Der letzte Tanz im Paradies. Jürgen Petschull

Der letzte Tanz im Paradies - Jürgen Petschull


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      »Wie heißt denn diese neue Schneckenart eigentlich? Ich kann den Namen nicht mehr lesen, weil du so viel gestrichen hast.«

      Zur Übung murmelt Johan Cesar Godeffroy zwei lateinische Worte ein paarmal tonlos vor sich hin, dann sagt er, jede Silbe betonend:

      »Chromodoris Godeffroyana.«

      »Das ist aber ein sehr schöner Name für eine Nacktschnecke«, erwidert Emily Godeffroy, »Schnecken sind ausgesprochen fleißige und nützliche Tiere. Solche Eigenschaften passen doch zu dir.« Der junge Herr Kleine habe das sicher nicht bösartig gemeint.

      »Das ist doch ein besonders netter und amüsanter junger Mann. Bei unserem Neujahrsempfang in Blankenese sind die Damen jedenfalls ganz hingerissen gewesen von seinem Charme und von der Begeisterung, mit der er von seinen Plänen berichtet hat.«

      »Ja, ja, ein Liebling der Damen ist unser Sebastian Kleine ja bekanntermaßen, ein Frauenheld, ein Herzensbrecher.« Godeffroy putzt sich umständlich die Nase.

      »Wo hält sich der Herr Kleine denn zurzeit eigentlich auf?«, fragt seine Frau.

      »Irgendwo im Urwald von Neupommern, im Bismarckarchipel, in Deutsch-Neuguinea also. Nach den letzten Nachrichten, die wir von ihm haben, ist er von einer Missionsstation aus in das noch unerforschte Landesinnere aufgebrochen.« Dort solle Kleine auch versuchen, für den verehrten Professor Virchow und dessen anthropologische Forschungen Totenschädel eines tropischen Steinzeitstammes zu beschaffen, der erst unlängst entdeckt worden sei.

      »Ich hoffe jedenfalls sehr«, sagt Godeffroy, »dass wir bald einen Expeditionsbericht für unser Museumsjournal bekommen. Solche Abenteuergeschichten interessieren die Leute ja ganz außerordentlich.«

      Mut habe er und intelligent sei er auch, der Herr Sebastian Kleine, deshalb habe er ihm und seinem Generalbevollmächtigten Theobald Kolber einen für die Firma ungemein bedeutsamen und nicht ungefährlichen Auftrag anvertraut.

      »Was für einen Auftrag?« Fragend sieht Emily Godeffroy ihren Mann an. Doch der weicht ihrem Blick aus. Godeffroy blickt angestrengt aus dem großen Sprossenfenster, hinter dem jetzt eine Gaslaterne aufflammt und ihr Licht von der Straße in den Kontorraum wirft. Der Schein fällt auf ein paar Dutzend Ölgemälde, die Rahmen an Rahmen die Wände füllen und allesamt stolze Windjammer auf den Meeren der Welt abbilden: Drei- und Viermaster mit geblähten Segeln und flatternden Flaggen am Heck, die einen goldenen Falken auf rotem Hintergrund zeigen, das Wappentier der Reederei Johan Cesar Godeffroy & Sohn.

      »Hier, lies das doch mal, das ist wenigstens ein erfreulicher Beitrag«, sagt Godeffroy schließlich. Er reicht seiner Frau ein Exemplar der Times of London, das wie zufällig auf der grünen Lederplatte seines Mahagonischreibtisches gelegen hat.

      Auf der dritten Seite ist ein Artikel mit einem Lesezeichen markiert. »Germany’s King of the South Seas« lautet die Überschrift. Daneben ist ein kleines Foto des deutschen Südseekönigs abgebildet: ein Mann Mitte bis Ende fünfzig, mit dunklem Jackett, aus dessen unmodischem Revers ein steifer Hemdkragen drängt, der von einer dunklen Fliege zusammengehalten wird. Ein schmaler Mund, eine markante Nase und dunkle Augenbrauen geben dem Gesicht eine kräftige Strenge. Durch dicke Brillengläser blicken zusammengekniffene Augen den Betrachter missmutig an.

      »Du hättest ruhig ein bisschen lächeln können.«

      »Der Fotograf hat fast eine Stunde für das Bild gebraucht, immerzu ist das Blitzlichtpulver zu früh losgegangen, dabei ist mir das Lächeln gründlich vergangen.«

      Emily Godeffroy liest aufmerksam den Bericht der berühmten Londoner Zeitung.

      »Johan Cesar Godeffroy«, so heißt es da, »ist einer der reichsten und mächtigsten Männer der Hansestadt Hamburg und des ganzen deutschen Reiches. Ihm gehören Stahl- und Kupferwerke, er besitzt Werften, Bankbeteiligungen und internationale Aktienpakete. Aber anders als die deutschen Industriemagnaten Krupp oder Thyssen ist dieser hanseatische Großunternehmer obendrein noch der größte Handelsreeder Europas: Man nennt Godeffroy auch den ›Deutschen König der Südsee‹, weil er mit einer Flotte von mehr als 40 großen Frachtseglern das Im- und Exportgeschäft mit den Inseln des Pazifik beherrscht.« Wie man höre, wolle Godeffroy nun auch noch groß in das Diamantengeschäft einsteigen.

      Mister Godeffroy, so schreibt die Times weiter, hätte sich überdies als Mäzen der Wissenschaft großes Ansehen erworben. »Für sein Hamburger Ozeanien-Museum haben von ihm angestellte Naturforscher und Sammler bereits Tausende von exotischen Ausstellungsstücken zusammengetragen, präparierte Pflanzen und Tiere, Masken und Kultgegenstände, ja sogar Skelette und Schädel pazifischer Ureinwohner.« Und als Verleger gebe Godeffroy eine aufwendige populärwissenschaftliche Zeitschrift heraus, das Journal des Museums Godeffroy. Eine Publikation, die seinen Ruhm mehren werde.

      »Trägt dieser Artikel nicht ein bisschen arg dick auf?«

      Emily Godeffroy betrachtet ihren Mann so aufmerksam, als habe sie ihn längere Zeit nicht gesehen. Der wirkt hinter seinem mächtigen Schreibtisch kleiner, als er ist, und er misst gerade mal 1,72 Meter. Sein schüttereres Haar hat er streng gescheitelt und in dünnen Strähnen von links nach rechts über den Schädel gekämmt. »Deutschlands König der Südsee«, so befindet Emily Godeffroy, stellen sich die Leser der Times vermutlich eindrucksvoller vor. Aus der Nähe betrachtet wirkt ihr Mann eher wie sein eigener Buchhalter – die Ärmelschoner, die er stets bei der Schreibtischarbeit überstreift, verstärken diesen Eindruck noch.

      »Es stimmt doch alles, was in der Times steht.«

      Godeffroy schnieft, schnäuzt sich lautstark und faltet sein Taschentuch wieder sorgsam zusammen.

      »Na ja, fast alles jedenfalls – aber du musst den Artikel ja nicht unbedingt in deiner Gesellschaft herumzeigen, man liebt in Hamburg ja eher das britische Understatement, wie du weißt.«

      An der Börse, so habe er gehört, sei die Times schon durch die Hände der wichtigen Leute gegangen. Besonders die Sache mit den Diamanten habe eingeschlagen wie ein Blitz. Und auch in England zeitige der Artikel bereits Wirkung, denn die dortige Barings Bank werde nun wohl endlich der Firma Godeffroy & Sohn den schon vor Monaten erbetenen Großkredit gewähren, eine halbe Million Pfund Sterling immerhin.

      Ohne anzuklopfen, betritt ein kleiner Herr mit großem Schnauzbart das Kontor des Großunternehmers, selbstbewusst und offenbar bester Laune.

      Museumskustos Dr. Hubert Schmalz nimmt sich gern einige kleine Freiheiten heraus, um seine besondere Stellung im Unternehmen zu demonstrieren: In weniger als zwei Jahren hat er das neu gegründete Museum Godeffroy zu einer Attraktion gemacht, sowohl für das gewöhnliche Publikum wie auch für das Bildungsbürgertum. Presse und Fachwelt sind beeindruckt von der Darbietung und Reichhaltigkeit der Ausstellungsstücke, die von bisher unbekannten Insekten und in Spiritus eingelegten Schlangen bis zur originalgetreuen Nachbildung einer Steinzeitmenschen-Siedlung reicht. Ganz besonderes Interesse finden die Skelette und Totenköpfe von Kannibalen aus Neuguinea. Die Leute gruseln sich halt gerne, wie Schmalz zu sagen pflegt.

      Ein halbes Dutzend wissenschaftliche Mitarbeiter, ein paar Hilfskräfte und sieben auf den Inseln des Pazifik tätige Forscher und Sammler sind ihm unterstellt. Und vor drei Monaten hat Godeffroy seinem vielseitig begabten Museumsleiter eine weitere Aufgabe übertragen: die Herausgabe einer aufwendigen Zeitschrift, die unter dem schlichten Titel Journal des Museums Godeffroy viermal im Jahr erscheinen soll, auf teurem Papier gedruckt, mit Fotografien und farbigen Zeichnungen. Wissenschaftliche Beiträge sollen die Fachwelt aufhorchen lassen und Abenteuergeschichten die gewöhnlichen Leser faszinieren. An diesem Nachmittag hat die Druckerei Probeabzüge der neuen Ausgabe zur Begutachtung angeliefert.

      »Halten Sie diesen Beitrag hier für eine gute Idee?« Godeffroy fuchtelt mit der Druckfahne herum.

      Kustos Schmalz blickt ihn verständnislos an.

      »Welchen Beitrag?«

      »Diesen hier, das wird auf keinen Fall gedruckt!«

      Schmalz schweigt, wie von selbst ballen sich seine Hände zu Fäusten.

      »Nacktschnecken


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