IN 80 JAHREN UM DIE WELT. Группа авторов

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Wissensgebieten, von denen wir hier am Rand des Universums nur träumen können. Er hat einen Katalog mit achtzig Basisdüften erarbeitet; wenn man Nuancen und Abwandlungen dazunimmt, sind es mehrere hundert.«

      »Na schön; das reicht mir zuerst mal. Fangen Sie an.«

      Benguëla begann, mit Löffelchen und Pipetten zu hantieren. Aus den zahlreichen Behältern nahm er jeweils ein paar Tropfen oder Stäubchen, trug sie auf kleine Wattebälle auf und steckte diese mit Hilfe einer Pinzette in die dafür vorgesehene Öffnung der Duftmaske.

      »Nummer drei«, sagte er. »Eins und zwei lasse ich mal weg, die sind zu scheußlich.«

      »Uh«, sagte Carteret schwach. Der Geruch, falls man es so nennen konnte, erinnerte ihn an einen frischen Misthaufen, dessen Dampf sich mit saurem Wein mischte.

      »Was bedeutet der Gestank?«

      Benguëla schnalzte leise. »Wenn Sie das schon als Gestank werten, bin ich gespannt, was Sie zu den Düften elf bis siebzehn sagen. Das hier, Nummer drei, ist bei den Tontons so etwas wie die Aufforderung, sich zu einer kleinen Gruppe zu gesellen.«

      »Hah.«

      »Nummer fünf: Einladung zu einem Ritualtanz.«

      Carteret würgte leise und notierte »verwesende Nachgeburt eines Schafs«. Nummer sechs (gemeinsame Nahrungsaufnahme): »Windel eines kranken Säuglings.« Nummer sieben ließ ihn an Wind denken, der über Apfelblüten streicht – »Gefahr«; Nummer acht, Wolke aus dem Auspuff eines antiken Benzinwagens, war »Willkommensgruß für eine entfernte Sippengruppe«. Erinnerungen: ein Orangenhain in Andalusien; Tigerkot zwischen verrotteten Blättern in einem Dschungel in Assam; der Geifer eines baktrischen Kamels, das sich gegen den Packsattel sträubt; der Schoß einer Frau nach hitzigem Sex; das Zerschneiden einer erlegten Robbe vor einem Iglu; die eigene Achselhöhle nach langem Holzhacken; eine frische Bienenwabe, über der ausgestreckten Zunge der Gespielin ausgewrungen; zwei auf dem Fußboden zerbrochene Flakons in einer Parfümerie in Grasse; der große Maischbottich in einer irischen Brauerei; die von Pumas und einem Kondor zerfetzten Eingeweide eines Guanakos; wie ein Würgegriff an der Kehle der Hauch einer Bittersaline; Teeblätter auf einem Komposthaufen im Herbst; Windstille und Hitze zwischen zwei Dünen in Nordafrika; drei schwarze Rosen neben halbvollen Weingläsern; Tang und Salz in der Abendbrise am Strand von Nuzuarán; der Mund einer Frau nach dem Genuß eines Apfels; Schnee auf Zedern; schwarzer Kaffee und Rauchkringel aus einer karibischen Zigarre; Morgenverkehr im Zentrum von Atenoa mit einer E-Rikscha, in der sich ein Passagier erbrochen hat; Cidre, vergossen auf einem frischgewaschenen Tischtuch unter einem Pflaumenbaum; Kienäpfel und Fichtenzweige in einem Feuer; die Riechspuren eines Mähnenwolfs im Gehege; mürbe Füße und Schuhe dreier Wanderer auf einer Terrasse; Schichten von tierischer Angst und Gestank in einem Schlachthof; Sesam und Lilien; das Grauen der Ausdünstung eines namenlosen Ungeheuers in einer Höhle; eine Gerberei auf einem der Deneb-Planeten; gebratene Lammschulter und Rum; Metall, Plastik und altes Gemüse im Hangar eines Frachtsatelliten; Morgentau, Geißblatt und Flieder nach einer Liebesnacht; der Atem eines sterbenden Greises; ein Hauch von Nerz auf nackter Haut; Gerüche, die Lust oder Schmerz oder Einsamkeit bedeuteten, ohne wirklich Bilder zu liefern; und irgendwann nahm Mungo die Maske ab und stöhnte.

      »Ich kann nicht mehr. Sind das ausnahmslos Mitteilungen? Syntax und Grammatik der Gerüche bei den Tontons?«

      »Es gibt noch mehr.« Benguëla legte Pipetten, Pinzetten und Watte beiseite und verschloß die letzten offenen Phiolen. »Aber immerhin haben Sie jetzt einen Eindruck bekommen. Schön, nicht wahr?«

      »Ich weiß nicht, ob ›schön‹ das richtige Wort ist. Also, die können all diese Geruchsinformationen aufnehmen und verarbeiten?«

      »Und darauf reagieren, ja.«

      »Bis in welche Entfernung riechen die Tontons denn?«

      Benguëla rümpfte die Nase. »Weiß keiner genau, aber je nach Windrichtung und Windstärke mindestens zwanzig bis fünfundzwanzig Kilometer. Warum?«

      Carteret schloß die Augen und rieb sich die Schläfen. »Mir ist da eben ein Gedanke gekommen …« Er öffnete die Augen wieder. »Ziemlich unmöglich, aber man wird sehen. Wie ich gelesen habe, brauchen die Tontons nicht viel Nahrung, oder? Sporen, Pollen, Flatterechsen, was so herumfliegt, dazu die … eure Benetzung, und damit können sie wochenlang auskommen – stimmt das?«

      »Nach allem, was wir wissen, ja.«

      »Die könnten also noch monatelang da stehen und diesen Belagerungsring bilden? Hm.« Mungo griff zu dem Papier, auf dem er Duftnummern und Impressionen notiert hatte. »Also«, sagte er halblaut, »Nummer dreiundzwanzig bedeutet ›unbedingt hierbleiben und auf einen wunderbaren Vorgang warten‹, ja?«

      »So ungefähr.« Benguëla wackelte mit dem Kopf. »Da gibt es unerforschte Nuancen, aber im Prinzip kommt das hin.«

      »Und die Nummer hundertsieben …«

      »›Große Gefahr, fliehen‹? Was ist damit?«

      »O der After einer rosenfressenden Hyäne«, sagte Carteret. »Haben Sie von dem Zeug genug, um größere Mengen Watte zu tränken?«

      Bei einer letzten Besprechung, an der auch einige der Müpfer teilnahmen, sagte einer von ihnen, vielleicht sollte man zusätzlich auch Schwingungen oder Druckwellen bedenken.

      »Wie meinen Sie das?«, sagte Carteret.

      »Könnte doch sein, daß die von Yöröq mit seiner Phantomorgel erzeugten Schallwellen von den Tontons als angenehmer Druck empfunden werden und sie zusätzlich dort festhalten.«

      Mit einer letzten Wasserlieferung übermittelten sie dem Komponisten die schriftliche Bitte, vorübergehend keine Musik zu machen. Als das kleine Fluggerät wieder vor dem Hotel gelandet war, beluden sie es mit Benguëlas Erzeugnissen.

      Dulac übernahm die Fernsteuerung des Schwebers, dessen Kamera alle Vorgänge erfaßte. Sie starrten auf den großen Bildschirm im Büro. Als der Schweber gekippt wurde und die Hälfte der Ladung abwarf, hatte Carteret das Bedürfnis, sich die Nase zuzuhalten, ebenso beim Abwurf der Restladung jenseits des Hügels. Die kleinen Behälter aus dünnem Glas fielen auf den Wall aus Tontons und barsten. Mungo hoffte, daß dabei keines der seltsamen Wesen verletzt würde. Ein paar Echsenvögel flatterten von den Tontons auf, ebenso ein Schwarm von Insekten. Es dauerte nur ein paar Minuten, bis im Wall Unruhe entstand und wellenförmig nach außen lief. Zehn Minuten nach dem Abwurf der ersten Ladung hatte sich an der der Stadt zugewandten Seite des Hügels eine Schneise gebildet, die sich schnell verbreiterte. Tontons zogen in Scharen ab, weg vom Hügel, hinaus in die Steppe, schienen zwischen Gesträuch und Baumgruppen zu versickern,

      »Jetzt können wir sie abholen«, sagte Dulac.

      »Manche Dinge sind dringend«, sagte Pamela, »andere mindestens ebenso.« Sie hatte gründlich geduscht und dabei wahrscheinlich den kompletten Wasservorrat des Hotels verbraucht. Dann war sie, halb abgetrocknet, zu ihm zwischen die Laken geschlüpft, um andere Dringlichkeiten zu erledigen. Mungo fühlte sich angenehm erschöpft und verschwitzt und genoß den Duft der beiden Körper.

      Dann kicherte er. »Du wirst gleich wieder duschen müssen«, sagte er.

      »Noch nicht.« Ihre Hand kroch über seinen Bauch.

      »Hilfe; laß mich ein paar Momente verschnaufen.«

      »Aber nur ein paar Momente. Stiefzwilling – wie bist du bloß darauf gekommen?«

      »Ich habe bei einem bestimmten Duft, den Benguëla hergestellt hat, mit Wonne daran gedacht, wie du nach gründlichem Beilager riechst und schmeckst. Für die Tontons eine unwiderstehliche Verheißung von Nahrung im Überfluß und anderen wunderbaren Dingen. Du hattest da sehr viele napoleonische Verehrer, Marie-Louise.«

      »Warum nennst du mich jetzt so? Und was hat das mit Napoleon zu tun?«

      »Der war neben anderen Dingen auch ein spezieller Geschmäckler. Hat angeblich mal an die Kaiserin geschrieben, er werde


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