Miau. Skye MacKinnon

Miau - Skye MacKinnon


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lache auf. „Keine Chance“.

      Nicht unbedingt, weil ich nicht will, ich kann nicht. Aber das werde ich ihm nicht auf die Nase binden. Nie Schwäche zeigen.

      „Wegen dem Halsband da?“, fragt er.

      Meine Gedanken rasen. Wie konnte er das wissen? Niemand weiß davon. Reflexartig greife ich an meine Kehle und prüfe, ob der Schal noch an seinem Platz ist. Er dürfte das Halsband eigentlich nicht sehen.

      „Wie?“ frage ich und weiß, dass er genau versteht, was ich damit meine.

      Er gluckst. „Geschäftsgeheimnis. Also, hier ist der Deal. Ich entferne das Halsband, du startest deine eigene Agentur. Ich werde dir ab und zu Zielpersonen nennen, aber ansonsten bist du unabhängig. Vielleicht gebe ich dir sogar eine Geldspritze für den Start.“

      Am liebsten würde ich den Mund offen stehen lassen und ihn mit tausend Fragen löchern, aber ich halte die neutrale Fassade aufrecht. „Was ist für dich dabei drin?“

      Er lacht erneut. „Ich will schon eine ganze Weile diese Stadt verlassen. Stellen wir uns mal vor, du hättest mich getötet. Das bedeutet Ruhe und Frieden für mich; du kannst mein Haus haben und meine Kontaktliste. Damit solltest du das Geschäft zum Laufen bringen.“

      Vor lauter Verwirrung bin ich gerade nicht die Schnellste im Denken. Er will, dass ich mein eigenes Killergeschäft aufbaue? Er will mir das Halsband abnehmen? Mir sein Haus überlassen? Das ist bestimmt ein Test.

      „Beweis es“, fordere ich ihn heraus. „Zeig mir, dass du mich von diesem Ding hier befreien kannst.“

      Ich reiße mir den Schal herunter und zeige ihm die bronzene Manschette um meinen Hals. Ich habe mich daran gewöhnt, wie eng sie ist, beim Schlucken werde ich schmerzlich daran erinnert. Die paar Mal, die ich sie nicht umhatte, weil mir während des Wachsens fast jedes Jahr eine neue angepasst werden musste, fühlte ich mich fast nackt ohne sie. Sie war ein Teil von mir geworden. Wir haben sie doch alle. Jeder in der Meute.

      „Da muss ich aber näher herankommen“ meint er. „Und ein bisschen mehr Licht könnte auch nicht schaden.“ Bevor ich etwas antworten kann, hat er auf den Lichtschalter gedrückt und die Lampe über mir flackert auf. Es ist eine Energiesparlampe, die einen Moment braucht, bis sie ihre ganze Leuchtkraft entfaltet. Ich bin dankbar dafür, das schont meine Augen.

      Endlich sehe ich meine Zielperson. Er ist überraschend groß gewachsen, trägt einen schwarzen Zylinder auf seinem weißen Haar. Ein gut gepflegter Bart verdeckt sein eckiges Kinn, lenkt aber nicht von den tiefen Narben ab, die sich an beiden Wangenknochen entlangziehen. Ohne die würde er wie ein Gentleman aussehen, vielleicht ein Akademiker, der die meiste Zeit seines Lebens hinter einem Schreibtisch verbringt, umgeben von Büchern. Die Narben erzählen eine andere Geschichte.

      „Wer bist du?“ frage ich noch einmal, bevor mir trotz aller Verwirrung ein Verdacht kommt. „Du hast mich doch nicht etwa selbst beauftragt, dich umzubringen, nur um mich herzulocken?“

      „Gut“, sagt er nur und kommt auf mich zu. Ich wehre mich mit aller Macht gegen den Drang, zurückzuweichen und wegzulaufen, bleibe also wie angewurzelt stehen. Manchmal bin ich neugieriger, als mir guttut. Jemanden, der so gefährlich ist wie mein Gegenüber so dicht an mich herankommen zu lassen, ist nie eine gute Idee. Aber da stehe ich also, bewege mich nicht, während er seine rechte Hand zu meinem Nacken bewegt und die linke in seiner Jackentasche verschwindet.

      Neugier war der Katze Tod. Das würden sie auf meinen Grabstein schreiben, wenn sich jemand die Mühe machen würde, mich überhaupt zu begraben. Was eher unwahrscheinlich ist. Ich würde wohl eher als Leiche in einem Fluss oder in einem der großen städtischen Müllcontainer enden. Ein würdiges Ende für ein Leben, das hauptsächlich aus Töten und Stehlen bestanden hat.

      Ich ziehe den Hemdkragen aus dem Weg, während er sanft über das Band streicht. „Die haben sich etwas weiterentwickelt, seit ich zum letzten Mal eines gesehen habe, ist aber trotzdem ganz einfach. Halt still, das dauert nicht lange.“

      Er schließt die Augen. Dies wäre der ideale Moment, ihn ins Jenseits zu befördern. Das zu tun, was man mir aufgetragen hat, und dann nach Hause zu gehen, zu frühstücken und ein Nickerchen zu machen.

      Aber nein, ich bin blöd und neugierig. Wenn der mich tatsächlich von dem Ring befreien kann, der mein ganzes bisheriges Leben bestimmt hat, ist es das Risiko wert. Andere vor mir haben schon versucht, das Band loszuwerden. Alle ohne Erfolg. Weiß auch nicht, warum ich diesem Mann überhaupt glaube. Wahrscheinlich doch nur ein Trick. Ich bin doch schon auf seinen anderen reingefallen. Beim ersten Mal war’s ja noch Zufall, ein Moment der Gedankenlosigkeit, das zweite Mal ist es einfach nur Dummheit und Leichtsinn.

      Na ja, ich habe nie behauptet, dass ich besonders clever bin.

      „Es wird sich jeden Moment öffnen“, murmelt der Mann. „Bereite dich drauf vor, das kann einen überwältigen.“

      Er gibt mir keine Zeit, mich darauf einzustellen. Der Ring springt mit einem merkwürdig knirschenden Geräusch auf und ich ziehe die Luft tief ein und taumele nach hinten. Mein Herz schlägt immer schneller und ich merke, wie sich die Haare auf meiner Haut aufstellen. Ein Knurren steigt aus meiner Kehle.

      „Ganz sachte“, sagt der Mann beruhigend. „Du kannst das unter Kontrolle bringen. Du bist stark“.

      Mir treten Tränen in die Augen, als der Schmerz durch meine Fingerspitzen jagt. Ich muss gar nicht hinschauen um zu wissen, dass meine Krallen durch die Haut gebrochen sind. Meine Augen zucken, jedes Mal, wenn ich sie schließe, ändern sich die Farben des Zimmers und wechseln zwischen dem hellen Raum und verschwommenen verwaschenen Gestalten. Als ob ein Maler mit einem Schwamm über sein Werk wischt und dabei einen Teil der Farben aufsaugt und die klaren Linien unkenntlich macht.

      „Du hast die Kontrolle.“

      Meine Ohrmuscheln drehen sich der Stimme des Mannes entgegen. Er ist jetzt lauter zu hören, ich kann Nuancen in seinem Tonfall erkennen, die vorher nicht da waren.

      Erinnerungen überfluten mich. Ich habe das schon einmal erlebt. Vor langer Zeit. Bevor man mir den Ring umgelegt hat. Ich bin durch langes Gras gelaufen, so viele Gerüche, das Geräusch von Insekten so laut wie das von Straßenverkehr. Meine Pfoten weich auf dem Boden, meine Krallen …

      Kontrolle. Ich atme wieder tief ein und konzentriere mich auf diesen Gedanken. Kontrolle. Nicht das Tier. Nicht an das Tier denken, das in meinem Innern schlummert.

      Langsam ziehen sich die Krallen zurück, mein Herzschlag normalisiert sich. Es dauert noch eine weitere Minute, bis auch mein Sehvermögen wiederhergestellt ist, aber ich behalte die ganze Zeit den alten Mann im Blick, der sich wieder in die Ecke zurückgezogen hat und mich beobachtet.

      „Die haben eine gute Wahl getroffen, als sie dich heute Nacht hierher geschickt haben“, sagt er, als ich bereit bin. „Du hast genug Kontrolle darüber und kommst klar damit. Du hättest gar kein Halsband gebraucht. Die hätten das schon längst entfernen sollen. Na ja, deren Verlust ist mein Gewinn. Also lass uns übers Geschäft reden.“

      „Geschäft?“, frage ich mit trockenem Mund. Ich fühle mich so merkwürdig. Ein bisschen schwach, wie kurz bevor man krank wird und nicht so recht weiß, was los ist und man nicht sagen kann, warum man sich nicht so toll fühlt. Ich befühle mit der Hand meinen Hals. An der Stelle, wo das Halsband gesessen hat, ist die Haut weich und empfindlich. Mit schwacher Geste stelle ich meinen Hemdkragen hoch und lege mir wieder den Schal um. Und denke daran, dass ich den Mann besser warnen sollte.

      „Vielleicht solltest du das besser an dich nehmen“ sage ich und werfe ihm eine winzige Ampulle zu, die ich in einer meiner vielen Hemdtaschen versteckt hatte.

      Er fängt sie ohne Mühe und betrachtet sie neugierig. „Was ist das?“

      „Ein Gegenmittel für das Gift, das ich dir verabreicht habe“. Ich grinse ihn an. „Sorry, ich wusste ja nicht, ob du mir wirklich das Band abnehmen würdest oder was Schlimmes ausheckst“.

      Er zieht die Augenbrauen in die Höhe.


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