Der letzte Schluck Corona. Nina Schindler
nun mal keinen Zucker.
Aber jede Menge Aufmerksamkeit.
Halt dich zurück, Henny! Sonst gibt es ein Debakel.
Markus steht auf, klopft an sein Glas. Er will eine Rede halten, kommt aber nach wenigen Sätze ins Stocken. Wie früher, wenn er im germanistischen Seminar vor sich hin stotterte. Alle Augenpaare richten sich auf Markus, das Geburtstagskind.
Ich habe mir Perdita angesehen, wie sie strahlte. Ab und zu lächelte sie Henny verschmitzt an. Welchen Härtegrad hatte dieses Lächeln? Wollte sie etwas weglächeln? In diesem Augenblick ahnte ich, der Abend wird böse enden.
Markus setzt noch einmal an und spricht von der kleinen Überraschung heute Abend: Perdita und ich, wir waren vor drei Wochen auf dem Standesamt. Dieser Markus, wer hätte ihm das zugetraut? So eine tolle Frau als Freundin, ja, ok. Kann mal passieren, aber gleich heiraten? Dieser Markus, mit seiner halbgaren Unikarriere, hat es wenigstens bis zum Mittelbauern geschafft, während Henny die Leiter ganz nach oben gefallen ist, un barone, wie man in Italien sagt. Er soll im Rennen um das Rektorat an der Gießener Uni sein. Ganz aussichtsreich sogar.
Hat er ja geschickt angestellt, zum Geburtstag einladen, um dann mit seiner Neuerwerbung zu protzen. Das war ein herber Schlag für Henny. Der hat gesessen. Konnte ich an seinem Gesicht ablesen. Der kleine Mittelbauer zeigt dem großen Boss: Schau her, ich kann mir so ein … ach, das wollte ich ja nicht sagen.
Sag es ruhig, Magrit, wenn es dir Spaß macht.
Markus hat halt Glück gehabt. Schon bei der Feier zum 30-Jährigen ließ er durchblicken, dass er zu haben ist.
Du musst es wissen, hast ja lange genug mit ihm herumpoussiert.
Da war nix, und wenn schon … Du hättest auf jeden Fall nicht diese Frage stellen dürfen?
Welche Frage?
Ha, die Frage, wo und bei wem Perdita studiert hat.
Was war schon dabei?
Das brachte den Stein ins Rollen. Man muss doch nur eins und eins zusammenrechnen.
Und erhält einen flotten Dreier. Du meinst …
Genau das. Gleicher Studienort, gleiche Fakultät. Gleiche Spezialgebiete. Sie war nicht nur seine Studentin. Wie die beiden sich angestarrt haben, ich dachte, da explodiert bald ...
›Der Gott des Gemetzels …‹
Was?
›Die Zimmerschlacht.‹
Was hat das jetzt …
Wer hat Angst von Virginia Woolf?
Ach so.
Wenn ich euch ins Nebenzimmer bitten darf, sagt Markus und macht die Schiebetür auf. Wir schauen uns verdutzt an, really puzzled, wie mein Freund Trevor aus York immer sagt. Auf dem Tisch stehen Flaschen, die in Silberpapier eingewickelt sind. In der Mitte eine große Glasschale. Wir machen zur Feier des Tages ein Craft-Bier-Tasting, verkündet Markus und weist uns die Plätze an.
In Bier ist doch Zucker drin, sagt Elfie.
Halt dich zurück, fährt Henny sie an. Scheint kein leichtes Leben mit so einem Stinktier zu sein. Magrit, was hast du nur für ein Glück mit mir.
Markus beginnt mit einem kleinen Vortrag: Bier ist nämlich nicht gleich Bier, es ist eine Delikatesse. Craft-Biere zeichnen sich durch vielfältige Aromen aus. Die Brauer verwenden ausgesuchte Rohstoffe und kombinieren diese, bis ein einzigartiger Geschmack entsteht. Dadurch werden unzählige Kreationen und sogar neue Bierstile geschaffen.
Und dann sagt Markus: Wir probieren gleich mal die erste Runde. Die Schale in der Mitte dient dazu, den Probeschluck wieder abzugeben, sonst werden wir zu schnell betrunken.
Henny grätscht dazwischen: Aus Weingläsern? So machen es die Kenner, erwidert Markus.
Markus ist in seinem Element und doziert ausgiebig. Jedes Bier-Tasting beginnt mit dem Äußeren des Bieres: Wir beachten die Farbe, die Blume, und gehen dann langsam zum Geruch und Geschmack über.
Unser erstes Bier trägt den schönen Namen: Sissy. Spielt übrigens nicht nur auf die österreichische Kaiserin an, sondern Sissy heißt im Englischen Memme, Feigling.
Du Klugscheißer, geht Henny dazwischen, als ob wir das nicht wüssten.
Markus fragt uns, wonach dieses Indian Pale Ale schmeckt. Und er beantwortet die Frage selbst: Dieses Bier hat Noten von Mandarine, Grapefruit, einen Anflug von Vanille und Himbeeren in der Nase sowie eine massive Bitterkeit und eine Schippe Rauch im Geschmack.
Geht’s noch, Markus, wo hast du denn diesen gequirlten Quatsch aufgeschnappt? Sissy ist süffig! Mehr interessiert mich nicht. Ich nehme gleich noch eine Füllung. Von wegen ausspucken. Er schnappt sich die Flasche …
Igitt, unterbricht ihn Elfie. Eine Schippe Rauch im Geschmack, da kann ich mir ja gleich eine Kohlenmonoxid-Vergiftung verpassen.
Hast du noch mehr solcher Juwelen, fragt Henny, der auch den Rest der Flasche in sein Glas gießt. Er gökst vernehmlich, und lässt den Rülpser in ein lautstarkes Prost übergehen.
Perdita lacht und wieder strahlt sie Henny an. Das war nicht nur ein One-Night-Stand, die beiden hatten in Gießen eine Amour fou. Komisch, dass Elfie das gar nicht schnallt. Aber sie ist mit ihrem Zuckerdebakel beschäftigt.
Gibt’s noch was zu trinken, fragt Henny, oder war’s das schon? Markus läutet die nächste Runde ein. Ein Basalt Bock, hat 7,7% Umdrehungen, aufgepasst …
Schmeckt bestimmt nach Basalt, zischt Elfie.
Richtig, Frau Professor, sagt Markus. War ja wohl nicht so schwer, fährt Henny dazwischen. Perdita, was meinst du zu diesem erhellenden Abend über die dunkle Seite des Bieres?
Perdita lacht, lässt die Frage aber unbeantwortet.
Markus erklärt, was die anderen schmecken sollen. Basalt Bock gehört zu den Steinbieren. Einheimische Basaltsteine werden auf 800 °C erhitzt und in den Sud gelassen. An den heißen Steinen karamellisiert der Malzzucker und bildet eine feine …
Zucker, hab ich doch gesagt. Gibt’s hier keinen Wein? Elfie findet kein Gehör.
Henny trinkt noch einen Schluck und noch einen und sagt dann, das Basalt-Bier würde nach Laternenpfahl ganz unten schmecken. Wie bitte, kontert Markus ziemlich laut. Schmeckt nach Hund, was meinst du Perdita?
Markus hat sich sehr viel Mühe gemacht, uns einen besonderen Abend zu bereiten. Jetzt lass ihm doch die Freude.
Angelesener Quark, zischt Henny.
Gibt es auch ein Bier ohne Zucker, will Elfie wissen.
Kommen wir zur nächsten Runde, sagt Markus und lässt sich von den Zwischenrufern nicht aus dem Takt bringen. Neben dem Geruch und Geschmack des Bieres ist auch der Bierschaum, also Volumen, Stabilität und Größe der Luftbläschen ein Beurteilungskriterium. Deswegen muss beim Einschenken das Glas schräg gehalten werden.
Das sind ja Neuigkeiten, Markus, du überraschst uns immer wieder. Ich hätte die Flasche senkrecht ins Glas ausgeleert. Was für ein Bier gibt’s denn in der dritten Runde? Oder ist schon jemand k. o.? War das nicht der Titel eines Boxerromans »K. o. in der dritten Runde«? Wer war noch der Autor? Dieser Mörder aus Wien. Jack Unterweger. Den kennt ihr nicht, oder? Der Professor in seinem Element, wenn er anderen seine Überlegenheit beweisen kann, dann gib ihm, aber feste.
Wart’s nur ab, Henny, mal sehen, ob du dieses Bier überstehst, sagt Markus mit einem breiten Grinsen. Das hier nennt sich Imperial Coffee Chocolate Cream Stout. Aha, sagt Henny, der schon leichte Schlagseite hat, jetzt kommt der Nachtisch. 9,3%, fügt Markus an.
Abgefahren, sagt Elfie. Schmeckt nach Kaffee und Chocolate, das rieche ich ohne einen Schluck nehmen zu müssen.
Es ist ein starkes, schweres, schwarzes Stout mit der würzigen Noten von Arabica-Bohnen und mit einer sanften Schokoladigkeit aus peruanischen Kakaonibs. Diese Aromen