IN 80 JAHREN UM DIE WELT. Группа авторов

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saß sie also schon wieder nach Mitternacht im Büro von König Investment. Vor sich eine Tasse Himmelstautee und zwei Pfefferkuchenherzen. Leider wusste Vera immer noch nicht, wie sie die Aufgabe bewältigen sollte. Genauso gut hätte er von ihr verlangen können, Stroh zu Gold zu spinnen. Vielleicht, wenn wieder diese kleinen …

      Frech grinsten die nächtlichen Helfer sie in der rechten Bildschirmecke an. Wieder trug jeder ein Abzeichen, und wieder in den Farben Grün, Rot, Gelb, Weiß und Schwarz.

      »Offenbar haben Sie Probleme. Brauchen Sie Hilfe? Ja. Nein. Diese Meldung nicht wieder anzeigen.«

      Vera nahm einen Schluck Tee und klickte auf Ja.

      Doch dieses Mal erwachten die Männchen nicht zum Leben. Sie hüpften auch nicht auf und ab oder tanzten in wilden Zuckungen über den Schirm oder schickten schrilles Piepen über die Lautsprecher. Sie grinsten nur.

      »Als Gegenleistung für die Hilfe«, zeigte jetzt ein Schriftkasten an, »schließe ich einen lebenslangen Flatratevertrag ab, der bei Geburt des ersten Kindes auf dieses übertragen wird. Bitte hier bestätigen.«

      Die Männchen blickten sie immer noch grinsend an. Vera zögerte, doch schließlich bestätigte sie mit einem Mausklick.

      Dann ging wieder alles ganz schnell. Wie ein Feuerwerk explodierten Farben auf dem Schirm, glühten, verschmolzen, drehten sich in fantastischen Wirbeln. Dazwischen hüpften Zahlen, Formeln und die Männchen.

      Vera blieb nichts übrig, als sich im Bürostuhl zurückzulehnen und den Rest ihres Himmelstautees zu schlürfen. Mit den Gedanken an Jacob Königs hoffentlich verblüfftes Gesicht schlief sie schließlich ein.

      Zur Begrüßung hatten ihr die neuen Kollegen einen Strohblumenstrauß geschenkt. Vera stellte ihn zwischen Bildschirm, Teetasse und Teddybär. »Vera Müller, König Investment«, so prangte es in goldener Schrift auf ihrem Namensschild. Es war geschafft.

      Vera schaltete ihren Büro-PC ein und wartete. Der Bildschirm blieb dunkel. Dauert morgens wohl etwas länger, dachte sie und kochte sich erst mal einen Sommertraumtee. Doch als sie zurückkehrte, hatte sich immer noch nichts getan. Der erste Arbeitstag fing prima an.

      Vera wollte gerade die Neustarttaste betätigen, als sie im Schwarz ihres Bildschirms bekannte Gestalten entdeckte. Langer grauer Bart, zottelige Haare, farbige Abzeichen.

      »Sie haben die erste Rate Ihres lebenslangen Flatrate-Vertrags noch nicht bezahlt«, erschien eine Meldung in den bereits vertrauten geschwungenen Lettern. »Bitte bestätigen Sie die Abbuchungserlaubnis in Höhe eines halben Nettomonatsgehalts.«

      Vera verschluckte sich an ihrem Tee. Ein halbes Monatsgehalt? Das war doch nur Spaß gewesen, die Sache mit den Männchen und der nächtlichen Hilfe.

      »Ihr spinnt ja!«, entfuhr es ihr laut, sodass die Kollegen an den anderen Schreibtischen aufblickten.

      »Du konntest das ja nicht«, krächzte das Männchen mit dem roten Abzeichen. »Nun gib uns, was du versprochen hast«, ergänzte der grüne Kollege. Zum ersten Mal hörte Vera ihre Stimmen. Hastig drehte sie die Lautstärke runter.

      Während die Männchen lässig auf und ab schlenderten, rollten Vera die ersten Tränen übers Gesicht.

      »Okay«, erklang dieses Mal etwas leiser die krächzende Stimme des weißen Männchens. »Drei Stunden wollen wir dir Zeit lassen. Wenn du bis dahin unser Passwort weißt, so sollst du dein Geld behalten.«

      Auf dem Bildschirm erschien eine Eingabemaske. Der Cursor blinkte hämisch.

      Vera König nahm ihren Teddy vom Schreibtisch, kraulte sein dichtes Fell und seufzte. Es konnte Millionen Kombinationen geben. Geburtstagsdaten, Orte, die Namen der Kinder. Plötzlich musste sie an Doktor Heinrich Dammann denken.

      »In Märchen kann man fürs Leben lernen«, hatte ihr Literaturprofessor an der Uni immer gesagt. »Wenn ihr Probleme habt, schlagt einfach bei Grimm nach.«

      Rumpelstilzchen? Konnte das möglich sein? Mit zitternden Fingern tippte sie das Wort in die Eingabemaske. Doch die schüttelte sich nur. »Passwort falsch«, erschien in den vertrauten Lettern auf dem Schirm. Dazu erklang höhnisches Lachen aus den Lautsprechern. Nein, die Lösung musste komplizierter sein.

      Ein Bild tauchte in ihren Gedanken auf. Ihr Sinologieprofessor Doktor Ferdinand Teufel. Eine Vorlesung. Wie war das gewesen? Er hatte über chinesische Soldaten auf dem Gefechtsfeld doziert. Die Soldaten waren zu je fünf Linien gestaffelt und in den drei Heeressäulen gegliedert. Jede der fünf Linien trug ein andersfarbiges Abzeichen, und zwar in den Farben: Grün, Rot, Gelb, Weiß und Schwarz! Die fünf Abzeichen! Die fünf Männchen! Jetzt fiel ihr auch wieder ein, woraus ihr Professor Teufel damals zitiert hatte: aus der Dissertation des berühmten Jörg Weigand über Staat und Militär im altchinesischen Militärtraktat Wei Liao-tzu!

      Vera stellte den Teddy zurück auf den Schreibtisch, trank noch einen Schluck Sommertraumtee und tippte dann das Passwort »Wei Liao-tzu« in die Eingabemaske.

      Der Bildschirm wurde schlagartig babyblau. Die Männchen sprangen auf, schrien, stießen mit dem rechten Fuß vor Zorn in den jetzt aufleuchtenden Desktophintergrund.

      »Das hat dir der Teufel gesagt«, erklangen ein letztes Mal ihre krächzenden Stimmen aus den Lautsprechern. »Das hat dir der Teufel gesagt.«

      Damit hatten sie irgendwie sogar Recht. Der Teufel – und Doktor Jörg Weigand.

      Karl-Ulrich Burgdorf: Jörg Ernst Weigand, etymologisch

      »What’s in a name?«

      – William Shakespeare: Romeo und Julia

      »Le style, c’est l’homme« oder, richtiger zitiert: »Le Style, c’est l’homme même«: Diesen Ausspruch tat der Naturforscher Georges-Louis Leclerc, Comte de Buffon, in der Antrittsrede, die er 1753 unter dem Titel »Discours sur le style« anlässlich seiner Aufnahme in die Académie Française hielt. Übersetzen könnte man das etwa mit »Der Stil eines Menschen ist das Abbild seines Charakters«.

      Wenn das zutrifft (und wer bin ich, es zu bezweifeln?), könnte man dann nicht vielleicht auch den womöglich ebenso zutreffenden Satz »Le nom, c’est l’homme (même)« aufstellen, also »Der Name eines Menschen ist das Abbild seines Charakters«? Die alten Lateiner jedenfalls haben dies getan, denn für sie galt, dass der Name zumindest auf den Charakter eines Menschen oder einer Sache vorausdeutet: »Nomen est omen!«

      Dieser Gedanke kam mir, als ich von Karla Weigand und Rainer Schorm die Einladung erhielt, einen Beitrag zu der hier vorliegenden Festschrift zu verfassen, mit der wir den 80. Geburtstag unseres Freundes und Kollegen Jörg Weigand feiern wollen. Sagt der Name »Jörg Weigand« also womöglich etwas über den Charakter des Jubilars aus, und wenn ja, was? Um das herauszufinden, beschloss ich, Jörg Weigands Namen einer – zugegebenermaßen laienhaften – etymologischen Untersuchung zu unterziehen, und ich möchte Sie herzlich einladen, mich auf dieser kleinen Reise durch Namenskunde und Sprachgeschichte zu begleiten. Schon jetzt kann ich Ihnen versprechen, dass wir dabei Erstaunliches zutage fördern werden.

      Und bevor ich es vergesse: Auch ein zweiter, vielleicht nicht so allgemein bekannter Vorname des Jubilars wird Teil unserer Untersuchung sein; davon später mehr.

      Der Nachname: Weigand

      Just in den Tagen, als die Einladung bei mir eintraf, hatte ich wieder einmal, so wie ich es gerne tue, in Nabil Osmans Kleinem Lexikon untergegangener Wörter geblättert, das bereits 1971 zum ersten Mal erschienen ist und das als Band 487 der Beck'schen Reihe in der 10. Auflage von 1998 in meinem Bücherregal steht. Eine vage Erinnerung trieb mich dazu, dort als Erstes nachzuschauen, und tatsächlich fand ich auf Seite 229 den Eintrag »Weigand, Wiegand – Kämpfer«. Das klang nun außerordentlich spannend, denn ein Kämpfer ist Jörg Weigand in der Tat, und darum begann ich zu exzerpieren, was Nabil Osman an Quellen zur Bedeutung dieses Wortes zusammengetragen hat.

      Johann Christoph Adelung etwa, seines Zeichens Polyhistor und Sprachforscher, schreibt


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