Schlangengift - Roland Benito-Krimi 7. Inger Gammelgaard Madsen

Schlangengift - Roland Benito-Krimi 7 - Inger Gammelgaard Madsen


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wandte den Blick von seiner Tochter ab und ließ ihn wieder über das Meer mit dem diesigen Vulkankegel gleiten. Er musste zugeben, dass er diesen Urlaub mehr als nötig hatte. Irgendwie hatte er das Gefühl, seinem unsteten dänischen Alltag entflohen zu sein. Obwohl man ihn in Wirklichkeit abgeschrieben hatte. Suspendiert.

      „Um ganz ehrlich zu sein, ich weiß es noch nicht, Olivia“, antwortete er.

      „Glaubst du wirklich, du wirst entlassen?“

      Er zuckte die Schultern, aber nicht gleichgültig, beinahe hilflos.

      „Ja, aber du hast doch nichts falsch gemacht, Papa. Okay, du hast vielleicht nicht wie ein Polizist gehandelt, aber wie ein Mensch. Das ist doch viel mehr wert! Guck dir nur Mama an, die …“

      „Doch, mein Schatz. Ich habe etwas falsch gemacht. Sehr falsch, und wenn das für die Gerichte ein Präzedenzfall wird, ja, dann muss ich mich von meinem Job verabschieden.“

      „Das ist so unfair!“, fand Olivia und legte eine Hand sanft auf seinen Arm. „Mama ist viel glücklicher, sie ist nicht mehr so abhängig von dem Rollstuhl. Ihr könnt jetzt bei Zia Giovanna wohnen, obwohl es da viele Treppen gibt, weil Mama am Geländer hochlaufen kann.“

      Roland nickte bloß und entfernte mit einem leichten Streichen seines Daumens den Milchschaum von Olivias Oberlippe. Sie wischte sofort mit der Serviette nach.

      „Ist er weg?“

      „Ja, ist weg. Du hast Recht, Mama geht es viel besser, aber trotzdem war das, was wir getan haben, illegal, besonders ich als Gesetzeshüter. Aber lass uns jetzt nicht mehr darüber reden. Magst du noch Kuchen haben?“

      Olivia schüttelte den Kopf und warf einen betrübten Blick auf eine Frau, die mit zwei kleinen Kindern vorbeiging, an jeder Hand eins, ein Junge und ein Mädchen. Er folgte ihrem Blick.

      „Läuft es gut mit den Zwillingen?“, fragte er und hoffte, dass sie bald mit der Sprache herausrücken würde. Er war sich sicher, dass sie ihn nicht wegen eines gemütlichen familiären Beisammenseins um ein Treffen gebeten hatte.

      „Ja, es läuft gut. Sehen sie etwa nicht aus, als ginge es ihnen gut?“

      Sie schaute ihn fragend an und er konnte nicht anders als zu lächeln.

      „Doch, doch. Man kann sicher lange suchen, bis man behütetere Kinder findet.“

      „Was meinst du damit?“

      „Olivia, ich kann dir ansehen, dass irgendetwas nicht stimmt. Darüber wolltest du mit mir reden, oder?“

      Sie drehte den Löffel, der auf der Untertasse lag. Die Sonne reflektierte in seinem blanken Stahl. Lange schwieg sie und sah ihn nicht an.

      „Es ist etwas mit Giuseppe …“, sagte sie leise.

      Er war kurz davor auszurufen ‚Ich wusste es!‘, ließ es aber, da es alles zerstören würde.

      „Ich weiß, was du denkst, Papa, und es ist nicht, wie du glaubst. Giuseppe hat nur gerade einen Fall, der ihm sehr nahe geht … er will mir nichts darüber erzählen, aber ich habe das Gefühl, er wird bedroht.“

      „Bedroht? Inwiefern? Sein Leben?“

      Olivia nickte, schüttelte dann aber sofort den Kopf.

      „Nein, ich weiß es nicht. Ich habe bloß gehört, wie er eines Abends telefoniert hat, als ich ihm eine Tasse Kaffee ins Arbeitszimmer bringen wollte. Er arbeitet so viel und oft spät. Ich habe gehört, wie er sagte, er lasse sich nicht einschüchtern und der andere solle mit seinen Drohungen aufhören … dann hat er mich in der Tür bemerkt und sofort aufgelegt. Aber ich konnte in seinen Augen sehen, dass etwas nicht stimmte. Er hatte Angst, Papa, und das erschreckt mich. Ich weiß nicht, was ich tun soll.“

      „Hast du mit ihm darüber gesprochen?“

      „Natürlich. Normalerweise haben wir keine Geheimnisse voreinander, aber er sagte bloß, ich solle mir deswegen keine Sorgen machen.“

      „Vielleicht hast du es missverstanden. Kann es nicht um irgendetwas anderes gehen?“

      „Es ist ja nicht das erste Mal, dass etwas Merkwürdiges vor sich geht. Wir werden auch von einem Auto verfolgt. Einem glänzenden schwarzen Audi, aber Giuseppe versucht so zu tun, als wäre nichts. Ich habe ihn gefragt, ob er weiß, wer das ist, aber er sagt, das sei niemand, den er kenne, und es müsse ein Zufall sein.“

      „Und du glaubst, das hat etwas mit einem seiner Gerichtsverfahren zu tun?“

      Olivia nickte ernst. Eine leichte Meeresbrise ergriff ihre langen, dunklen Haare.

      „Weißt du, worum es in diesem Fall geht?“

      „Nein, er darf ja nicht viel darüber sagen, daher …“

      Roland wagte es nicht, das Wort auszusprechen, das ihm auf der Zunge lag, aber falls es stimmte, dass Giuseppe etwas mit denen zu tun hatte, könnten Olivias Zwillinge in Gefahr sein. Das Misstrauen gegen seinen Schwiegersohn wuchs.

      „Aber was soll ich deiner Meinung nach tun, Olivia?“

      Sie lehnte sich zurück und klopfte sich resignierend auf die Oberschenkel.

      „Ich weiß es nicht, Papa. Vielleicht musste ich einfach mit jemandem darüber reden, vielleicht, weil du Polizist bist und dich mit so was auskennst, und …“ Olivia schwieg und biss sich auf die Unterlippe.

      „Und was?“

      Sie schüttelte den Kopf, als ob sie sich weigerte, ihm mehr zu erzählen, dann atmete sie tief ein und ihre Stimme klang beinahe weinerlich, als sie fortfuhr.

      „Ich habe das Auto hier in Neapel gesehen. Die sind uns aus Rom gefolgt.“

      „Bist du sicher, Olivia?“

      „Ganz sicher! Ich kann das Kennzeichen auswendig. Es ist dasselbe Auto. Was macht es hier? Wir sind im Urlaub, verdammt noch mal!“

      „Olivia …“ Er griff nach ihrer Hand, aber sie zog sie zurück, trank schnell den Rest des Cappuccinos und stand auf.

      „Ich bin gleich mit Giuseppe verabredet. Jetzt, da Mama und Zia Giovanna auf Rinaldo und Gabriella aufpassen, haben wir verabredet, uns ein bisschen die Stadt anzugucken und ein gemütliches Lokal zum Abendessen zu finden. Mit zwei kleinen Kindern sind wir selten allein. Danke für den Kaffee und den Kuchen, Papa.“

      „Ach, gebe ich einen aus?“ Er lächelte scherzhaft. „Aber, Olivia …“

      Sie lächelte auch, aber angestrengt, und er spürte, dass sie wie immer vor ihm flüchtete, wenn er zu nah drankam. Sie hängte sich den Riemen der Tasche über die Schulter.

      „Du darfst Giuseppe nicht sagen, dass ich mit dir über das hier gesprochen habe. Ja?“

      „Aber er muss …“

      „Versprichst du das, Papa?“

      „Ja, natürlich, Olivia, aber …“

      Sie winkte schnell mit den Fingern; dann war sie weg. Roland blieb mit einer wachsenden inneren Unruhe zurück, die ihn einen Whiskey beim Kellner bestellen ließ, der gerade vorbeikam und Olivias leere Tasse und ihren Teller abräumte. Er hatte gerade ein Glas Jack Daniels serviert bekommen, als sich ein sonnengebräunter älterer Herr mit schneeweißem, getrimmtem Vollbart und ebenso weißen gut frisierten Haaren, die von einer Sonnenbrille zurückgehalten wurden, auf den Stuhl setzte, auf dem Olivia gesessen hatte. Der Mann trug ein kurzärmliges marineblaues Poloshirt und weiße Bermudashorts, die wie die aussahen, die Roland anhatte.

      „Entschuldigung, ich konnte nicht umhin zu hören, dass Sie dänisch gesprochen haben“, sagte er.

      Roland nahm sofort eine distanzierte Körperhaltung ein. Er mochte Touristen nicht, die sich als die besten Freunde ihrer Landsleute fühlten, bloß weil sie in der großen, weiten Welt zufällig am gleichen Urlaubsort gelandet waren.

      „Es


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