublade gepresst zu werden. Dieses ganze „Kinderkrieg-Thema“ ist mir sowieso schon seit längerem „suspekt“. Es wird überall so getan, als hätten wir das vollkommen selbst in der Hand. Anfangs mittels Verhütung, dann mittels Planung. Mit allen Mitteln „krampfhaft“ ein Kind „haben“ zu wollen, kommt mir unangemessen und egoistisch vor. Man kann doch kein Kind „haben“/„besitzen“, man muss es doch geschenkt bekommen. Jeder Tag mit dem/unserem Kind wäre doch ein reines Geschenk.
Ich bleibe bei meiner Einstellung: Wenn Gott uns ein oder sogar mehrere Kinder schenken will, wenn er uns beide ihm/ihnen als Eltern schenken möchte, dann kann er das tun, und dann will ich ihn auch nicht daran hindern beziehungsweise nicht das, was von unserer Seite dazu beitragen könnte, unterlassen.
Aber ich will auch nicht krampfhaft daran festhalten, sondern fest glauben, dass Gott uns dann auch die Kraft geben wird, diese „Neuausrichtung“ unseres Lebens durchzustehen – mit allen Konsequenzen – und dass er uns anderweitig überreich beschenken und zum Geschenk werden lässt für andere Personen, Situationen …
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Die Kinderwunschklinik, in der sie einige Zeit später landen, fühlt sich ein bisschen wie eine Parallelwelt aus einer amerikanischen Serie an. Alles ist super schick, es gibt riesige Aquarien und überall sitzen gut gekleidete Paare in den Wartebereichen. Ob sie hier richtig sind? Ihre anfänglichen Bedenken werden jedoch schnell von einer sehr zugewandten, offenen Ärztin zerstreut, bei der sich die beiden auf Anhieb wohlfühlen. Sie erklärt alles sehr genau und begegnet ihnen auf Augenhöhe.
Schon vor diesem Termin in der Klinik hat das Paar vereinbart, den ganzen Prozess langsam anzugehen, sich gut zu informieren und zu schauen, wie sich jeder Schritt anfühlt, bevor sie weitergehen. Sie wollen sich immer nur mit der nächsten zu treffenden Entscheidung auseinandersetzen. Weder wollen sie sich schon mit einem möglichen übernächsten Schritt belasten noch von vornherein Grenzen festlegen. Auch nehmen sie sich vor, nicht wild im Internet zu recherchieren oder tausend Geschichten anderer zu hören. Sie wollen sich vor allem von den Ärzten aufklären lassen und auf ihr Bauchgefühl hören, um ihren eigenen Weg zu finden.
Die christliche Perspektive auf künstliche Befruchtung
Wieder zu Hause angekommen sucht Daniel die Unterlagen seiner Ethikvorlesung aus dem Theologiestudium raus, in der darüber gesprochen wurde, dass die künstliche Befruchtung aus christlicher Perspektive umstritten ist. Da in der Regel mehr Eizellen befruchtet als letztlich in die Gebärmutter eingesetzt werden, müssen mitunter im Prozess Embryonen verworfen oder eingefroren werden. Bedeutet das, dass diejenigen, die sich für diese Methode entscheiden, vorsätzlich Menschenleben töten? – fragt er sich. Während ihres Entscheidungsprozesses stoßen die beiden auf die Tatsache, dass auch auf dem natürlichen Empfängnisweg immer wieder Eizellen befruchtet werden, sich einzunisten beginnen und doch vorzeitig wieder absterben. Zu diesem frühen Zeitpunkt wird das von den Frauen meist gar nicht bemerkt.
Während sie weiter überlegen, besuchen die beiden eine Paarberatung und lassen sich auch individuell geistlich begleiten, was ihnen für ihren Kinderwunschweg sehr guttut. Auch ihre Eltern und gute Freunde lassen sie an ihrem Weg teilhaben. Beide Elternpaare haben noch keine Enkel und werden darauf mindestens genauso oft angesprochen wie das Paar auf seinen ausbleibenden Nachwuchs.
Für sich persönlich ziehen Conni und Daniel schließlich den Schluss, dass ihnen offensichtlich auf natürlichem Weg eine Schwangerschaft verwehrt bleibt und die künstliche Befruchtung somit der einzige Weg ist, wie Gott ihnen ein Kind schenken kann. Die Medizin stellt hierbei für sie eine Möglichkeit dar, die Gott dem Menschen gibt. Für Daniel ist ein wichtiger Punkt, dass es auch bei künstlicher Befruchtung keine Garantie auf ein Kind gibt: „Es würde mir schwerer fallen mich darauf einzulassen, wenn es eine 100-prozentige Erfolgswahrscheinlichkeit gäbe. Ich will nicht selbst über Leben verfügen können, sondern die Entscheidung letztlich in Gottes Hand lassen.“ Das Paar ist aber weiterhin noch genauso offen für Wege ohne eigene Kinder, die Gott sie führen könnte.
Die Ärzte rechnen ihnen eine ganz normale durchschnittliche Schwangerschaftswahrscheinlichkeit von 33 Prozent pro Versuch aus. Dadurch, dass einige Schwangerschaften sich nicht weiterentwickeln, bleibt letztlich die Chance von zirka 25 Prozent pro Versuch, dass sie ein Kind bekommen werden. Da beide eher nüchtern an die Sache herangehen und sich vor Enttäuschung schützen wollen, nehmen sie an, dass sie durch die drei Versuche, auf die sie sich einlassen wollen, im wahrscheinlicheren Fall kein Kind bekommen werden.
Ganz bewusst setzen sie sich auch mit der Frage auseinander, wie ihr Leben ohne Kinder aussehen würde und malen sich ein solches sehr positiv aus: ausschlafen, flexibel sein, Freiraum für eigene Projekte haben, reisen und ihre Gabe der Elternschaft für andere Menschen leben. Immer wieder begegnen ihnen auch andere Paare, denen keine Kinder geschenkt wurden, mit denen sie sich austauschen.
Daniel wird von den Ärzten geraten, sich operativ Samen aus den Nebenhoden entnehmen zu lassen, da es erfolgsversprechender sei, dort zeugungsfähige