Deutsche Geschichte (Band 1-3). Ricarda Huch
Familie, aus welcher der Papst Anaklet hervorging. Der Getaufte durfte Papst sein, ohne daß jemand daran Anstoß genommen hätte; nicht das Blut, nur der Glaube wurde bekämpft. Ebenso wie die Päpste und noch eindeutiger gaben die Hohenstaufenkaiser das Beispiel der Duldung. Friedrich I. erneuerte das Privileg Heinrichs IV. für die Juden in Worms, wodurch sie reichsunmittelbar wurden, und Friedrich II. dehnte es auf alle Juden im Reich aus; doch ist anzunehmen, daß schon sein Großvater es in diesem Sinne auffaßte. Als der alte Kaiser den Kreuzzug beschloß, fürchteten die Juden, in Erinnerung an die früheren Kreuzzüge, Angriffe auf Freiheit und Leben; allein auf dem großen Reichstage zu Mainz, wo die Judenfrage besprochen wurde, trafen Friedrich I. und sein Sohn Heinrich, der spätere Kaiser, Anordnungen zu ihrem Schutze. Mit strengen Strafen wurden alle bedroht, die sich an einem Juden vergreifen sollten; wer einen verwunde, dem sollte die Hand abgehauen werden, wer einen umbringe, sollte umgebracht werden. In einem Privileg Friedrichs für die Regensburger Juden stehen die schönen Worte: »Es ist die Pflicht der kaiserlichen Majestät, vom Recht wird es gebilligt und von der Vernunft gefordert, daß sie jedem unserer Getreuen, nicht nur den Vertretern der christlichen Religion, sondern auch denen, die, von unserem Glauben abweichend, nach den von ihren Vätern überlieferten Gebräuchen leben, das, was ihnen zukommt, nach Maßgabe der Billigkeit erhalten, ihren Gewohnheiten Dauer, ihren Personen und Gütern Frieden gewähren.« Dem Vorwurf, der in dieser Zeit zuweilen gegen die Juden erhoben wurde, als töteten sie christliche Kinder, um sich ihres Blutes bei gewissen religiösen Riten zu bedienen, standen sowohl Päpste wie Kaiser mißtrauisch gegenüber. Sie durchschauten den Vorwand blutgierigen oder leichtgläubigen Pöbels, und es ist bemerkenswert, daß der Papst sich nicht bewegen ließ, den kleinen Werner von Bacharach, der in dieser Weise ums Leben gekommen sein sollte, und dessen Gedächtnis eine in ihren Resten noch immer den Beschauer entzückende Kirche gewidmet wurde, heiligzusprechen. Friedrich II. ließ es sich nicht nehmen, einen Ritualmord, der in Fulda vorgekommen sein sollte, gründlich zu untersuchen. Der Leichnam des angeblich von Juden getöteten Kindes wurde nach Hagenau gebracht, wo der Kaiser sich eben aufhielt. Um die Frage grundsätzlich zu lösen, bat er die Könige Westeuropas, ihm getaufte Juden zu schicken, die des Gesetzes kundig wären, von denen er annahm, daß sie ihn ohne Vorurteil unterrichten würden. Sie wiesen auf die Vorschriften des Talmud hin, wonach den Juden sogar die Befleckung mit Tierblut verboten sei, und lehnten damit die Beschuldigung ab. Daraufhin sprachen die Reichsfürsten auf einem Reichstage zu Augsburg im Jahre 1236 die Juden von Fulda und andere Juden völlig frei; die Urkunde über das Urteil wurde den Juden zugestellt. Ein Jahrzehnt später erklärte Papst Innocenz IV. in einem Sendschreiben die Beschuldigung des Ritualmordes für verleumderisch, für einen Vorwand zu Gelderpressungen, und wies die deutschen Bischöfe an, ungerechte Behandlung der Juden nicht zu dulden. Der klare Äther, der das Hohenstaufentum umflammte, zehrte die Dünste, die sich im Schlamme niedriger, verwilderter Begierden bildeten, auf, so daß sie sich nicht verderbend ausbreiten konnten. Mit seinem Untergang erlosch auch diese Klarheit.
Die Juden und der Wucher
Im zweiten Buch Mosis heißt es: »Wenn du Geld leihst meinem Volke, das arm ist bei dir, sollst du ihm nicht zu Schaden bringen und keinen Wucher auf ihm treiben.« Und im dritten Buche: »Wenn dein Bruder verarmt und neben dir abnimmt, so sollst du ihn aufnehmen als einen Fremdling oder Gast, daß er lebe neben dir. Und sollst nicht Wucher von ihm nehmen noch Übersatz, sondern sollst dich vor deinem Gott fürchten, auf daß dein Bruder neben dir leben könne. Denn du sollst ihm dein Geld nicht auf Wucher tun noch deine Speise auf Übersatz.« Schließlich im fünften Buche Mosis: »Du sollst an deinem Bruder nicht wuchern, weder mit Geld noch mit Speise noch mit allem, damit man wuchern kann.« Mehr aber noch als auf die Stellen im mosaischen Gesetz beriefen sich die Päpste beim Zinsverbot auf den 15. Psalm, der auf die Frage: »Herr, wer wird wohnen in deiner Hütte, und wer wird bleiben auf deinem heiligen Berge?« im letzten Verse antwortet: »Wer sein Geld nicht auf Wucher gibt und nimmt nicht Geschenke über dem Unschuldigen.«
Man weiß, daß alle Völker auf früher Stufe, welche sich noch als eine einzige Familie betrachten, deren Glieder eins für das andere auf Tod und Leben einstehen müssen, den Zins verbieten. Was die Wucherverbote der Bibel auszeichnet gegenüber denen anderer Stämme und Völker ist die stete Beziehung auf die Erhabenheit Gottes, der seinem Volke die Liebe des Bruders als vornehmstes Gebot empfiehlt. Wie alle Lehren und Vorschriften des Buches der Bücher sind auch diese nicht aus der Erfahrung oder der Betrachtung des Nutzens, sondern aus einer übermenschlichen Quelle abgeleitet, die alle in den Zusammenhang einer übermenschlichen Idee bringt und ihnen das Gepräge der Ewigkeit und Allgültigkeit verleiht. Es war nur natürlich, daß die ersten Christengemeinden das Wucherverbot des Alten Testamentes übernahmen und daß sie es in ihrem kleinen Kreise und ihren einfachen Verhältnissen durchführen konnten. Man sah in dem Entlehner einen Bedürftigen, dessen Notlage der bessergestellte Leiher in unsittlicher Weise ausgenützt hätte, wenn er sich etwas über die geliehene Summe oder die geliehenen Lebensmittel hinaus hätte zurückgeben lassen. Von derselben Voraussetzung gingen die Kirchenväter aus; wie die Kirche überhaupt den Schutz der Armen und Schwachen als ihren hauptsächlichen Beruf auffaßte, so wollten sie sie auch in dieser Beziehung vor Ausbeutung bewahren. Als wissenschaftlichen Unterbau des biblischen Gebotes nahmen sie den Grundsatz an, den Aristoteles vertreten hatte, daß das Geld unfruchtbar sei. Als Karl der Große das Zinsverbot aus den Gesetzessammlungen der Päpste in seine Gesetze hinübernahm, waren die Verhältnisse im Reich noch einfach; doch wurden bereits Geldgeschäfte gemacht, und zwar gerade von Seiten der Geistlichen, gegen die das Zinsverbot sich hauptsächlich richtete; erst später wurde es auch auf die Laien bezogen.
Den strengen, von der Kirche festgesetzten Standpunkt durchzuführen war möglich, solange die Christen eine kleine, abseits im Dunkel lebende Sekte waren; es wurde schwieriger im Maße, als das Christentum die herrschende Religion geworden war, als in den Städten Handel und Gewerbe zu blühen anfingen und sich nicht nur mehr Reiche und Arme im privaten Verhältnis gegenüberstanden, sondern Menschen verschiedenster Lebensbedingungen, die um ihre Nahrung kämpften. Trotzdem blieb die Kirche dabei, alles als Wucher zu bezeichnen, was der Gläubiger außer der geliehenen Sache oder dem geliehenen Kapital vom Schuldner empfange. Papst Urban III. erklärte sogar Kaufhandel und Wucher für gleichbedeutend, weil der Kaufmann teurer verkauft, als er eingekauft hat, überhaupt auf Gewinn hofft. Die Strenge der Wuchergesetze wurde nur durch einige Ausnahmen ein wenig gemildert: der Kaufmann sollte die Transportkosten in Anwendung bringen dürfen, und der Gläubiger konnte durch eine Vergütung entschädigt werden, wenn der Termin der Rückgabe des geliehenen Geldes versäumt wurde. Man unterschied das dammum emergens, den entstehenden Schaden, und das lucrum cessans, den entgangenen Gewinn, als Bedingungen einer Entschädigung. Bei vorhergehender Verständigung zwischen Gläubiger und Schuldner ließ sich auf diese Weise das Gesetz bis zu einem gewissen Grade umgehen. Übrigens aber bestand das Zinsverbot, von Friedrich I. und Friedrich II. übernommen, in aller Strenge fort. Laien wurden wegen Wuchers exkommuniziert, ebenso Fürsten, die Wucherer in ihrem Gebiet duldeten, Kleriker, die Wucherer bestatteten, streng bestraft. Da am Ende des 13. Jahrhunderts die päpstlichen Dekretalen in Deutschland Eingang fanden, und da auf den Universitäten zuerst mehr das kanonische als das römische Recht studiert wurde, verbreitete sich die kirchliche Auffassung eher mehr als weniger. Der Sachsenspiegel allerdings, nach dem sich das nördliche Deutschland richtete, kannte das Zinsverbot nicht. Nach altgermanischem Recht mußte der Schuldner dem Gläubiger seine Schuld abdienen; er verfiel entweder auf Zeit oder lebenslänglich in Schuldknechtschaft. Allein die sächsische Rechtsmeinung wurde in den später dem Sachsenspiegel beigefügten Glossen zugunsten der kirchlichen zurückgestellt; auch drang der Schwabenspiegel, der von vornherein das kanonische Recht vertrat, allmählich nach dem Norden vor.
Dem kirchlichen Gesetz standen die Gesetze des wirtschaftlichen Verkehrs mit solcher Gewaltsamkeit entgegen, den Klerus selbst in den Strom hineinreißend, daß, wenn nicht eine Lösung des Widerspruchs, doch ein Ausweg gefunden werden mußte; er fand sich darin, daß die Handhabung der Geldgeschäfte den Juden übertragen wurde, die dem christlichen Gesetz nicht unterstanden. Eine gewisse Neigung und Begabung der Juden für das Geldgeschäft kam dieser Regelung entgegen, die aber, wenn