Der letzte Tanz im Paradies. Jürgen Petschull

Der letzte Tanz im Paradies - Jürgen Petschull


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großzügigen Arbeitgeber benennen könnten?«

      Schmalz gewinnt seine Fassung zurück.

      »Sie haben da offenbar etwas falsch verstanden«, sagt er beherrscht, »es gilt in Kreisen der Wissenschaft als große Ehre, wenn neu entdeckte Kreaturen gleich welcher Art, Geschöpfe Gottes, wenn Sie so wollen, nach einem Forscher oder nach einem Mäzen der Forschung benannt werden.«

      »Nacktschnecken ...« Godeffroy trompetet wieder in sein Taschentuch.

      »Wenn Sie eine andere Tierart bevorzugen«, sagt Schmalz nun süffisant, »auf der Insel Mioko vor der Küste von Neuguinea haben unsere Leute bisher unbekannte Wildschweine mit einem ungewöhnlichen Rüssel entdeckt.«

      Johan Cesar Godeffroy pumpt seine Backen auf, als wolle er seinen aufmüpfigen Museumskustos mit einem gewaltigen Luftstoß aus dem Raum blasen, doch das Lachen seiner Frau unterbricht ihn. Die Luft entweicht tonlos aus seinem gespitzten Mund.

      »Sehr amüsant, Herr Doktor Schmalz, wirklich sehr amüsant. Ihre Frohnatur hat mir schon immer gefallen – aber nun mal im Ernst und damit das klar ist: Dieser Artikel hier wird selbstverständlich nicht das Licht der Öffentlichkeit erblicken!«

      Schmalz schließt und öffnet seine Hände.

      Ob er diesen Bericht hier in der Times of London gelesen habe?

      Schmalz nickt zögernd.

      »Den könnten wir anstelle dieser Nacktschnecken-Geschichte nachdrucken, auszugsweise wenigstens.« Godeffroys Stimme klingt versöhnlich.

      Der Museumskustos baut sich jedoch kerzengerade vor seinem Schreibtisch auf und wippt auf seinen Zehenspitzen. Sein Schnauzbart zittert vor Erregung.

      »Unter diesen Umständen werden Sie auf meine weitere Mitarbeit in Ihrem Hause verzichten müssen, Herr Godeffroy. Ich verantworte für Sie keine Wirtschaftszeitung und kein Börsenblatt, sondern ein anspruchsvolles naturwissenschaftliches Journal – oder gar keines ...!«

      Godeffroy blickt auf, erst wütend über den unbotmäßigen Auftritt, dann mit erkennbarem Respekt vor der aufrechten Haltung seines Angestellten.

      »Ist ja gut, Doktor Schmalz, ist ja gut. Sie wissen doch, wie sehr ich Ihre Arbeit schätze.«

      Schmalz sieht Godeffroy unverwandt an. Und der fühlt sich unwohl unter dem bohrenden Blick dieses kleinen, intelligenten Mannes, der ihn zu durchschauen scheint. Und tatsächlich sieht Schmalz in diesem Moment nicht den großen, reichen, mächtigen Unternehmer vor sich, den Konzernherrn und Südseekönig Johan Cesar Godeffroy, sondern den ehrgeizigen Abkömmling französischer Flüchtlinge, den Hugenotten-Sohn, der in der abgeschotteten Gesellschaft hanseatischer Kaufleute noch immer einen besonderen Platz erobern will. Er weiß, dass Godeffroy nach mehr strebt als die gewöhnlichen reichen Pfeffersäcke und Kaffeebarone, deren Lebenswerk gemeinhin darin besteht, ihre Waren möglichst billig einzukaufen und so teuer wie möglich zu verkaufen. Das rein Kaufmännische sei, so hat Godeffroy ihm einmal nach zwei, drei Glas Burgunder anvertraut, ja keine Tätigkeit, die einem kreativen Menschen Erfüllung bieten könne. Ja, geradezu armselig sei das bloße Reichwerden im Vergleich zu dem, was Dichter und Philosophen, was Maler und Baumeister, Ärzte und Wissenschaftler an schöpferischer Arbeit leisteten.

      Als Gründer eines Museums, als Mäzen der Wissenschaft und nun auch als Herausgeber und Verleger eines naturwissenschaftlichen Journals will Godeffroy schon zu Lebzeiten den Grundstein für sein künftiges Denkmal in der Hansestadt legen.

      »Nehmen Sie doch Platz, mein lieber Doktor Schmalz«, sagt er nun mit einladender Geste. Dabei weist er auf einen der ledernen Besuchersessel und blättert eine Weile wortlos in dem Andruckexemplar des Museumsjournals.

      »Sie wissen, wie sehr ich Ihre Arbeit schätze, zum Beispiel diesen Artikel hier über die neuesten Forschungen meines Berliner Freundes Professor Virchow, den haben Sie ganz ausgezeichnet redigiert. Den habe ich vorher nicht verstanden, und nun haben Sie mir und unseren Lesern bereits im Vorwort erklären können, worum es dabei im Grunde eigentlich geht.«

      Er wendet sich an seine Frau, sagt: »Hör doch mal Emily, wie klar unser Herr Schmalz das formuliert hat«, und fährt dann wie ein Vortragsredner mit auf- und abschwellender Stimme fort: »Die Hypothese, dass der Vorfahr des Menschen sich von ausgestorbenen Affenarten abzweigt, würde erst dann in der Wissenschaft anerkannt werden können, wenn Zwischenformen beziehungsweise Übergänge von jenem Proanthropos zu den heutigen Menschen irgendwo entdeckt werden würden.«

      »Was ist ein ..., ein Pro-anthro-pos?«

      Emily Godeffroy dehnt die Silben des fremden Wortes.

      »Der Proanthropos ist unser Urahn – der Affenmensch«, sagt Schmalz.

      Er lockert seine Hände und knackt vernehmlich mit den Fingergelenken, ein Geräusch, bei dem Emily Godeffroy jedes Mal zusammenzuckt.

      »Das heißt also, unser hochverehrter Professor Virchow könnte möglicherweise mit Hilfe dieser Schädel aus der Südsee, die ihm unsere fleißigen Forscher beschaffen, die Theorie seines englischen Kollegen Darwin unterstützen, wonach die Menschheit vom Affen abstammen soll. Hält er die primitiven Eingeborenen in Papua-Neuguinea für eine Art Zwischenstufe der Entwicklung des Affenmenschen zum zivilisierten Menschen? Sehe ich das richtig?«

      »Ja, so ungefähr könnte man es vielleicht ausdrücken, gnädige Frau.« Schmalz nickt beflissen. Virchow verfüge inzwischen für seine umfassenden Forschungen über eine der größten Schädelsammlungen der Wissenschaft.

      »Du hast dich aber erstaunlich gut mit dieser Materie beschäftigt«, sagt Godeffroy und sieht seine Frau verblüfft an.

      »Der junge Herr Kleine hat mir und meinen Freundinnen bei unserem Empfang in Blankenese von Expeditionen und von Schädelforschungen erzählt, bevor er zu seiner Reise nach Ozeanien aufgebrochen ist. Es war für uns Damen faszinierend, weil er mit so großer Begeisterung gesprochen hat.«

      »Schön, schön.« Godeffroy blättert wieder in seinem Journal. »Möglicherweise haben unsere Leute da unten auf den Inseln des Pazifik tatsächlich das Missing Link gefunden, wie die Engländer sagen: das bisher noch fehlende Beweisstück, dass wir Menschen tatsächlich von den Affen abstammen. Das wäre eine wirkliche Sensation, von der unser Haus profitieren würde, ganz besonders unser Journal hier.«

      Und erst heute, sagt Kustos Schmalz, seien zusammen mit Hunderten von neuen Pflanzen- und Tierpräparaten auch wieder hochinteressante Totenschädel aus Neuguinea eingetroffen. »Dieses Forschungsmaterial wird bereits von einem jungen Wissenschaftler in Augenschein genommen, der zusammen mit Professor Rudolf Virchow ...«

      Es klopft. Godeffroy dreht seinen Kopf zur Tür und ruft ungehalten: »Herein!«

      Ein junger Mann in grauweißem Kittel bittet, vom Laufen noch außer Atem, um Entschuldigung für die Störung, nennt undeutlich seinen Namen und erklärt, er müsse Doktor Schmalz dringend bitten, unverzüglich in das Museum zurückzukommen.

      »Es ist ... Es ist etwas passiert.«

      »Was ist passiert?«, fragt der Museumskustos in barschem Ton.

      Unsicher blickt der junge Mann zu Godeffroy hinüber und sagt dann an den Museumskustos gewandt: »Bitte kommen Sie schnell, Doktor Schmalz.«

      »Was ist denn los, Sie stören in einer wichtigen Besprechung.«

      »Mit einem der Schädel stimmt etwas nicht ... Es ... Es ist etwas damit. Etwas sehr Unheimliches ...«

      2

      Mit flüchtigem Gruß und quietschenden Schuhsohlen eilen die beiden Männer über den polierten Marmorfußboden aus dem Raum. Draußen, im Windfang des Kontorhauses, fällt die schwere Außentür krachend ins Schloss.

      »Merkwürdige Leute, diese Wissenschaftler.« Godeffroy schüttelt den Kopf.

      Er schweigt eine Weile und zieht dann einen Brief aus einem Papierstapel hervor. Ein Mitarbeiter der Handelsniederlassung in Apia auf Samoa bittet darin untertänigst um eine Erhöhung seiner


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