Forschungsmethoden und Statistik für die Soziale Arbeit. Mathias Blanz

Forschungsmethoden und Statistik für die Soziale Arbeit - Mathias Blanz


Скачать книгу
tätigen Personen mit diesen und ähnlichen Fragen nicht alleine gelassen werden, gehört es zu den Aufgaben der Wissenschaft der Sozialen Arbeit, die Handlungsmethoden ihrer Profession wissenschaftlich zu untersuchen und zu bewerten. Dazu zählen zum einen Studien, in denen die theoretischen Grundlagen (Vorannahmen, Theorien usw.), auf denen die Handlungsmethoden beruhen, wissenschaftlich überprüft werden. Dies wird bei Geißler & Hege (2007) als »Ausweis der Begründung« (S. 20) bezeichnet. Zum anderen schließt dies die Durchführung von Studien ein, in denen der Erfolg (Wirksamkeit, Effektivität usw.) der Handlungsmethoden in der Praxis untersucht wird. Geißler & Hege (2007) bezeichnen dies als »Ausweis der Rechtfertigung« (S. 20). Denn die professionellen Methoden der Sozialen Arbeit sollten nach Kilb (2009) zugleich »wissenschaftsgestützt und handlungserprobt« (S. 25) sein.

      Aber wie sieht die Durchführung solcher Untersuchungen genau aus? Wie ist wissenschaftliche Forschung aufgebaut, aus welchen Teilschritten besteht sie und was bedeuten ihre Ergebnisse für die Praxis? Im deutschsprachigen Bereich beschränken sich derzeit Publikationen, die sich speziell mit dem Thema »Forschung in der Sozialen Arbeit« befassen, zumeist auf eine Darstellung der Forschungsmethoden (mit einem fast ausschließlichen Fokus auf qualitativen Methoden; z. B. Schneider, 2009; Gahleitner, Gerull, Petuya Ituarte, Schambach-Hardtke & Streblow, 2005; eine Sammelrezension zu Steinert & Thiele, 2001; Schaffer, 2002; Otto, Oelerich & Micheel, 2003 und Schweppe, 2003, stammt von Gredig & Wilhelm, 2004), während Methoden der Statistik eher vernachlässigt werden. Eine Ausnahme stellt das Buch von Ostermann & Wolf-Ostermann (2012) »Statistik in Sozialer Arbeit und Pflege« dar, bei dem zwar die statistischen Grundlagen ausführlich dargestellt, die Forschungsmethoden wiederum relativ kurz behandelt werden (ähnlich wie in dem amerikanischen Lehrbuch »Statistics for Social Workers« von Weinbach & Grinnell, 2010). Diese Lücke versucht der vorliegende Band zu schließen, indem er sich gleichermaßen ausführlich mit den Themen Forschungsmethoden und Statistik für die Soziale Arbeit beschäftigt.

      Wissenschaft verfolgt das Ziel, aktuelles Wissen durch Forschung zu erweitern. Wissenschaftliche Erkenntnismethoden werden in der Sozialen Arbeit häufig mit den Begriffen Sozialwissenschaftliche Forschungsmethoden oder Empirische Sozialforschung umschrieben. Im Folgenden sollen diese und weitere Begriffe näher definiert werden.

      1.2 Begriffsbestimmungen

      Empirische Wissenschaften

      Im Unterschied zu formal orientierten Wissenschaften (wie z. B. die Mathematik), in denen Aussagen (z. B. Formeln) durch korrekte Herleitungen »bewiesen« werden, überprüfen empirisch orientierte Wissenschaften ihre Aussagen an der Realität. Letztere werden daher auch als »Erfahrungswissenschaften« bezeichnet (gr. empeiria für Erfahrung), da sie zur Erlangung und Absicherung neuen Wissens (z. B. einer Theorie) eine Prüfung an im Feld (in einer realistischen Umgebung) oder im Labor (in einer künstlichen Umgebung) gesammelten Daten (sprachliche und/oder numerische Zeichen) vornehmen.

      Sozialwissenschaften

      Sozialwissenschaften, zu denen die Soziale Arbeit zu zählen ist, stellt ein Sammelbegriff für wissenschaftliche Disziplinen dar, die Struktur und Funktion sozialer Zusammenhänge, gestützt durch Theorie und Empirie, innerhalb und zwischen Kollektiven (z. B. Gesellschaft, Gruppe) und Individuen (Erleben und Verhalten von Einzelpersonen) untersuchen. Im Gegensatz zu den reinen Geisteswissenschaften (z. B. Philosophie) weisen Sozialwissenschaften eine stärkere Orientierung an erfahrungswissenschaftlichen Erkenntnismethoden auf.

      Forschungsmethoden

      Unter dem Begriff Methode wird »… ein auf einem Regelsystem aufbauendes Verfahren zur Erlangung von wissenschaftlichen Erkenntnissen oder praktischen Ergebnissen« verstanden (Duden, 2007, S. 877). Daraus ergeben sich zwei zentrale Merkmale von Forschungsmethoden. Zum einen die Regelbasierung: Das Vorgehen ist explizierbar (Transparenz), kommunizierbar (Publikation), rational (Konsensualität), standardisiert (Systematisierung) und wiederholbar (Replizierbarkeit). Zum anderen die Zielorientierung: Das Vorgehen kann z. B. auf die Prüfung einer Theorie (Grundlagenforschung) und/oder auf die Beurteilung praktischer Ergebnisse (Evaluationsforschung) ausgerichtet sein.

      Idiographische und nomothetische Wissenschaften

      Windelbrand (1894) untergliedert empirische Wissenschaften in idiographisch-orientierte (gr. idios für eigen und graphein für beschreiben), die am individuellen Einzelfall orientiert sind (mit einem Schwerpunkt auf dem »Besonderen«), und nomothetisch-orientierte (gr. nomos für Gesetz und thesis für aufbauen), die auf eine Herausarbeitung von Gesetzmäßigkeiten, die für alle gelten, abzielen (mit einem Schwerpunkt auf dem »Allgemeinen«).

      Explorative, deskriptive und explanative Forschung

      Explorative (oder erkundende) Forschung ist darauf ausgerichtet, zu einem Thema (z. B. kriminelles Verhalten) erste Informationen zu sammeln, zumeist aus dem Blickpunkt der involvierten Personen (z. B. freie Interviews mit jugendlichen StraftäterInnen). Bei der deskriptiven (oder beschreibenden) Forschung werden Daten erhoben, um den aktuellen Ist-Zustand zu erfassen (z. B. den Mangel an angemessenen Freizeitangeboten in einem Stadtviertel mit erhöhter Jugendkriminalität), während bei der explanativen (oder erklärenden) Forschung die Prüfung eines Bedingungsmodells erfolgt (z. B. ob die Höhe der Kriminalitätsrate durch fehlende Freizeitangebote (mit)verursacht wird). Zur deskriptiven Forschung in der Sozialen Arbeit zählen z. B. die Biographie- (idiographische Ebene) und Demographieforschung (nomothetische Ebene). Beispiele für explanative Forschung wären das Einzelfallexperiment (idiographische Ebene; vgl. hierzu Blanz & Schermer, 2013) und das Laborexperiment (nomothetische Ebene).

      Quantitative und qualitative Forschung

      Bei quantitativen Daten (lat. quantitas für Größe, Menge) werden Merkmale der untersuchten Personen standardisiert in Form zahlenmäßiger Ausprägungen erfasst (z. B. »Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Studium der Sozialen Arbeit?«; Antwortskala von 1 = überhaupt nicht bis 7 = voll und ganz). Bei quantitativen Methoden bestehen häufig schon vor der Untersuchungsdurchführung bestimmte Vorstellungen darüber, welche Zusammenhänge in den Ergebnissen erwartet werden (z. B. »Je mehr Studierende ein Studiengang umfasst, desto unzufriedener sind sie«). Solche Vorannahmen werden als Hypothesen (lat. hypothesis für Unterstellung) bezeichnet, quantitative Methoden sind somit eher hypothesentestend ausgerichtet.

      Bei der Erhebung qualitativer Daten (lat. qualitas für Beschaffenheit, Zustand) liegt häufig nur ein grober inhaltlicher Leitfaden vor, wobei Ausgestaltung und Reihenfolge der Erhebungfragen flexibel ausfallen und die Antwortmöglichkeiten der Befragten kaum Einschränkungen unterliegen (z. B. »Wie geht es Ihnen mit Ihrem Studium der Sozialen Arbeit?«). Qualitative Methoden sind eher erkundend (explorativ) angelegt, d. h. sie dienen weniger der Prüfung schon bestehender Annahmen, sondern mehr ihrer Entwicklung und Ausarbeitung. Die Bildung von Hypothesen erfolgt bei diesem Vorgehen meist erst während oder nach der Untersuchung, qualitative Methoden sind also eher hypothesengenerierend ausgerichtet.

      Viele Studien verwenden beide Forschungsmethoden, d. h. sowohl qualitative (z. B. als Vorstudie) als auch quantitative Elemente (in der Hauptuntersuchung), auch können qualitative Daten nachträglich unter gewissen Voraussetzungen quantifiziert werden (z. B. in Form von Häufigkeiten).

      Empirische Sozialforschung

      Diese befasst sich mit der Erforschung sozialer Sachverhalte, d. h. mit dem individuellen und kollektiven Erleben und Verhalten von Menschen (z. B. Einstellungen, Wissen, Fühlen, Wollen, Handeln, Interaktionen, Biographien, Gruppen, Organisationen, Gesellschaften usw.), mittels Methoden der Datenerhebung (z. B. Inhaltsanalyse, Beobachtung, Befragung, Experiment) und Datenauswertung (Statistik). Anwendungsgebiete sind z. B. die Armutsforschung (Soziologie), die Gewaltforschung (Psychologie), die Wahlforschung (Politologie), die Marktforschung (Betriebswirtschaftslehre) oder der Mikrozensus (Volkswirtschaftslehre). In Anlehnung an die vier Hauptaufgaben von Wissenschaften, die in Box 1 dargestellt sind, stehen bei der empirischen Sozialforschung folgende


Скачать книгу