Der letzte Schluck Corona. Nina Schindler

Der letzte Schluck Corona - Nina Schindler


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brüllte er. Sofort erschien ein junger Mann an der großen Eingangstür und eilte auf ihn zu. Er hatte abstehende Ohren. Wie kleine Propeller.

      »Zur Stelle, Herr Kommissar.«

      »Mich interessiert als Antwort jetzt nur ein lautes ›Ja!‹ Verstanden?«

      Der Kriminalassistent blickte unsicher zu seinem Vorgesetzten.

      »Also, Flick. Haben wir schon den Täter?«

      Die Röte im sommersprossigen Gesicht von Kriminalassistent Phileas Flick nahm zu. »Leider nein … also, äh, kein Ja, Herr Kommissar.« Er tippte auf sein Tablet.

      »Aber ich konnte bereits ein paar wertvolle Details ermitteln.«

      »Sie hatten auch über eine Stunde Zeit«, bellte sein Gegenüber. »Also, Zusammenfassung. Von Anfang an! Und das hopp, hopp.« Assistent Flick wischte zitternd über sein Tablet.

      »Name des Toten, Andreas Wuggler. Alter 37. Ledig. Seit drei Jahren in der Firma.

      Funktion in der Brauerei: CICDO.«

      Der Ermittlungsleiter stierte ihn verständnislos an.

      »Äh, das ist eine Abkürzung, Herr Kommissar, und heißt Chief Innovation and Culture Design Officer.«

      »Und das bedeutet …?«

      »Äh …«, die rote Färbung im Gesicht des jungen Assistenten wurde noch stärker. »Das … äh … weiß ich leider nicht. Äh, noch nicht. Aber ich werde dem selbstverständlich umgehend …« Der Kommissar wies mit barscher Geste zur Leiche. »Und wer hat den toten … Chiefdingsda gefunden?«

      Immerhin das konnte der Kriminalassistent beantworten. Und zwar in allen Details. Eifer kroch in seine Stimme. »Ein Herr Schromm, Adalbert. Seit 49 Jahren und fünf Monaten im Betrieb. Steht kurz vor der Pensionierung. Herr Schromm begann hier schon als Lehrling, war dann über Jahrzehnte Bierausfahrer. Jetzt bekleidet er den Posten eines Hausmeisters. Ich habe ihn schon herbestellt. Er wartet draußen auf Sie, neben dem Eingang zur Halle 4.«

      »Sonstige Zeugen?«

      »Bis jetzt noch keine, Herr Kommissar.«

      Wäre auch zu schön gewesen!, dachte Schaum. Fange ich halt mit diesem Schromm an. Und dann mit Fragen sich durch die Belegschaft ackern. Die übliche Tour eben.

      »Flick, Sie warten hier, bis die Spurensicherung fertig ist. Alles genauestens absuchen! Dann lassen Sie den Toten in die Gerichtsmedizin bringen. Und das hopp, hopp! Verstanden?«

      »Jawohl, Herr Kommissar.«

      Adalbert Schromm war um einiges älter als er, trug dichtes weißes Haar. Der steht also kurz vor der Pensionierung, dachte Gustav Schaum. Und wann war er selbst soweit? In einer halben Ewigkeit! Er hatte vor einigen Jahren die Leitung der Mordermittlung übernommen. Er hatte sich nicht danach gedrängt. Es war halt kein anderer da. Immerhin gab es höhere Zulagen und auch sonst mehr Kohle auf dem Konto. Zu irgendetwas musste die Rackerei ja gut sein.

      »Guten Tag. Ich bin Kommissar Gustav Schaum. Ich leite die Ermittlungen.« Die Vorstellung klang wie ein drohendes Bellen. Der alte Mann reichte ihm dennoch freundlich die Hand. Er hatte um 6:00 Uhr seine erste Runde über das Gelände gemacht, wie immer. Da sei ihm die halb geöffnete Tür aufgefallen. Er habe nachgeschaut und dabei den Toten entdeckt.

      »Im Bottich. Oder wie nennt ihr dieses Metallding? Kessel? Fass?«

      »Sagen Sie, wie Sie möchten, Herr Kommissar. Dann passt es schon.«

      Der Polizist wechselte wieder zu bellendem Tonfall.

      »Ich nehme an, Sie kannten Herrn Andreas Wuggler gut. Immerhin sind Sie schon seit fast 50 Jahren in diesem Betrieb.«

      »André.«

      Der Kommissar verstand nicht. »Was meinen Sie?«

      »André. Er wollte von allen André genannt werden.«

      »Aha. Und warum?«

      Der Hausmeister zuckte mit den Schultern. »Dazu können Ihnen sicher andere aus unserem Betrieb mehr erzählen.«

      »Ist Ihnen sonst etwas heute Morgen aufgefallen? Haben Sie jemanden in der Nähe gesehen?« Der Weißhaarige schüttelte den Kopf.

      »Gut, Herr Schromm, das war’s fürs erste.« Jetzt anschnauzen, beschloss er, damit der Kerl weiß, mit wem er es zu tun hat. »Sie rühren sich nicht von der Stelle, halten sich gefälligst zu unserer Verfügung.« Er machte auf den Absätzen seiner neuen Schuhe kehrt und stapfte davon. Der alte Mann blickte ihm lange nach.

      Gustav Schaum schnaubte. Der Mann würde keine große Hilfe sein. Wahrscheinlich hatte der alte Hausmeister auch gar keine Ahnung, was hier im Betrieb vor sich ging. Schaum stoppte, sah sich um. Gleich hinter den modern gestylten Hallen waren noch die Reste alter Gemäuer zu erkennen. Wenn er sich recht erinnerte, war diese Brauerei über Jahrhunderte Teil einer Benediktinerabtei gewesen. Der Name ›Kronenbronn‹ prangte auch jetzt noch auf den Etiketten der Flaschen. Seit die alte Klosterbrauerei vor einigen Jahren von einem internationalen Konzern übernommen worden war, hatte man das Angebot verändert. Jetzt wurden hier Biere mit exotischen Geschmacksrichtungen angeboten. Irgendwas mit Früchten oder Gewürzen. Er trabte weiter, folgte dem großen Hinweisschild mit dem Schriftzug ›Direktion. Verwaltung. Kaufmännische Leitung.‹ Die Fragerei war noch mühsamer, als erwartet. Es gelang ihm zwar, einige Hinweise zu bekommen. Von manchen der Befragten wurde er richtiggehend überschüttet mit angeblich immens wichtigen Beobachtungen. Das Blöde war nur: Es passte nichts zusammen. Totaler Widerspruch. Also eine Qual. Wie immer. Doch dann, ein Lichtblick. Der Lichtblick war knapp einen Meter sechzig groß, trug ein schlicht geblümtes Kleid, hatte graue Haare und saß in der Buchhaltung. Hannelore Bibler las er auf dem Namensschild. Frau Bibler war schon an die vierzig Jahre im Betrieb, würde demnächst in Rente gehen. »Ja, das mit André stimmt, Herr Kommissar. Herr Wuggler hat gleich bei seinem Einstieg in unseren Betrieb das vorgefertigte Schild mit ›Andreas‹ abmontieren und ersetzen lassen. Jetzt stand da ›André Wuggler. CICIDO‹.«

      So ganz hatte ihm das bisher noch keiner erklären können, welcher Sinn sich hinter diesem Buchstabegewirr verbarg. Zumindest niemand von den älteren Mitarbeitern. Und die jungen, die seit der Übernahme durch den Crallbeken Konzern hier offenbar das Sagen hatten, waren derzeit fast alle auf einem viertägigen Get-together-Meeting. Herr Wuggler kümmerte sich um die Kreation neuer Biersorten. So viel hatte er zumindest verstanden. Und um die Strategie, wie man die neuen Sorten am gewinnbringendsten bezeichnete, bewarb und vertrieb.

      »Er ließ es sich also lieber André nennen, unser Herr Wuggler. Besonders auch von den Damen.«

      Von den Damen? Hatte er da eben einen spöttischen Klang in Frau Biblers Stimme wahrgenommen? Er war sich nicht sicher.

      »Hatte Herr Wuggler eine besondere Beziehung zur Damenwelt? Auch innerhalb des Betriebes?«

      Sie strahlte ihn mit einem Ausdruck reinster Unschuld an.

      »Viele werden Ihnen gewiss bestätigen, dass Herr Wuggler durch sein Auftreten auf Damen schon eine gewisse Wirkung erzielte. Er war ein ›Charmeur‹, werden Sie hören.« Ihre Augen begannen zu funkeln. Die Miene vermittelte immer noch die reinste Unschuld. »Würden Sie allerdings mich fragen, Herr Kommissar, und wäre ich ein Lästermaul, dann würde ich sagen: Er war ein schamloser Weiberer und hinter jedem Rockzipfel her. Auch in diesem Betrieb, von unserem Lehrmädchen im ersten Ausbildungsjahr bis zur Frau des Chefs.«

      Gustav Schaum stutzte. »Des Chefs? Sie meinen Betriebsleiter Roland Drexel?«

      »CEO, Herr Kommissar, Chief Executive Officer. Ja, den meine ich. Er ist zurzeit ebenfalls beim Get-together-Meeting in der Hauptzentrale.«

      »Zusammen mit seiner Frau?«

      »Frau Polina Drexel ist nicht mitgefahren. Sie blieb hier. Sie ist unsere Marketingchefin.«

      »Kann ich Frau Drexel sprechen? Ist sie heute im Betrieb?«

      »Das


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