Miau. Skye MacKinnon
nicht kommen sehen. Bin beeindruckt. Bist anscheinend doch schlauer, als du aussiehst.“
Er zieht den Korken aus dem Fläschchen und trinkt den Inhalt. Ich bin überrascht, dass er mir vertraut und nicht denkt, dass ich ihn vergiften will. Nun ja, das habe ich ja schon getan, aber es hätte ja auch zweimal passieren können.
Er verzieht das Gesicht. „Nächstes Mal tu ein bisschen Zimt mit rein. Das verbessert den Nachgeschmack.“
Ich schaue ihn ausdruckslos an. „Ich werde darüber nachdenken.“
„Im Keller gibt’s ein Labor. Im Büro wirst du einen Ordner mit allen nötigen Tastencodes finden, die du hier im Haus für die wichtigen Räume brauchst.“
Er beantwortet meinen fragenden Blick.
„Für das Waffenlager, das erwähnte Labor, den Fitnessraum und den Leichenraum.“
Diesmal kann ich mir nicht helfen und frage nach Luft schnappend „Ein Leichenraum? Hier im Haus?“
Er schaut mich merkwürdig an.
„Klar doch. Hat dein jetziger Auftraggeber etwa keinen?“
Ich schüttele den Kopf. „Wir entsorgen die Leichen oder lassen sie einfach liegen“.
Er schnalzt mit der Zunge. „Solch eine Verschwendung. Man kann so viel über den Tod lernen, wenn man sich die Leichen näher anschaut. Und man weiß ja nie, wann man vielleicht eine wohl platzierte Leiche gebrauchen kann, um jemandem eine Botschaft zu schicken.“
Irgendwie ist das schon logisch, aber gleichzeitig – will ich in einem Haus über einer Leichenhalle wohnen? Dann fällt mir wieder ein: Ich bin Auftragskiller. Das Einzige, was mir keine Angst einjagt, ist der Tod. Es gibt auf der Welt einiges, was viel schlimmer ist als der Tod an sich.
„Ich glaube nicht, dass mein derzeitiger Auftraggeber“ – ich betone das Wort, weil ich Boris eigentlich nie so bezeichnen würde – „mich einfach so gehen lässt. Er hat in mich investiert, hat mich ausgebildet. Der wird es kaum hinnehmen, dass ich weggehe und meine eigene Agentur gründe.“
„Mach dir darüber keine Gedanken“, sagt der Mann ungerührt. „Der wird dir nicht in die Quere kommen. Was du überlegen musst ist, wen du einstellen willst. Ich habe viele Aufträge für dich, die kannst du unmöglich alle allein erledigen. Du kannst klein anfangen, aber ab einem gewissen Punkt wirst du ähnlich viele Angestellte haben wie dein jetziger Manager.“
Auftraggeber, Manager – verwendet er das als Phrasen oder denkt er wirklich, dass das so läuft? Sklaventreiber wäre ein treffenderer Ausdruck. Besitzer. Wir haben uns schließlich nie um diesen Job beworben. Es gibt dafür auch kein Gehalt. Will dieser Mann, dass ich die Dinge wie Boris erledige oder doch anders mache?
„Du findest alles was du brauchst im Büro, einschließlich deines ersten Falls. Du kannst dir die Dinge einteilen, wie du willst, aber meine einzige Bedingung ist, dass meine Aufträge immer Vorrang vor allen anderen haben. Im Gegenzug bekommst du das Haus, ein bisschen Bargeld und natürlich ein Leben ohne Halsband. Bist du einverstanden?“
Da muss ich nicht zweimal drüber nachdenken. Nicht, dass ich mit allem wirklich einverstanden wäre, was er verspricht. Ich erwarte auch gar nicht, dass er seine Versprechen hält. Aber nein, ich bin gut darin, Leute zu hintergehen. Ich bin sehr gut. Und egal, was er glaubt über mich zu wissen, das einzige, was ich wirklich gut kann, ist, auf mich selbst aufzupassen.
Kapitel 1
6 MONATE SPÄTER
Er riecht nach Angstschweiß. Ich schlage die Beine übereinander, die Füße auf dem Schreibtisch, hinter dem ich Platz genommen habe. An dem ich mich rumfläze, wäre der bessere Ausdruck. Schlamm tropft von den Sohlen meiner Stiefel. Ich muss das später sauber machen; aber jetzt unterstützt es erst mal das knallharte Image, das ich mir geben will. Mit mir ist nicht zu spaßen. Mir sind Regeln, Konventionen und Kleiderordnungen egal. Während der Mann auf der anderen Seite des Schreibtischs einen makellosen Anzug trägt, sitze ich da in meinen Leder-Leggings und einer Tunika. Leggings, weil die mich nicht am Kämpfen oder Dächer-Springen hindern und eine Tunika, weil sie länger ist als ein normales Hemd und man folglich mehr Platz hat für versteckte Taschen. Alles in schwarz, selbstredend. Blutflecke sind verdammt schwer aus Kleidungsstücken rauszukriegen. Ich bin nun mal praktisch veranlagt.
Mein Haar ist unter der schwarzen Kappe verborgen, die ich neuerdings immer trage. Ich bin der Meinung, sie gibt mir das mysteriöse Etwas, obwohl Lily ständig nervt, ich soll das Ding abnehmen. Das Mädchen hat einfach keinen Sinn dafür, wie wichtig es ist, mit seinem Outfit eine Botschaft zu senden. Leg dich nicht mit mir an – das soll meine Kleidung ausdrücken. Besonders die schlammverschmierten Stiefel auf dem Schreibtisch.
Der Mann räuspert sich.
„Sie wurden mir sehr empfohlen“, sagt er zögerlich, als sei er sich nicht ganz sicher, ob er jetzt sprechen darf.
Ich ziehe die Augenbrauen hoch. „Wer hat mich empfohlen?“
Er reißt die Augen auf. Wie das Kaninchen vor der Schlange. Er hat Angst, aber nicht nur vor mir.
„Kontakte“, sagt er ausweichend. „Ich bin bereit zu zahlen, was Sie verlangen.“
Sofort steigen die Preise auf meiner Liste um das Zehnfache. Ich liebe reiche Klienten. Sie wollen selten wissen, was ich Leuten mit weniger Geld berechne.
„Was genau wollen Sie von mir?“ frage ich und sehe ihn mir genauer an. Er sieht nicht wie jemand aus, der normalerweise mit Killern umgeht. Er sieht eher wie ein Bürohengst aus, der über Dinge aus der Schattenwelt höchstens in der Zeitung liest.
„Mein Bruder wurde getötet. Ich möchte, dass Sie herausfinden, wer das getan hat.“
Nun richte ich mich doch ein wenig auf. „Da sind Sie hier aber an der falschen Adresse, Mister“ sage ich mit leicht verächtlicher Stimme. „Ich suche keine Mörder. Ich beauftrage sie.“
Er zuckt sichtlich zusammen. „Sobald Sie den Mörder meines Bruders gefunden haben, können Sie den Kerl gerne umbringen.“
Ich spitze die Lippen. Das ist ungewöhnlich. Das ist doch tatsächlich mal etwas Neues. Ich mache den Job jetzt seit einem halben Jahr, und das sehr erfolgreich, aber bisher hat mich niemand darum gebeten, einen Mörder zu finden.
„Und was, wenn einer meiner Leute Ihren Bruder umgebracht hat?“ frage ich, nehme jetzt doch die Füße vom Tisch und sehe in meinen Akten nach. „Wie heißt er?“
„Ich glaube nicht, dass es ein Profikiller war“, murmelt er und sieht mir nicht in die Augen. „Es schien nicht geplant zu sein und war sehr brutal.“ Er schüttelt sich etwas. „Da war sehr viel Blut.“
Interessant. Er hat Recht, hört sich nicht nach einem Profi an. Es gehört zu unserem Berufsethos, den Tatort möglichst sauber zu hinterlassen. Wir wollen es der Polizei doch nicht zu leicht machen.
„Wie heißt er?“ frage ich noch einmal.
„Winston Kindler. Krämerstraße 14B. Er hatte da einen Süßwarenladen.“
Süßigkeiten? Vielleicht sollte ich diesen Fall selbst übernehmen. Klingt vielversprechend.
Ich blättere durch meine Karteikarten, bin mir aber schon sicher, da keinen Kindler zu finden. Auch wenn ich nicht jeden Job selbst erledige, habe ich doch immer mit allen Kunden direkt zu tun. Und ich erinnere mich an die Namen unserer Zielpersonen.
„Was macht die Polizei?“ frage ich abwesend.
„Nichts“, sagt er, und der Ärger ist hörbar. „Die glauben, es war ein Überfall, aber seine Brieftasche war noch da. Die Kasse war leer, aber der Safe völlig intakt. Es war noch früh am Tag, also wären sowieso kaum Einnahmen da gewesen. Ergibt überhaupt keinen Sinn.“