Wir - mit oder ohne Wunschkind. Anna Koppri

Wir - mit oder ohne Wunschkind - Anna Koppri


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Hand hat. Er lässt doch alles so wunderbar wachsen, warum nicht auch meine Kinder? Dich?

      Ich stelle mir vor, wie es ist, wenn am Freitag dein Herzschlag nicht mehr zu sehen ist oder – was noch schlimmer wäre – du zwar lebst, aber mir keine Hoffnung auf eine gesunde Entwicklung gemacht werden kann. Wie erträgt man das Unerträgliche?

      Ich möchte so gern glauben, dass alles gut wird und wir dich kennenlernen, dass der Gott, der Tote zum Leben erweckt, auch dir alles Nötige gibt, um zu gedeihen. Warum ist mein Glaube so winzig? Noch winziger als dein Herz!

      Mein Leben geht weiter, zieht an mir vorbei wie durch einen Schleier. Die Tage rieseln durch meine Finger, ohne dass ich so richtig anwesend bin. Mit meinen Gedanken bin ich viel bei dir. Ich funktioniere einfach und bin so dankbar für deinen großen Bruder – das größte Wunder meines Lebens!

      Oh Wunder

      Dann ist der Termin da. Zittrig betrete ich mit meinem Mann die Praxis. Noch vor dem Ultraschall besprechen wir mit der Ärztin, dass ich im Fall eines Verlustes keinen Eingriff möchte und lasse mir die Vor- und Nachteile einer genetischen Untersuchung des Embryos darlegen. Wir beschließen, dass es uns keinen Gewinn bringen würde, zu wissen, dass wir Kinder mit einem genetischen Defekt zeugen können. Da wäre ich bei einer weiteren Schwangerschaft nur noch besorgter.

      Schließlich der Ultraschall. Die Ärztin sucht und wird immer nervöser: Kein Herzschlag ist zu finden. Sie seufzt, will gerade zu tröstenden Worten ausholen und da auf einmal: Doch ein Herzschlag! Sie beginnt alles ganz genau zu untersuchen und zu messen, bis schließlich die erlösenden Worte kommen: „Es ist alles wunderbar und zeitgemäß entwickelt!“

      Ich kann es kaum fassen, breche sofort in Tränen aus und schmeiße mich in die Arme meines Mannes. Ein Wunder! Das muss ein Wunder sein! Ich bin so überwältigt und dankbar und demütig ob meines geringen Glaubens.

      Jetzt kann ich an dieses Kind glauben, den Gedanken zulassen, dass unser Sohn im nächsten Februar ein Geschwisterchen bekommen wird. Es ist unglaublich. Endlich komme ich zur Ruhe, funktioniere wieder normal, freue mich sogar, wenn mir übel ist und ich schlecht schlafe. Unser Kind ist gewachsen und hat aufgeholt, alles ist in Ordnung, es wird durchkommen!

      Einige Wochen später ist es sogar größer als erwartet. Ich verstehe zwar nicht, warum wir durch diese furchtbaren ersten Wochen mussten, doch damit zeigt Gott jetzt wirklich Humor. Die Ärztin weiß mich zu beruhigen: „Nein, es ist nicht bedenklich, wenn das Kind ein bisschen größer ist als die Norm.“

      Ein paar Tage danach erhalte ich Bescheid vom Verlag. Mein Exposé zu diesem Buch wurde angenommen. Wie wunderbar, dass ich damit wieder einmal erleben darf, dass Gott meine schwersten Erfahrungen in etwas Gutes verwandeln kann. Ich darf meine und die Geschichten anderer Paare weitergeben und hoffentlich viele Paare in ähnlichen Situationen begleiten und ermutigen.

      Rückblick

      In der Zeit des größten Bangens um dieses Kind erzählte mir eine Bekannte, dass sie schwanger ist und ihr Kind in dem Monat geboren werden soll, wie dasjenige, das ich gerade erst verloren hatte. Da ich mich noch fest im Griff der Angst befand, auch die aktuelle Schwangerschaft wieder zu verlieren, fühlte ich mich von der Nachricht wie vor den Kopf gestoßen. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte, war wie gelähmt und reagierte irgendwie gar nicht. Angst schlich in meine Gedanken: Ich werde ihren Bauch wachsen sehen und denken, dass meiner gerade genauso dick sein sollte.

      Nach der guten Nachricht, dass sich mein Kind doch gesund entwickelt hat, spreche ich sie darauf an und erkläre mich. Sie zeigt Verständnis und dann der Schock: Sie hat ihr Kind in der zwölften Woche verloren! Jetzt bin ich wieder sprachlos. Mein Kind darf leben und ihres musste wieder gehen?

      Sie erzählt, dass sie es auf natürlichem Wege auf die Welt gebracht hat, von der schweren Zeit des Abschieds und dass sie das Kleine, das bereits einige Zentimeter groß war, auf einem Friedhof für Sternenkinder begraben haben. Puh, jetzt muss sie mit dem Wachsen meines Bauches und nicht ich mit dem ihren zurechtkommen. Das ist krass und ich begreife von neuem nicht, weshalb so etwas passiert.

      * * *

      Rückblickend kann ich sagen, dass es nicht gesund war, mich in den ersten Jahren so sehr von meinem Kinderwunsch einnehmen zu lassen, sodass ich mich schließlich nur noch über meinen gefühlten Mangel definiert habe. Doch was hätte ich tun können? Alle gut gemeinten Ratschläge von Außenstehenden haben sich in dieser Zeit nur wie Schläge angefühlt: „Du musst dich entspannen und versuchen loszulassen. Fahrt doch mal in den Urlaub, dann klappt es bestimmt. Bei anderen hat es noch viel länger gedauert. Man kann auch ohne Kinder glücklich leben …“

      Mir hätte es sicher gut getan, mich therapeutisch oder seelsorgerlich begleiten zu lassen oder mir eine Gruppe Gleichgesinnter zu suchen. Meinen Kinderwunsch als einen Teil von mir einzuordnen, der seinen Platz und seine Berechtigung, jedoch nicht das Recht hat, so stark mein ganzes Leben und Wohlbefinden zu bestimmen. Deshalb wünsche ich jedem Paar, das sich noch auf dieser Reise befindet so sehr, dass sie die Kraft aufbringen, ihren Blick nicht alleine auf den Mangel, sondern auf die Fülle in ihrem Leben zu richten.

      Conni und Daniel

      Wir haben uns für medizinische Hilfe entschieden

      Conni und Daniel kenne ich von einem christlichen Gemeinschaftsprojekt, das sie leiten. Beide sind Ende dreißig, sehr besonnen, ruhig, reflektiert, im Glauben weitsichtig und anderen Menschen gegenüber zugewandt. Ihre Geschichte erzählen sie mir mitten in einer brisanten Phase ihres Kinderwunsches.

      Weg zu zweit

      Schon mit Mitte zwanzig setzt Conni sich trotz eines starken Wunsches nach Partnerschaft und Familie mit einer Zukunft als Single auseinander. Gerade als sie Frieden über beide möglichen Wege findet, taucht Daniel auf. Für die beiden besteht von Anfang an kein Zweifel, dass Gott sie zusammengeführt hat, was sie nach eineinhalb Beziehungsjahren vor dem Traualtar bestätigen. Auch Kinder wünschen sich die frisch Vermählten.

      Conni: „Ich wollte immer vier Kinder haben. Durch meine zehn Jahre jüngere Schwester war ich schon früh mit in der Mutterrolle drin. Daniel war mit 14 Jahren bereits Patenonkel und hatte auch immer schon einen super Draht zu Kindern.“

      Nach einem Jahr Zweisamkeit in der Ehe beschließen sie 2011, nicht mehr zu verhüten. Conni ist Anfang dreißig. Dass es vielleicht keine vier Kinder mehr werden könnten, ist ihnen bewusst. Zuerst einmal gehen sie ganz entspannt an die Sache heran. Der steinige Weg, der vor ihnen liegt, ist noch verborgen, sodass sie sich auch nach mehreren Monaten vergeblicher Bemühungen keine großen Gedanken machen.

      Tagebuch Conni, Oktober 2011

       „Gott, ich möchte darauf vertrauen, dass du den Wunsch nach Kindern und Familie in mich gelegt hast, damit er sich irgendwann erfüllt. Wie und wann genau, das weißt nur du. Schenke mir das Vertrauen, dass du auch in dieser Frage einen guten Plan für uns hast.“

      * * *

      Erst als ihre Gynäkologin ihr nach einigen weiteren Monaten dazu rät, lässt Conni sich medizinisch durchchecken, mit dem Ergebnis, dass einer Schwangerschaft ihrerseits nichts im Wege steht. Auch weiterhin gelingt es Conni und Daniel, ohne viel Druck ihren Kinderwunsch zu verfolgen.

      Tagebuch Conni, Oktober 2012

       Ich hab so viel Lust auf was Neues! So gerne hätte ich jetzt auch Kinder, eine eigene Familie. Ich glaube, Daniel und ich hätten auch so viel Spaß daran, mit unseren Kindern unterwegs zu sein, ihnen die Welt zu erklären oder uns unsere Welt von ihnen in Frage stellen zu lassen. Ich bin so gespannt darauf, was Gott mit uns vor hat, wann/ob/wie er uns ein Kind/Kinder schenken wird.

       Eigentlich will ich mir darüber keine Sorgen (mehr) machen. Trotzdem kriege ich manchmal Angst, dass wir ohne Kinder bleiben könnten.

       Ich bekomme Angst, dass diese Vorstellung, dieser Lebensplan „irgendwann mal selbst Kinder zu haben“ zerstört werden könnte. Ich will weiter daran glauben, dass ich „ganz normal“ Kinder


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