Schlangengift - Roland Benito-Krimi 7. Inger Gammelgaard Madsen

Schlangengift - Roland Benito-Krimi 7 - Inger Gammelgaard Madsen


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konnte auch nicht umhin zu hören, dass Sie Polizist sind. Aus welcher Stadt kommen Sie?“, fuhr er höflich fort.

      Roland überlegte, wie viel der Mann wohl von dem Gespräch mit seiner Tochter gehört hatte. Eigentlich hatten sie nicht besonders laut geredet. Wo hatte er gesessen? Direkt hinter ihnen?

      „Aarhus“, antwortete er ein wenig abweisend.

      „Aarhus ist eine schöne Stadt“, lächelte der Mann. „Ich wohne auf Seeland. In Rødovre. Aber meine gesamte Familie stammt vom Festland. Nordjütland.“

      Roland nickte gleichgültig, richtete seinen Blick wieder auf den Vesuv und versuchte die Unruhe zu dämpfen, die Olivias Geständnis in ihm ausgelöst hatte. Er nippte an dem Whiskey.

      „Sie sind wohl im Urlaub? Oder sind Sie ein Einheimischer? Sie sehen nicht dänisch aus.“

      Roland zwang seinen Blick hinüber auf den neugierigen Herrn und war kurz davor, ihn zu bitten, sich herauszuhalten und seine Zeit jemand anderem zu widmen, aber etwas in den Augen des Mannes änderte seine Meinung. Trauer erkannte er immer wieder. Sie lag tief in den Augen derer, die einen Verlust erlitten hatten und vermissten. In diesen Augen lag auch noch etwas anderes – ein Flehen um Hilfe.

      „Ich bin hier in Neapel geboren. Tatsächlich nicht weit von hier.“

      „Darf ich fragen, warum in aller Welt Sie aus dieser exotischen Großstadt nach Aarhus gezogen sind?“

      Roland zögerte.

      „Das war nicht freiwillig. Meine Mutter ist mit mir nach Dänemark geflohen, sie hatte eine Schwester, die dort wohnte. Ich war damals erst vier …“

      „Geflohen, sagen Sie?“

      „Mein Vater war Carabiniere. Er wurde ermordet, und …“ Er stoppte sich selbst und der andere nickte, als verstünde er.

      „Wohnt Ihre Mutter denn wieder hier in Neapel?“

      „Nein, sie ist vor vielen Jahren in Dänemark gestorben. Aber der Großteil meiner Familie wohnt hier.“

      Er leerte das Whiskeyglas und hatte Lust, einen weiteren zu bestellen. Seine Gedanken kreisten um das Gespräch mit Olivia. Sein Blick fiel auf ein Polizeiauto, das auf der anderen Straßenseite mit dem Meer und dem Vulkan im Hintergrund parkte. Ein weiteres taubenblaues Auto mit Polizia auf der Seite hielt an der Ecke der Via Palepoli. Man bemerkte sie fast gar nicht in dem Stadtbild, aber sie waren hier überall. Zur Stelle. Wachsam. Dennoch fühlten sich die Neapolitaner nie ganz sicher.

      Plötzlich streckte der Mann die Hand über den Tisch.

      „Ich heiße Asger Brink. Pensionierter Uhrmacher.“

      Roland drückte die Hand, die schlank und sehnig war.

      „Rolando Benito“, erwiderte er und wunderte sich darüber, dass er völlig natürlich seinen Geburtsnamen verwendete, mit dem ihn nur Freunde und Familie ansprachen. Vielleicht, weil er in Urlaub war und das Polizeipräsidium in Aarhus, wo ihn alle Roland nannten, so weit weg war. Vielleicht für immer weg.

      „Ich entschuldige mich noch mal, wenn ich Sie nerve, Rolando Benito, aber als ich hörte, dass Sie dänischer Polizist sind, hatte ich das Gefühl, es müsste beinahe Schicksal sein, und ich sollte versuchen … vielleicht können Sie mir helfen.“

      „Womit?“, fragte Roland weiter beunruhigt.

      Asger Brink hielt den Kellner an, der gerade vorbeikam, und bat ebenfalls um einen Whiskey. Roland nickte, als ihn der fragende Blick des Kellners traf. Es waren nur zirka fünfzehn Minuten Fußweg zu Giovannas Wohnung in der Via Monte di Dio, wo sie während ihres Aufenthaltes wohnten, auch wenn es dort eng war. Ihren Antiquitätenladen in der Via Chiaia hatte sie längst geschlossen und war seitdem Rentnerin. Sie habe nichts anderes zu tun, als sie zu bedienen, hatte sie beteuert. Aber bei ihr wohnte auch Opa Pippino. Nonno Pippino, wie sie ihn nannten. Er weigerte sich strikt, bisnonno genannt zu werden, obwohl er schon Uropa war. Er fand, das klang alt. Nach dem plötzlichen Tod seiner Frau vor ein paar Jahren hatte er allein in dem Haus gewohnt, in dem Rolands Vater und Giovanna geboren wurden, in der Via Calastro an den Bahngleisen, circa dreizehn Kilometer südlich von Neapel, in Torre Del Greco. Aber nun hatte es Zwischenfälle gegeben, die zeigten, dass der Großvater nicht mehr allein zurechtkam. Giovanna wollte nicht, dass er in ein Pflegeheim kam. Er selbst bestimmt auch nicht. Aber es musste trotzdem nicht ganz leicht sein, ihn dort wohnen zu haben. Er brauchte eine Menge Pflege, Hilfe auf den Treppen, um in die Bar zu kommen und mit den anderen Alten zu reden, und es gab Phasen, in denen er in einer ganz anderen Zeit lebte und glaubte, dass Il Duce an der Macht wäre.

      „Ich bin seit ein paar Tagen hier in Neapel. Ich suche meine Tochter. War das Ihre Tochter, mit der Sie gerade gesprochen haben? Ich konnte eine Ähnlichkeit sehen.“

      Roland nickte verständnislos.

      „Elisabeth, oder Beth, wie wir sie meistens nennen, ist zum Tauchen hergekommen. Sie ist eine hervorragende Taucherin, aber seitdem sie am Elefantenfelsen bei Ischia war, hat niemand mehr etwas von ihr gesehen oder gehört.“

      Die Sorge in den Augen des Mannes flehte ihn um Hilfe an.

      „Warum gehen Sie nicht hier in Neapel zur Polizei?“

      „Da war ich tatsächlich schon, aber ich kann kein Italienisch, nur ein bisschen Englisch, daher kam dabei nicht besonders viel rum.“

      „Haben Sie es in der Botschaft probiert?“

      „Auch da. Dort habe ich angerufen. Sie sagen, dass hier in Neapel viele junge Frauen verschwinden, in der Regel aber wieder heimkommen, wenn die Romanze vorbei ist. Aber so ist meine Beth nicht, ich spüre, dass ihr etwas zugestoßen ist.“

      „Haben sie das in der Botschaft wirklich gesagt?“

      Er nickte.

      „War sie ganz allein unterwegs?“

      Asger Brink lächelte, aber nur kurz.

      „Beth ist sehr selbstständig. Sie macht alles allein, so war sie schon immer – auch als Kind schon. Deswegen hat sie auch nie geheiratet, weil sie nicht an einer Beziehung interessiert ist. Tauchen ist ihre einzige Leidenschaft.“

      „Hat hier in Neapel niemand mit ihr gesprochen?“

      „Vielleicht, aber wie soll ich die finden?“

      „Das Hotel, in dem sie gewohnt hat? Die Tauchbasis?“

      „Aus dem Hotel hatte sie gerade ausgecheckt. Aber die Tauchbasis …“

      „Wie alt ist Elisabeth?“

      „Ach, eigentlich erwachsen.“ Asger lächelte fast verlegen. „Sie ist letzten Monat 35 geworden. Die Reise war ein Geburtstagsgeschenk, an dem ich mich beteiligt hatte. Sie müsste auf sich selbst aufpassen können, aber ich weiß, dass etwas passiert sein muss, weil ich sie nicht auf ihrem Handy erreiche und sie nicht zurückruft. Ich spüre es. Ich habe mehrere Nachrichten hinterlassen. Ihre Mutter ist auch unruhig. Ja, tatsächlich ist sie so krank geworden, dass sie Beruhigungstabletten bekommt und nur noch passiv in einem Sessel sitzt und darauf wartet, dass ich Elisabeth finde. Das ist furchtbar anzusehen, ich musste etwas tun. Sie ist unser einziges Kind und meine Frau war nie sonderlich stark …“

      „Wenn sie nicht mehr im Hotel wohnt, muss sie doch irgendwo anders hingegangen sein.“

      Der Kellner kam mit ihrem Whiskey und Asger Brink bezahlte.

      „Ja, und das ist ja das Merkwürdige. Warum hat sie es mir nicht erzählt, wenn sie weiterreist?“

      Roland atmete den Whiskeyduft ein und betrachtete den Tropfen, der das Glas hinunterlief.

      „Ich verstehe nicht ganz, was ich Ihrer Meinung nach tun soll“, sagte er und ihm fiel auf, dass er diese Worte zum zweiten Mal innerhalb von ein paar Stunden sagte.

      „Vielleicht können Sie auch nicht helfen, aber ich dachte … wenn Sie nun mit der Polizei hier in Neapel sprechen könnten.


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