Schlangengift - Roland Benito-Krimi 7. Inger Gammelgaard Madsen

Schlangengift - Roland Benito-Krimi 7 - Inger Gammelgaard Madsen


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gelangen und sich dort weiter vermehren.“

      Anne erschauderte bei dem Gedanken. Freddy wusste, wovon er sprach. Sie hatte ihn zum ersten Mal getroffen, als sie gerade als Journalistin beim Tageblatt angefangen hatte. Es hatte sich um eine hitzige Debatte gehandelt, ob man Kriechtiere in Wohnungen halten dürfe, nachdem ein ungefährlicher Gecko in einem Treppenhaus in der Innenstadt entwischt war und Panik ausgelöst hatte. Freddy war im Lokalfernsehen gewesen, um in der Debatte seine Expertenmeinung abzugeben, und Anne hatte ihn anschließend interviewt. Freddy war nicht dagegen, Reptilien in Gefangenschaft zu halten. Anne schaute sich wieder um.

      „Wer wohnt in dem Haus da? Sieht ein bisschen verwahrlost aus.“

      Freddy schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht, aber du kannst ja einen der Nachbarn fragen, die müssen das doch wissen.“

      Er zeigte in Richtung der Personen, die Anne vom Weg aus hatte sehen können. Sie standen in angemessenem Abstand zu den Spinnweben. Die Gesichter der Frauen waren erstarrt, während die Augen zweier Jungen vor Begeisterung leuchteten. Eine der Frauen, sicher die Mutter, hatte dem einen Jungen die Hand auf die Schulter gelegt, als wollte sie ihn daran hindern, hinzulaufen und in die Seidenfäden zu trampeln.

      Anne ging zu ihnen hin.

      „Seltsamer Anblick, nicht?“

      Sie nickten schweigend. Anne schätzte, dass sie von den umliegenden Höfen kamen. Sie sahen wie Landwirte aus. Die Kleidung des Mannes roch nach Kuh, die Stiefel waren voller Mist.

      „Ja, die Jungs haben diese merkwürdigen Spinnweben gefunden und sind heimgerannt, um mir davon zu erzählen. Zum Glück haben sie sie nicht angefasst“, meinte eine der Frauen.

      „Sie wissen also, was das ist?“

      „Ja, das hat dieser Biologe erzählt, den sie geschickt haben“, sagte der Mann und machte Anstalten, die Stelle verlassen zu wollen.

      „Wer hat ihn geschickt?“

      „Ich habe beim Naturgeschichtlichen Museum angerufen. Die soll man doch kontaktieren, wenn man Wölfe sieht, daher dachte ich …“, antwortete die Frau.

      „Haben Sie nicht mit der Polizei gesprochen?“

      „Nein, was sollten die tun? Die kommen ja nicht mal, wenn bei uns eingebrochen wird“, entgegnete der Mann trocken und ging davon. Die Frau und einer der Jungen folgten ihm.

      „Wer wohnt in dem Haus da drüben?“, fragte Anne die Frau, die zusammen mit dem anderen Jungen zurückgeblieben war. Sie schaute hinüber, man erahnte gerade so den Giebel über den Bäumen, dann schüttelte sie missbilligend den Kopf.

      „Komischer Typ! Ich habe ihn nur ein Mal gesehen, als er zu uns gekommen ist, um Eier zu kaufen. Mein Mann hat sie ihm herausgesucht. Er sah genauso verwahrlost aus wie das Haus. Frührentner, habe ich gehört.“

      „Ein alter Mann?“

      „Nein, er sah ziemlich jung aus. Manchmal kriegt er Besuch von ein paar ebenso seltsamen Typen wie er selbst. Lange Haare. Ungepflegt. Manche sagen, die gehören zu einer Sekte, aber es ist nicht sicher, ob das stimmt.“

      Anne lächelte. Sie wusste genau, dass in diesen kleinen Dörfern schnell etwas zusammenfabuliert wurde.

      „Das ist also niemand, mit dem Sie sonst Kontakt haben?“

      „Nein, und er ist auch nur das eine Mal gekommen, um Eier zu kaufen. Aber das war schon seltsam, sagte mein Mann …“

      „War das der, der nur warme Eier haben wollte?“, unterbrach der Junge, der ihrem Gespräch neugierig mit offenem Mund gefolgt war.

      „Ja, der war sehr schwierig. Die Eier durften nicht zu groß sein und hätten am besten noch direkt aus dem Huhn gezogen werden sollen, um frisch genug zu sein. Er hat fünf frisch gelegte bekommen, die er in eine Thermoskanne gelegt hat, damit er sie warmhalten konnte, bis er zu Hause war. So weit ist das doch auch nicht.“ Verständnislos schüttelte sie den Kopf.

      „Er mag wohl einfach frische Eier“, schlug Anne vor.

      „Vielleicht. Aber er ist nie wiedergekommen, also waren die sicher trotzdem nicht frisch genug.“ Die Frau nahm den Jungen an der Hand und zog ihn mit sich. Anne rief ihnen ein Danke nach und schaute wieder auf das Haus.

      „Hast du etwas herausgefunden?“, fragte Freddy, der einige Proben der Spinnweben eingesammelt hatte und dabei war, zusammenzupacken.

      „Nicht besonders viel, aber irgendjemand muss ja diesen Typen warnen, dass giftige Spinnen in seinem Garten sind.“

      „Was ist mit dem Sägewerk?“

      „Mit denen spreche ich auch gleich. Wenn die Tierchen mit ihrem Holz hergekommen sind, muss etwas getan werden. Sollte die Polizei nicht Bescheid wissen?“ Es überraschte sie selbst, dass sie so darauf aus war, sie zu informieren. Der Bauer hatte sicher Recht damit, dass sie keine Zeit hatten, sich um so etwas wie Spinnen zu kümmern, aber mit der Schwarzen Witwe war trotz allem nicht zu spaßen.

      „Doch, aber lass uns erst ein bisschen mehr herausfinden, bevor wir sie hinzuziehen, ja?“

      „Okay.“ Anne nickte widerwillig. Sie hatte das Gefühl, dass Freddy hauptsächlich an die Spinnen dachte. Für einen Biologen war es eine große Sache, dass Schwarze Witwen nach Dänemark gekommen waren. Vielleicht eine noch größere, als dass der Wolf in die dänische Natur zurückgekehrt war. Sobald die Polizei Bescheid bekäme, wäre sicher das Erste, was sie tun würde, dafür zu sorgen, diese lebensgefährlichen unwillkommenen Spinnentiere auszurotten. Sie verabschiedete sich von ihm und versprach, sich zu melden, wenn sie mehr herausgefunden hatte.

      Im Sägewerk brachen die meisten gerade in den Feierabend auf.

      Anne hielt einen Mann an, der im Begriff war, sich in sein Auto zu setzen. „Der Direktor ist nach Hause gefahren“, teilte er kurz mit, als sie darum bat, mit dem Verantwortlichen sprechen zu dürfen.

      „Kann ich weiterhelfen?“, fragte er leicht und freundlich, als ob er das oft sagte. Sie schätzte, er war Verkäufer.

      „Bekommen Sie Holz aus dem Ausland? Aus Südamerika oder Australien zum Beispiel?“

      Der Mann warf seine Jacke auf den Rücksitz und lächelte beinahe erleichtert über diese einfache Frage.

      „Nein, damit kann ich Ihnen leider nicht dienen. Wir verarbeiten nur Nadelholz. Dänisches Holz.“

      „Okay, und an wen verkaufen Sie?“

      „Holzhändler und Baumärkte. Die Holzindustrie. Aber sagen Sie mal, wer sind Sie eigentlich?“

      „Entschuldigung, ich habe mich nicht vorgestellt. Anne Larsen. Ich bin Journalistin. In der Nähe des Sägewerks wurden giftige Spinnen gefunden, daher dachte ich, Sie könnten vielleicht verantwortlich sein.“

      Einen Augenblick lang sah der Mann beleidigt aus, dann runzelte er besorgt die Stirn.

      „Was für Spinnen?“

      „Leider die Schwarze Witwe.“

      Die Art, wie er offensichtlich schauderte, brachte sie auf den Gedanken, dass er wohl unter Arachnophobie litt.

      „Die können unmöglich von hier kommen. Sind die in unserem Holz?“ Er warf einen erschrockenen Blick auf die Holzstapel, die den Großteil der Umgebung füllten.

      „Ich weiß nicht, ob die auch hier sind, aber direkt hinter dem Sägewerk sind massenweise Spinnen. Ein Biologe ist sich ganz sicher, dass es die Schwarze Witwe ist.“

      Er schluckte sichtlich, setzte sich hinters Steuer und zog die Füße heran, ohne die Autotür zu schließen.

      „Ich muss meine Kinder aus dem Kindergarten abholen, daher kann ich nicht wirklich …“ Er sah auf seine Uhr und war blass geworden. „Ich kontaktiere unseren Direktor, sobald ich die Möglichkeit habe.“ Er fummelte mit den Schlüsseln und schaute zu ihr hoch. „Kommt das in die Zeitung? Das wäre für unser Unternehmen nicht sehr


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